Die andere Meinung

Zähne haben keine Allergien

„Die akademische Schulzahnmedizin ist fortschrittlichste Wissenschaft. Ignorant sind andere!“ Mit dieser als Satire zu verstehenden Quintessenz seines Textes will der Autor zum Nachdenken anregen.

„Amalgam ist vollkommen unschädlich. Das ist seit über einhundertfünfzig Jahren bewiesen. Es gibt weltweit keine anders lautende wissenschaftliche Literatur!“

„Hast Du das recherchiert?“

„Ich selbst? Nein! Warum?“

„Woher hast Du Dein Wissen?“

„Habe ich gehört oder gelesen.“

„Von wem oder wo?“

„Weiß ich auch nicht mehr.“

„Aber es gibt doch in den renommiertesten wissenschaftlichen Magazinen, zum Beispiel „Lancet“ und „Nature“, genügend anders lautende Artikel.“

„Papperlapapp!“

Bravo! Es ist doch immer wieder gut, sich an Bewährtes zu halten. „Et hätt noch immer jot jejange!“ Das reicht. Es war halt immer so. Medizin ist schon so schwer genug und Zahnmedizin sowieso. Karies muss beseitigt werden, wie auch immer. Punkt. Amalgam hat sich halt bewährt. Das Quecksilber ist doch gebunden, und außerdem sollte man das mit der angeblichen Toxizität nicht dramatisieren. Quecksilber ist zwar ein additives Toxikum, aber bitte keine Panik. Die chronischen Krankheitssymptome können auch andere Ursachen haben. Außerdem halten Schwermetallausleitungen mittels Chelattherapien keiner seriösen Betrachtung stand. Dass sogar die akademische Schulmedizin die Chelatoren bei akuten Schwermetallvergiftungen einsetzt, ist kein einleuchtendes Gegenargument.

Amalgam ist doch ein Gemenge – keine „chemisch stabile“ Legierung. Das ist doch egal, eben eine Spitzfindigkeit ohne jede Bedeutung. Kunststoffe können sensibilisieren. Aber doch nicht im Mund! Zähne haben keine Allergien. Monomere können die Atmungsorgane reizen. Aber wir sind ja vorsichtig und professionell. Der Polymerisationsgrad erreicht nur siebzig Prozent, aber das hat in der Praxis keinerlei Bedeutung. Weichmacher haben östrogene Wirkungen, aber doch nicht in unseren unbedeutenden Mengen.

Gold ist die Königin der dentalen Werkstoffe. Welche Legierung? Ist doch egal! Der Patient hat einen metallischen Geschmack im Mund. Was der immer hat? Der Patient hat etwas gegen Multimetallismen. Der soll sich nicht so anstellen! Er hat eine Batterie im Mund. Warum nicht gleich ein Atomkraftwerk? Immer diese Ökofreaks! Metallfreier Zahnersatz? Immer diese Esoteriker! Restostitiden? Was soll das sein? Da fällt der Bohrer bei einer Implantation immer ins Leere, aber das ist etwas ganz anderes.

Devitale Zähne sind das Resultat höchster zahnheilkundlicher Kunst, der Endodontie, sogar mit digital-endometrischer Apexbestimmung und Stereomikroskopie, der chirurgischen Resektion, der Replantation, der Transplantation. So hohe Kunst, das kann gar nicht wirklich schädlich sein. Es handelt sich um Vitalisierungsmaßnahmen für verloren geglaubte Zähne. Es ist gesundheitsfördernd, denn so kann der Patient besser kauen.

Komplementäre Phantasie

Eiweißzerfallsprodukte, Toxikologie, Immunologie? Das ist doch komplementäre Fantasie! Regelmechanismen, Vernetzung physiologischer Systeme, Kybernetik, was geht uns Zahnärzte das an? Allergologie oder Immunologie? Das sollen doch die Haut- ärzte klären!

Zahnheilkunde oder Zahnheilkunst, nicht ZahnMedizin ist das Gebot der Stunde. Main-Stream-Medicine ist alles. Chronische Erkrankungen wie Asthma, Arterosklerose, Makuladegeneration, Diabetes, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Neurodermitis, Psoriasis, FMS (Fibromyalgiesyndrom), CFS (chronic-fatique-syndrome), MCS (multiple chemical sensivity), Burn-out-Syndrom, Depression, was haben wir Zahnärzte damit zu tun? Natürlich gibt es hier Zufälle (nach zahnärztlicher Therapie) und auch Spontanheilungen, aber Zahnheilkunde oder gar Umweltzahnmedizin haben damit rein gar nichts zu tun.

Homöopathie, Akupunktur beziehungs- weise TCM, Kinesiologie, Bioresonanz, Fasten, Kneipp-Kuren und so weiter, alles Esoterik! Wir wissen zwar nicht genau, was das ist, aber es ist Esoterik. Da sind wir ganz sicher. Ganz egal, ob es von den Ärztekammern und den Kostenträgern zumindest teilweise anerkannt ist oder nicht. Es gibt sogar an den deutschen Universitäten entsprechende Institute und sogar Lehrstühle. Egal.

Klinische Umweltmedizin(?), Umweltzahnmedizin (Was hat Zahnmedizin mit Urwald zu tun?), additive, synergistische oder kumulative Toxikologie (?), Immundiagnostik (?), Pharmakogenetik (?) – kennen wir alles auch nicht so richtig, ist also auch alles Esoterik!

Zahntechnik unter Stereomikroskopie, mit Laserschweißtechnik, CAD-CAM Technik, neue Guss- und Sintertechniken, Einstückgusstechnik, zu erhaltende Materialeigenschaften unter Prozessbedingungen, thermoplastische Kunststoffe – alles schön und gut, aber muss das sein? Könnte das nicht alles Scharlatanerie, Irrglaube und therapeutischer Unsinn sein? Das auch, weil wir nicht wirklich alles begreifen?

Wenn wir dann krank sind und unser Arzt uns nicht mehr weiterhelfen kann, lassen wir uns als akademische Schulzahnmediziner von einem Kollegen eine Kur verschreiben. Dort fasten wir, wir machen Wassertreten, wir lassen alle möglichen Badezeremonien über uns ergehen, die verschiedensten Körpergüsse, vielleicht sogar Entgiftungskuren (Chelattherapien). Auch Blutegel spielen manchmal eine Rolle, und Braunscheidieren soll es auch geben. Et kütt wie es kütt.

Aber Umweltmedizin, Umweltzahnmedizin, die unsere Zahnmedizin mit ihren Materialien und Techniken als eventuell belastende Umwelt begreift, Immunologie, Toxikologie von Dauerbelastungen, pharmakogenetische Analysen und so ein Zeug? Niemals!

Dr. medic-stom/RU Martin KlehmetEmslandstr.928259 Bremen

INFO

Zum Autor

Dr. medic-stom/RU Martin Klehmet musste als Student der Zahnmedizin in Rumänien auch ein Grundstudium der Allgemeinmedizin absolvieren. Nach seiner Praxisgründung 1983 widmete er sich der Suche nach biologisch verträglichen Lösungen in der zahnmedizinischen Versorgung.

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