Allensbach-Umfrage

Sorge um Pflegenotstand

Heftarchiv Gesellschaft
mg
Zuerst die gute Nachricht: Das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung in Deutschland sind gut – ja, sogar sehr gut. Das befinden laut einer Studie des Allensbach-Instituts für Demoskopie rund 72 Prozent der Bundesbürger. Die schlechte Nachricht: Die Mehrheit glaubt nicht, dass es dabei bleibt. Am schwersten wiegen die Sorgen vor steigenden Kosten, einer auseinanderdriftenden Zwei-Klassen-Medizin und dem drohenden Pflegenotstand.

„Das Gesundheitswesen ist eine politische Dauerbaustelle“, sagte Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, bei der Vorstellung des Gesundheitsreports 2011. „Das sieht man schon daran, das die jährlich wiederkehrende Vorstellung des Berichts eigentlich immer von politischen Debatten über ein neues Reformgesetz begleitet wird.“ Seine Schlussfolgerung: Man könne der Politik zwar keinen mangelnden Eifer vorwerfen, wohl aber den Mangel an tragfähigen Konzepten.

Eine Unterstellung, die Prof. Renate Köcher vom Allensbach-Institut auch durch die Äußerungen der Befragten bestätigt sieht. „82 Prozent sind der Meinung, dass dem demografischen Wandel in der Gesundheitspolitik nicht ausreichend Bedeutung zugemessen wird“, meinte sie. „Die haben das Gefühl, dass die Politik das Thema nicht richtig ernst nimmt.“

So fällt das Urteil der Befragten zur Absicherungsqualität der Pflegeversicherung vernichtend aus. Rund 77 Prozent der Befragten – und sogar 80 Prozent der befragten Ärzte – sind nicht der Ansicht, dass der heute fixierte Leistungsumfang in Zukunft noch ausreichen wird. Köcher: „Eine Einschätzung, die sich seit vergangenem Jahr geradezu sprunghaft verändert hat.“ Doch schon 2010 hatten bereits 64 Prozent der Befragten Zweifel an der Absicherung.

Große Zufriedenheit mit der aktuellen Lage

Diese Unsicherheit fällt scheinbar nicht ins Gewicht, wenn es um die Beurteilung der aktuellen Situation geht. „72 Prozent bewerten die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems als gut oder sehr gut“, berichtete Köcher. „Da ist über die Jahre eine kontinuierliche Verbesserung zu verzeichnen.“ 2008 hatte der Wert noch bei 59 Prozent gelegen. Gleichbleibend positiv urteilen die Mediziner: Ganze 88 Prozent der Befragten sind der Meinung, das System und seine Versorgungsleistung seien „(sehr) gut“.

Zufrieden zeigten sich auch die gesetzlich Krankenversicherten unter den Befragten. 64 (2007: 54) Prozent von ihnen fühlen sich „gut abgesichert“. Eine Einschätzung, die auch von den befragten Ärzten bestätigt wird. Zwei Drittel halten die Leistungen der GKV für „ausreichend“. Bei den privat Krankenversicherten liegt die Zahl der Zustimmungen bei 80 (2007: 84) Prozent.

Wie der Gesundheitsreport weiter zeigt, ist es bei 64 Prozent der befragten Mediziner noch nie vorgekommen, dass aus Kostengründen auf eine medizinisch sinnvolle Behandlung verzichtet werden musste. Die Situation, dass eine solche jedoch aus Kostengründen verschoben werden musste, kennen immerhin zwei Drittel der Befragten. 16 Prozent der Mediziner bezeichnen diesen Fall als „häufig“, 20 Prozent als „gelegentlich“ und 23 Prozent als „selten“.

Anhaltend groß bleibt vor allem die Skepsis, wie gut es um die zukünftige Versorgung bestellt ist. 55 (2010: 61) Prozent der Befragten und 72 (2010: 73) Prozent der Ärzte gaben an, „keinen guten Eindruck“ von der Gesundheitspolitik der Bundesregierung zu haben. Köcher: „Die Bevölkerung trennt offensichtlich stark zwischen dem aktuellen Niveau und dem, was sie für die kommenden zehn Jahre erwartet.“

Unterschicht zeigt wenig Gesundheitsbewusstsein

Diese Vision ist düster: Mehr als drei Viertel rechnen laut Umfrage damit, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse „immer teurer werden“ und es gleichzeitig „immer mehr zu einer Zwei-Klassen-Medizin“ kommen wird. 61 Prozent halten es für wahrscheinlich, dass die Ärzte „immer weniger Zeit“ für die Patienten haben werden und bestimmte Behandlungen dann aus Kostengründen nicht mehr durchgeführt werden können. Fast die Hälfte der Befragten rechnet aber auch damit, dass die Krankenkassen künftig gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen werden. Deutlich mehr noch – 67 Prozent – halten es sogar für akzeptabel, wenn „Personen, die durch ihr Verhalten ein höheres Gesundheitsrisiko haben“, höhere Tarife zahlen müssten.

