Zweijährige Interventionsstudie

Intensivzahnpflege im Kindergarten

Von 2006 bis 2009 führte die Abteilung Kinderzahnheilkunde der Zahnklinik Marburg gemeinsam mit zwei Fachdiensten Gesundheit in Nordhessen eine umfangreiche Präventionsstudie mit Vorschulkindern durch. Dieser Artikel ist eine Kurzfassung der Arbeit, für die die Marburger Arbeitsgruppe im Frühjahr 2011 mit dem renommierten Hufeland-Preis ausgezeichnet wurde.

Klaus Pieper, Anahita Jablonski-Momeni, Martina Krutisch, Petra Völkner-Stetefeld

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahngesundheit der bleibenden Zähne von Kindern und Jugendlichen in vielen Ländern durchgreifend verbessert. Ein Trend, der auch in Deutschland zu verzeichnen war. Hier wiesen die DAJ-Studien bei 12-Jährigen innerhalb von 15 Jahren einen Kariesrückgang von 72,7 Prozent nach [Pieper, 2010]. An den Milchzähnen 6-7-Jähriger trat im selben Zeitraum eine Verbesserung von 36,8 Prozent ein.

Nur wenn junge Familien präventionsorientiert sind, erreichen Kinder den Zeitpunkt der Einschulung ohne Karieserfahrung. Das präventive Verhalten in Familien ist aber mit dem Sozialstatus der Eltern und speziell mit ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung verknüpft. Eltern mit hohem sozioökonomischem Status sorgen in der Regel besser für die Zahngesundheit ihrer Kinder als Eltern mit niedrigem Sozialstatus [Micheelis/Schröder, 1999].

Eine Option für einen diesbezüglichen „Sozial-ausgleich“ bietet das tägliche überwachte Zähneputzen im Kindergarten. Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) empfiehlt den Einsatz von Kinderzahnpasten mit reduziertem Fluoridgehalt [DGZMK, 2002].

Leider gab es bisher kaum Evidenz aus klinischen Studien mit Kontrollgruppen, dass diese Kinderzahnpasten mit 500 ppm Fluoridgehalt eine nennenswerte Wirkung entfalten. Deshalb wurde im Rahmen einer Prospektivstudie untersucht, ob sich bei Vorschulkindern mit einer solchen Kinderzahnpasta eine klinisch nachweisbare Wirkung erzielen lässt.

Stand der Forschung

Als Bezeichnung für die früh auftretende Karies bei Säuglingen und Kleinkindern sind in den englischsprachigen Ländern schon seit Längerem Begriffe wie „nursing bottle caries“ gebräuchlich. In der deutschen Literatur wird neben den englischen Termini auch der Begriff „Zuckertee-Karies“ verwendet [Wetzel, 1981]. Das US Center for Disease Control and Prevention (CDC) empfahl 1994 als Ergebnis einer Konferenz, zukünftig den Begriff Early Childhood Caries (ECC) zu verwenden, wenn es um die Beschreibung jeglicher Form von Karies im Milchgebiss geht.

Nach Auffassung von Wyne [1999] tritt die ECC in drei Ausprägungen auf:

• ECC-Typ I (milde bis mä-ßige Ausprägung):

Auftreten von vereinzelten kariösen Läsionen an Milchmolaren und/oder Schneidezähnen

• ECC-Typ II (mäßige bis schwere Ausprägung):

Bei dieser Form der ECC finden sich Läsionen an den Labial- und Palatinalflächen der Milchschneidezähne im Oberkiefer mit oder ohne Karies an den Milchmolaren, abhängig vom Alter und vom Stadium der Erkrankung.

• ECC-Typ III (schwere Ausprägung):

Nahezu alle Milchzähne sind von Karies befallen, einschließlich der unteren Schneidezähne. Ursächlich ist in der Regel eine Kombination aus kariogener (Flaschen-)Nahrung und sehr schlechter Mundhygiene. Der Karieszuwachs ist ungezügelt und schließt Zahnflächen ein, die normalerweise nicht befallen werden.

Die American Academy of Pediatric Dentistry (AAPD) publizierte im Jahr 2008 eine alternative Definition der Early Childhood Caries und listete folgende Kriterien auf: „Die Anwesenheit einer oder mehrerer kariöser Läsionen mit oder ohne Kavitation oder wegen Karies fehlender oder gefüllter Zahnflächen an irgendeinem Milchzahn eines Kindes, das das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.” In ihrer Publikation führte die AAPD zusätzlich den Begriff severe Early Childhood Caries (sECC) ein, die durch folgendes Erscheinungsbild gekennzeichnet sei: „Bei einem Kind, das das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, deutet jede Karies an einer Glattfläche auf das Vorliegen einer sECC hin.“ Auch bei Kindern im Alter zwischen drei und fünf Jahren, deren Oberkiefer-Frontzähne mindestens an einer Glattfläche Karieserfahrung aufweisen, liegt nach der Definition der AAPD eine sECC vor.

Epidemiologie der Milchzahnkaries

Born et al. [2005] führten in den Jahren 2003/2004 eine Querschnittstudie an 3- bis 5-jährigen Kindern in Hessen durch: Bei den 3-Jährigen lag der Anteil naturgesunder Gebisse bei durchschnittlich 80 Prozent, bei den 4-Jährigen bei 68 Prozent und bei den 5-Jährigen nur noch bei 58 Prozent.

Splieth und Heyduck [2005] stellten bei Reihenuntersuchungen an 1 158 Kindergartenkindern in Greifswald eine Prävalenz der Nuckelflaschenkaries von 8,5 Prozent fest. In anderen epidemiologischen Studien zeigte sich, dass der Anteil der Kinder mit sECC bei zehn bis 15 Prozent lag [Hirsch et al., 2000; Robke/Buitkamp, 2002; Baden/Schiffner, 2008]. Milchzahnkaries stellt also trotz des allgemeinen Kariesrückgangs bei einem Teil der Klein- und Vorschulkinder immer noch ein großes Problem dar.

Die Methodik

Ein Vorsorgeprogramm gegen Zahnkaries ist umso wirksamer, je mehr der Karieszuwachs (das Inkrement) der Prüfgruppe hinter dem der Kontrollgruppe zurückbleibt. Zur Bestimmung des Kariesinkrements müssen mindestens zwei Untersuchungen durchgeführt werden – eine vor Beginn der Intervention und eine am Ende. Im Rahmen der vorliegenden Interventionsstudie wurde zusätzlich eine Zwischenuntersuchung nach 15-monatiger Laufzeit durchgeführt, um die Datenqualität zu erhöhen.

Untersuchungsgegenstand war die Frage, ob Kinder, die im Kindergarten an einem Intensiv-Zahnpflegeprogramm mit einer 500 ppm Kinderzahnpasta teilnehmen, eine bessere Zahngesundheit aufweisen als Kinder, die in der Institution die bisher übliche präventive Betreuung mit gelegentlichen Zahnputzunterweisungen erhalten. Deshalb wurden in einem ersten Schritt Kindergärten für die Teilnahme gewonnen, die randomisiert (per Zufallsauswahl) auf die Prüf- unddie Kontrollgruppe zu verteilen waren. In einem zweiten Schritt wurden die Eltern der betreffenden Kinder mit einem Schreiben über das Vorhaben informiert und ihre Einwilligung („informed consent“) eingeholt. Initial konnten 2 228 Kinder in die Studie einbezogen werden. Wegen der besseren Durchführbarkeit der zahnmedizinischen Prophylaxe wurde die Randomisierung auf der Ebene der Kindergärten durchgeführt. Dabei wurden Kindergärten in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf und Waldeck-Frankenberg einbezogen. In den Stichproben-Kindergärten wurde allen 2- bis 4-Jährigen, die nach den Sommerferien 2006 dort betreut wurden, die Teilnahme an der Präventionsstudie angeboten. Zur Information und Motivation der Eltern gab es eine auf die Probanden abgestimmte Broschüre (linke Seite). Die Studie wurde durch die zuständige Kommission für Ethik in der ärztlichen Forschung genehmigt.