Grundlage dafür bildet die weit verbreitete Überzeugung, jeder Einzelne könne zur Erhaltung der eigenen Gesundheit „(sehr) viel“ selbst beitragen. Nicht einmal ein Fünftel der Befragten ist anderer Meinung. Fast drei Viertel der befragten Mediziner sind sogar der Ansicht, viele Arztbesuche könnten vermieden werden, wenn die Betroffenen „auf eine gesündere Lebensweise achten würden“.

Köcher gab dazu zu bedenken, dass es in den vergangenen 30 Jahren zwar schon eine deutliche Verstärkung des Gesundheitsbewusstseins gegeben habe – allerdings nicht in allen gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen. „In der Oberschicht hat sich der Anteil der Raucher von 39 auf 20 Prozent praktisch halbiert“, zitiert sie aus den Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalysen der Jahre 1980 und 2011, „während er in der Unterschicht lediglich von 37 auf 34 Prozent zurückgegangen ist.“

Zentrale Sorge der Befragten des Gesundheitsreports 2011 sind jedoch die Folgen der alternden Gesellschaft auf die Gesundheitsversorgung. 78 Prozent glauben, dass in Zukunft „mehr staatliche Mittel zur Finanzierung des Gesundheitssystems“ nötig sein werden. Gut die Hälfte geht außerdem davon aus, dass bei älteren Patienten in Zukunft teure Behandlungen aus Kostengründen nicht mehr durchgeführt werden und es nicht mehr genügend Ärzte geben wird, um die Versorgung überall sicherzustellen.

Ein Thema, das regional sehr unterschiedlich wahrgenommen wird: Während bundesweit 13 Prozent der Befragten schon jetzt einen Ärztemangel beklagen, sind es in den östlichen Bundesländern fast 30 Prozent. Ähnlich uneinheitlich, aber deutlich pessimistischer ist die Einschätzung der befragten Ärzte. Ingesamt sehen 50 (2010: 36) Prozent schon jetzt einen Ärztmangel, in Ostdeutschland sind es sogar 69 Prozent. Von den Krankenhausärzten berichten drei Viertel, dass es ihrer Erfahrung nach „eher schwer“ oder „sehr schwer“ sei, offene Stellen neu zu besetzen.

Honorararzt wird häufiger

„Vor allem viele Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten sind darauf angewiesen, personelle Engpässe mit der Unterstützung von Honorarärzten zu überbrücken“, sagte Montgomery. „Inzwischen greifen mehr als 60 Prozent aller medizinischen Einrichtungen auf Honorarärzte zurück.“ Und das sei nicht Ursache, sondern Auswirkung des Ärztemangels, fügte er hinzu.

Während rund 70 Prozent der befragten Ärzte der Meinung sind, dass der Gesetzgeber diese Entwicklung unterschätzt, begrüßt der überwiegende Teil die meisten Eckpunkte des Anfang Dezember verabschiedeten Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG). Vor allem die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (95 Prozent), die finanzielle Versorgung von Praxen in unterversorgten Giebieten (82 Prozent) und die stärkere Regionalisierung der Bedarfsplanung (79 Prozent) wurden von den befragten Medizinern hervorgehoben.

„Bei aller Kritik an einzelnen Maßnahmen sind das grundsätzlich richtige Schritte“, so Montgomery. Mittel- und langfristig seien aber weitere Maßnahmen notwendig, um das Gesundheitssystem zukunftsfest zu machen. Dazu wünscht sich der Ärzte-Chef eine Diskussion darüber, wie angesichts begrenzter Finanzen, Kapazitäten und Zeitressourcen allen Patienten auf Dauer die notwendigen Behandlungen angeboten werden können. Montgomery: „Wenn die finanziellen Mittel nicht dem Versorgungsbedarf angepasst werden können, dann muss sich die Politik über kurz oder lang der Priorisierungsdebatte stellen.“ mg

INFO

Bundesärztekammer ist Partner

Bereits zum sechsten Mal hat die Finanzdienstleisterin MLP AG – die auch als Maklerin für private Kranken- sowie Krankenzusatzversicherungen auftritt – das Allensbach-Institut für Demoskopie beauftragt, die Meinungen, Wünsche und Sorgen der Deutschen zu ihrem Gesundheitssystem sowie der Versorgungslage abzufragen. Unterstützung erhielt sie dabei von der Bundesärztekammer. So zeichnet der Gesundheitsreport 2011 auch das Stimmungsbild der Ärzteschaft zu einzelnen Fragen nach. Dazu wurden zusätzlich zu den mehr als 2 200 Interviews mit Menschen aller übrigen Berufsgruppen separat auch 522 Ärzte befragt. Um zu einem repräsentativen Ergebnis zu kommen, wurden dabei 308 aus dem ambulanten und 214 aus dem stationären Bereich ausgewählt.

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