Die präventive Betreuung

In der Kontrollgruppe:

Die Vorschulkinder in dieser Gruppe wurden in ihren Kindergärten mit der Form der zahnmedizinischen Prophylaxe betreut, die zum Zeitpunkt der Untersuchung vor Ort üblich war. Um die Familien dieser Kinder zur Teilnahme an der Studie zu motivieren, wurden drei- bis viermal pro Jahr zusätzliche Zahnputzübungen angeboten. Die Durchführung übernahm eine im Projekt beschäftigte Prophylaxefachkraft. Zusätzlich erhielten die Kinder kostenlose Zahnbürsten und Zahnpasta für den Hausgebrauch.

In der Prüfgruppe:

Ergänzend zur präventiven Basis-Betreuung fand in den Kindergärten der Prüfgruppe eine tägliche Intensivzahnpflege statt, die von Fachkräften („Zahnputzfeen“) durchgeführt wurde. Dabei kam elmex®-Kinderzahnpasta mit 500 ppm Fluoridgehalt zum Einsatz. Die Intensivzahnpflege fokussierte vor allem auf diejenigen zehn bis 15 Prozent der Kinder mit offensichtlich erhöhtem Kariesrisiko. Bei ihnen wurde gegebenenfalls durch „Nachputzen“ für eine tägliche vollständige Plaqueentfernung an allen Zähnen gesorgt. Für die Durchführung dieser Aufgabe konnte überwiegend zahnmedizinisches und medizinisches Fachpersonal gewonnen werden, das auf Honorarbasis beschäftigt wurde. Dort, wo sich kein Fachpersonal rekrutieren ließ, wurden beispielsweise Erzieherinnen verpflichtet.

Vor Beginn der Interventionen wurden alle Zahnputzfeen vorbereitet. Dabei wurden in Seminaren   und Übungen alle für die Prophylaxearbeit relevanten Themen (einschließlich der rechtlichen Grundlagen) unter Berücksichtigung von Hygieneaspekten theoretisch und praktisch bearbeitet. Während der Implementierung der Intensivzahnpflege wurden alle Fachkräfte durch das Projektteam vor Ort in die Arbeit mit den Kindern eingewiesen. Während des Programms fanden regelmäßige Supervisionen und Treffen statt, anlässlich derer die Zahnputzfeen über Schwierigkeiten berichten und in der GruppeLösungsvorschläge diskutieren konnten.

Untersuchungsverfahren

Um ein differenziertes Bild zu gewinnen, wie sich die Karieserfahrung der Prüf- und der Kontrollgruppe entwickelte, wurde die Anzahl der an Karies erkrankten Zähne und Zahnflächen mithilfe des dmf-t- und des dmf-s-Index registriert [Klein et al., 1938]. Bei der Berechnung der Inkremente wurden nur kariöse Läsionen berücksichtigt, die bis ins Dentin reichen. Vor Beginn der Feldphasen wurden die Untersucherinnen in speziellen Kalibrierungsveranstaltungen geschult. Während der Feldphasen wurde die Reproduzierbarkeit der Diagnosen durch Doppeluntersuchungen überprüft. Die zahnmedizinischen Untersuchungen fanden in den jeweiligen Kindergärten statt. Die Kariesdiagnose erfolgte primär visuell, wobei zur besseren Beurteilung der Approximalräume unterstützend eine Kaltlicht-Diagnosesonde eingesetzt wurde [Pieper/Schurade, 1987]. Vor den zahnmedizinischen Untersuchungen putzten die Kinder ihre Zähne mit Zahnbürste und Zahnpaste. Zusätzlich wurden die Zähne mit Pressluft getrocknet.

Für die Auswertung wurden alle Kinder berücksichtigt, die zwei Jahre lang regelmäßig am Prophylaxeprogramm teilgenommen hatten und mindestens bei der Anfangs- und bei der Abschlussuntersuchung anwesend waren.

Hauptzielgröße der Studie war das Kariesinkrement während der Laufzeit des Prophylaxeprogramms. Um den Einfluss der Intensivzahnpflege auf diesen Parameter zu untersuchen, wurden geeignete statistische Verfahren (unter anderem Chi-Quadrat- und Mann-Whitney-Tests) durchgeführt.

Ergebnisse der Studie

Karieserfahrung 3- bis 4-Jähriger zu Beginn der Studie:

83 Prozent der Kinder wiesen einen dmf-t von 0 und damit ein naturgesundes Milchgebiss auf. Bei einem Kind (dmf-t-Wert: 20) waren alle Milchzähne durch Karies geschädigt. Insgesamt lag der mittlere dmf-t-Wert bei den 3- bis 4-Jährigen bei 0,66. In Abbildung 1 sind zusätzlich die Einzelkomponenten des dmf-t-Index dargestellt. 72,7 Prozent der an Karies erkrankten Milchzähne waren nicht durch eine Füllung oder Extraktion saniert. Abbildung 2 verdeutlicht, wie viele Kinder (in Prozent der 3- bis 4-Jährigen) kariöse Läsionen an ein, zwei, drei oder vier Oberkiefer- beziehungsweise Unterkieferschneidezähnen aufwiesen. 8,4 Prozent der untersuchten Kinder wiesen an mindestens einem der oberen Milchschneidezähne Dentinkaries auf. Bei insgesamt 3,1 Prozent der Probanden war das Vollbild einer Fläschchenkaries festzustellen, das durch die vollständige kariöse Zerstörung der vier oberen Milchfrontzähne (ECC-Typ II nach Wyne [1999]) gekennzeichnet ist. Bei insgesamt 0,3 Prozent der Probanden (fünf Kinder) wurden zusätzlich Kariesschäden an den unteren Milchfrontzähnen beobachtet, so dass eine Klassifizierung als ECC-Typ III nach Wyne gerechtfertigt war.

In beiden Kohorten (Prüfgruppe 68,3 Prozent, Kontrollgruppe 64 Prozent) entstanden bei der Mehrzahl der Kinder keine neuen kariösen Läsionen. In der Prüfgruppe lag der maximal erreichte Karieszuwachs bei zehn dmf-Zähnen, in der Kontrollgruppe bei 13. Hohe Inkremente ( 6) kamen bei den Kindern ohne Intensivzahnpflege etwa dreimal so häufig vor. Auf Flächenbasis lag das maximale Inkrement in der Prüfgruppe bei 26 und in der Kontrollgruppe bei 37. Abbildung 3 zeigt die mittleren Inkrementwerte auf Zahn- (Δ dmf-t) und auf Flächenbasis (Δ dmf-s). Auf Basis des dmf-t fiel der Karieszuwachs in der Prüfgruppe um 21 Prozent niedriger aus als in der Kontrollgruppe. Mit einem p-Wert von 0,043 war der Unterschied signifikant. Bei der Analyse auf Flächenbasis fiel die Hemmung mit 23 Prozent geringfügig höher aus (p = 0,042). Wie Abbildung 4 verdeutlicht, gab es an den Schneidezähnen nur einen geringen Karieszuwachs und es waren kaum Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu verzeichnen. An den Seitenzähnen hingegen fiel das Inkrement in der Prüfgruppe um 24 Prozent niedriger aus. Abbildung 5 zeigt die Gesamt-Karieserfahrung (dmf-t-Mittelwerte), die anlässlich der Abschlussuntersuchung bei den 5- bis 7-jährigen Kindern der Prüf- und der Kontrollgruppe festgestellt wurde. Zum Vergleich ist der Mittelwert 5- bis 7-jähriger Kindergartenkinder im Frühjahr 2006 dargestellt. Sie besuchten Kindergärten, die per Zufallsauswahl aus einer Grundgesamtheit gezogen wurden, in denen später die Interventionsstudie stattfand.

Diskussion

Zu Beginn der Interventionsstudie wiesen 17 Prozent der beteiligten 3- bis 4-Jährigen an mindestens einem Zahn Karieserfahrung auf. Dabei waren nur 18 Prozent der kariösen Defekte durch Füllung oder Extraktion saniert. Außerdem wurden bei 8,4 Prozent der untersuchten Kinder kariöse Defekte an mindestens einem Schneidezahn festgestellt. Damit liegen die Ergebnisse der Anfangsuntersuchung sehr dicht an dem von Splieth und Heyduck [2005] ermittelten Wert (8,5 Prozent). Wetzel et al. [1993a] berichten, dass sich einhergehend mit einem „Nursing-Bottle-Syndrom (NBS)“ erhebliche Reduzierungen des Allgemeinbefindens ergeben können, die sich durch häufige Harn- und/oder Atemwegsinfekte, Mittelohrentzündungen, Fieberschübe unklarer Genese und offensichtliches Missempfinden („Quengeligkeit“, Schlappheit, Verstimmungen) äußern können. In einer weiteren Studie stellte dieselbe Autorengruppe fest, dass einhergehend mit einem NBS massive Besiedelungen mit Candida-Keimen auftreten können [Wetzel et al., 1993b].

Die Ergebnisse dieser Interventionsstudie zeigen ein erfreuliches Bild: In beiden Gruppen blieb eine deutliche Mehrheit der Kinder ohne Karieszuwachs, in der Prüfgruppe waren es sogar 68,3 Prozent. Durch den Einsatz der Zahnputzfeen wurde je nach Berechnungsbasis eine Karieshemmung von 21 Prozent (Δ dmf-t) beziehungsweise 23 Prozent (Δ dmf-s) erreicht. Obwohl eine Kinderzahnpasta mit verringertem Fluoridgehalt von 500 ppm zum Einsatz kam, war der beobachtete Effekt größer als in anderen Studien. Pine et al. [2000] beispielsweise führten bei 5-jährigen Kindern ein zweijähriges Interventionsprogramm mit einer 1 000 ppm Fluorid-Zahnpasta durch, um Kinder und deren Eltern zum regelmäßigen Zähneputzen zu motivieren. Im Ergebnis fiel der Karieszuwachs in der Prüfgruppe um 16 Prozent niedriger aus als in der Kontrollgruppe. Der bessere Effekt in der hier thematisierten Studie ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Kinder in der Prüfgruppe durch die Zahnputzfeen täglich sorgfältig angeleitet und – wenn nötig – beim Zähneputzen unterstützt wurden.

Ellwood et al. [2004] untersuchten bei 3 467 5-jährigen Kindern unter Einbeziehung des Faktors Deprivation, wie effektiv Zahnpasten mit 440 und mit 1450 ppm Fluoridgehalt sind. Dabei zeigte sich eine ausgeprägte Korrelation mit dem Kariesrisiko. In den Gebieten mit den höchsten dmf-t-Werten konnten für die Zahnpasten mit 440 und mit 1 450 ppm ähnliche Effekte erzielt werden.

Davies et al. [2004] überprüften in einer Studie an 3 731 Kindern im Alter von zwölf Monaten und von sechs Jahren den Karies reduzierenden Effekt zweier Zahnpasten mit 440 und mit 1 450 ppm F-Gehalt. Die Versorgung der Familien mit den zu testenden Zahncremes erfolgte auf dem Postweg. Als die beteiligten Kinder sechs Jahre alt waren, wurden sie in der Schule zahnärztlich untersucht. Im Ergebnis war für die 1450 ppm-Gruppe ein mittlerer dmf-t von 2,15 und für die 440 ppm-Gruppe ein Mittelwert von 2,49 zu verzeichnen. Der dmf-t der Kontrollgruppe betrug 2,57. Damit zeigte sich (bei nicht überwachtem Zähneputzen) ein Effekt beider Zahnpasten, allerdings konnte der Unterschied zwischen der 440-ppm-Gruppe und der Kontrollgruppe nicht statistisch gesichert werden. Das im Vergleich zu dieser Studie schlechtere Ergebnis ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Zahnpasta auf dem Postweg versandt wurde und die Durchführung der Mundhygiene den Eltern allein überlassen blieb.

Besonders erfreulich: In der Prüfgruppe konnten dmf-t-Inkremente  6 weitgehend vermieden werden. Wenn es bei einzelnen Kindern aus der Prüfgruppe doch zu einem deutlichen Karieszuwachs kam, so vermutlich deshalb, weil diese Kinder extrem häufig kariogene Kost zu sich nahmen. Die Konsequenzen einer solchen Fehlernährung lassen sich durch regelmäßige Zahnpflege zwar abmildern, doch können Fluoride allein – vor allem wenn sie, wie in Kinderzahnpasten, niedrig konzentriert sind – Zahnschäden nicht vollständig ver hindern. Erwartungsgemäß zeigten sich die Unterschiede im Kariesinkrement vor allem bei den Seitenzähnen. Frontzähne stehen vor allem im ersten bis dritten Lebensjahr unter Risiko, beispielsweise wegen nächtlicher Gabe der Saugerflasche. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die Kinder in der Kontrollgruppe ebenfalls (durch ihre Eltern) eine präventive Betreuung erfuhren und mehrheitlich mit einer Fluoridzahnpasta die Zähne putzten. Hätten die Kinder aus der Kontrollgruppe eine Placebo-Zahnpaste verwendet, ein Vorgehen, das sich heute aus ethischen Gründen verbietet, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit ein noch größerer Effekt der Intensivzahnpflege zu beobachten gewesen.

Offensichtlich gelingt es heute einer deut- lichen Mehrheit der Eltern ( 60 Prozent), ihre Kinder auch ohne Intensivzahnpflege im Kindergarten bis zur Einschulung ohne Karieserfahrung aufwachsen zu lassen. Dies ist zwar ein erfreuliches Ergebnis, doch sind wir damit immer noch weit von der Zielvorgabe der BZÄK (80 Prozent der 6-Jährigen ohne Karieserfahrung im Jahr 2020) entfernt [Oesterreich/Ziller, 2005]. Deshalb müssen Pädiater und Zahnärzte ihren Fokus in den nächsten Jahren verstärkt auf die Bekämpfung der sECC richten. Dabei kann keine der beiden Gruppen allein erfolgreich sein.

In der Regel erfolgen die ersten Kontrollen der Gebissgesundheit im Säuglings- und Kleinkindalter bei Kinderärzten im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen (U4-U9). Allerdings wird die Zahnkaries erst bei der U7 (21. bis 24. Lebensmonat) erfasst.

Handlungsempfehlungen

Sinnvoller erscheint es, die Zahngesundheit frühzeitig durch den Zahnarzt genau kontrollieren zu lassen. Allerdings nicht erst – wie gesetzlich vorgesehen – zwischen dem 30. und dem 42. Lebensmonat!

Seit dem Jahr 1999 können gesetzlich versicherte Kinder an den zahnärztlichen Frühuntersuchungen (FU 1-3) teilnehmen, die die Erkennung von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko vereinfachen sollen. Diese beinhalten neben der Identifikation von Kindern mit hohem Kariesrisiko eine Ernährungs- und Mundhygieneberatung der Eltern. In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland vielfältige Anstrengungen unternommen, speziell bei Klein- und Vorschulkindern die Zahngesundheit zu verbessern [Strippel, 2004; Günay et al., 2007; Laurisch, 2009].

Leider konnte bei der Bekämpfung der ECC bisher kein durchgreifender Erfolg verzeichnet werden. Vielmehr zeigen die DAJ-Studien 2004 und 2009 [Pieper, 2005; Pieper, 2010], dass sich der „Caries decline“ an Milchzähnen verlangsamt hat. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich die Bekämpfung der Milchzahnkaries so schwierig gestaltet. Der Kern des Problems liegt unter anderem in der mangelnden Erreichbarkeit bestimmter Familien, beispielsweise solcher in sozial schwieriger Lage.

Neben den bereits eingeführten Maßnahmen, die im Rahmen der pädiatrischen (U1-U9) und zahnärztlichen (FU1-FU3) Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden, sollte ein verbessertes Konzept zusätzlich folgende Eckpunkte umfassen:

• Identifizierung eines für die Zähne kritischen Ernährungsverhaltens spätestens ab der pädiatrischen U6 und unmittelbarer Beginn einer Intensivberatung für Familien, bei denen sich ein Potenzial für die Entwicklung einer ECC abzeichnet

• Sehr frühe Diagnose bereits kleinster Schmelzveränderungen an den oberen Milchschneidezähnen („Lift the Lip“-Technik) und gebebenenfalls Einleitung einer ACT-Therapie

• Einführung einer durch „Zahnputzfeen“ überwachten Intensivzahnpflege in Kindergärten in sozial problematischen Settings

Schädliche Habits in der frühkindlichen Ernährung

Wie können Eltern dazu bewegt werden, auf schädliche Angewohnheiten bei der Ernährung ihrer Kleinkinder zu verzichten? Feldens et al. [2007] führten in einer brasilianischen Stadt eine randomisierte Studie zur Effektivität von Hausbesuchen zur Prävention der ECC durch. Die Mütter der Prüfgruppe erhielten zu folgenden Zeitpunkten eine Ernährungsberatung: zehn Tage nach der Geburt, dann monatlich bis zum 6. Lebensmonat sowie im 8., im 10. und im 12. Lebensmonat. Die Beratungen wurden von speziell ausgebildeten Hilfskräften („fieldworkers“) durchgeführt und orientierten sich an den WHO-Empfehlungen „10 Schritte zu einer gesunden Ernährung für Kinder unter 2 Jahren“. Die Mütter der Kontrollgruppe nahmen nur die üblichen Termine beim Kinderarzt wahr. Im Ergebnis wiesen am Ende des ersten Lebensjahres 10,2 Prozent der Kinder der Prüfgruppe und 18,3 Prozent derjenigen aus der Kontrollgruppe Karies auf. Das Risiko an Karies zu erkranken, lag in der Prüfgruppe also um 48 Prozent niedriger.

Weinstein et al. [2004] führten eine Studie durch, mit der sie die Wirkung motivierender Gesprächsführung („Motivational Interviewing“/MI) auf Eltern von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko im Vergleich zu traditioneller Gesundheitserziehung untersuchten. Sie bezogen 240 Kinder (Alter: sechs bis 18 Monate) in ihre Studie ein, die randomisiert auf die Prüf- und die Kontrollgruppe aufgeteilt wurden. Als Beraterinnen für die Eltern wurden Frauen aus derselben Migrantengruppe verpflichtet. Die Abschlussuntersuchung nach einem Jahr ergab für die Prüfgruppe mit MI einen mittleren dmf-t von 0,71, während der dmf-t in der Kontrollgruppe bei 1,91 lag.

Die Implementierung eines Konzepts für eine bessere Beratung von Eltern mit kleinen Kindern kann nur dann kostengünstig realisiert werden, wenn bestehende Strukturen in Anspruch genommen werden. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob speziell die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen U5 und U6 verstärkt dazu genutzt werden sollten, kritische (risikobehaftete) Fütterungspraktiken junger Eltern anhand spezieller Anamnesebögen aufzudecken. Fallen dabei problematische Verhaltensweisen auf, wie beispielsweise die nächtliche Gabe der Saugerflasche zum Dauergebrauch, können die Eltern nach dem von Weinstein et al. [2004] empfohlenen Konzept intensiver beraten werden. Da die Inanspruchnahme der U6 bei deutlich mehr als 90 Prozent liegt, besteht die Chance, auf diese Weise zusätzliche Eltern zu erreichen und zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen. Ähnlich könnte beim Familien- oder beim Kinderzahnarzt vorgegangen werden.

Frühdiagnose an den Milchschneidezähnen

Bei allen Bemühungen um eine verstärkte Ernährungsberatung junger Familien wird es aber immer noch einige Eltern geben, die nicht willens oder fähig sind, ihr Verhalten zu ändern. Deshalb muss in einem zweiten Schritt die Frühdiagnose der ECC verbessert werden. Betrachtet man nämlich die Terminierung der pädiatrischen (U1-U9) und der zahnärztlichen (FU1-FU3) Frühuntersuchungen, so fällt auf, dass gerade im Zeitraum zwischen dem ersten Geburtstag und dem 21. Lebensmonat, in dem Kleinkinder üblicherweise eine sECC entwickeln, eine große Betreuungslücke (von circa acht Monaten) klafft. Außerdem ist die Untersuchung der Zähne erst anlässlich der U7 (21. bis 24. Lebensmonat) vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt sind bei schweren ECC-Fällen die oberen Schneidezähne in der Regel bereits vollständig zerstört.

Aus diesen Überlegungen folgt zwingend, dass speziell die Schneidezähne im Oberkiefer bereits bei der U6 durch den Kinderarzt beurteilt werden müssen. Dabei sind besonders die zervikalen Bereiche der Labialflächen und die Palatinalflächen in Augenschein zu nehmen. Dabei sollte die „Lift the Lip“-Technik angewendet werden, die vom Ministry of Health Neuseelands [2008] erstmalig beschrieben wurde. Dies setzt voraus, dass die Pädiater zuvor geschult werden, auch minimale Veränderungen des Schmelzes im Sinne einer „White spot“-Läsion zu erkennen. Stellt der Pädiater Schmelz- oder Dentinläsionen fest, so ist umgehend eine Intensivberatung in der oben beschriebenen Art durchzuführen. Liegt ein Kariesinitial vor, reicht eine Beratung allein nicht mehr aus. Vielmehr sollte eine umgehende Überweisung an den Zahnarzt erfolgen, damit dieser ein „Arresting Caries Treatment“ (ACT) einleiten kann [Yee et al., 2009]. Eine Aufgabe, die in die Hand des Zahnarztes gehört, weil dieser hierfür besser ausgebildet ist als ein Kinderarzt. ACT ist eine Methode, die in erster Linie für Entwicklungs- und Schwellenländer entwickelt wurde, in denen nur ein Bruchteil der benötigten zahnärztlichen Behandlungskapazität zur Verfügung steht. ACT basiert auf der Anwendung von Silberdiamminen, die das Voranschreiten kariöser Läsionen wirksam zum Stillstand bringen. Da die Methode mit einer Schwarzverfärbung der Zähne einhergeht, sollte bei unserem Stand der Zahnmedizin ein anderes Vorgehen gewählt werden: Nach einem speziellen Zahnpflegetraining werden die demineralisierten Schmelz-bezirke im Abstand von einigen Wochen wiederholt mit Fluorid- und/oder einem Chlorhexidinlack (beispielsweise Cervitec®) touchiert. Dieses Vorgehen ist zwar nicht ganz so wirksam [Chu et al., 2002], führt aber auch zum Erfolg und wird von unseren Patienten und deren Eltern besser akzeptiert. Auf diese Weise kann bei entsprechender Compliance der Eltern die beginnende Karies entweder vollständig remineralisiert oder – sofern sie weiter vorangeschritten ist – in ein chronisches Stadium überführt, also quasi „eingefroren“ werden. Tabelle 1 stellt beispielhaft den Ablauf einer entsprechenden Behandlung dar, die innerhalb von einigen Monaten zur kompletten Arretierung der kariösen Läsionen führte. Durch die ACT-Behandlung kann gebenenfalls Zeit gewonnen werden, bis sich das Kind regulär behandeln lässt. Werden die Läsionen sehr früh entdeckt, kann eine invasive Behandlung unter Umständen vollständig vermieden werden.

Um die Lücke zwischen den pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen U6 und U7 zu schließen, erscheint die Einführung einer zusätzlichen Vorsorgeuntersuchung beim Zahnarzt, die spätestens zwischen dem 15. und dem 20. Lebensmonat stattfinden sollte, zwingend erforderlich. Anlässlich dieser Untersuchung in der Zahnarztpraxis können durch falsches Trinkverhalten ausgelöste initiale kariöse Läsionen an oberen Milchschneidezähnen rechtzeitig entdeckt werden. Stellt der Zahnarzt eine beginnende sECC fest, sollte er eine intensivierte Beratung durchführen, ein ACT einleiten und – in Absprache mit den Eltern – seine Befunde an den Kinderarzt rückkoppeln, damit dieser anlässlich der U7 die Elternberatung vertiefen kann. Die Kinderärzte hingegen sollten dazu angehalten werden, anlässlich der U6 (10. bis 12. Monat) die Eltern dazu zu motivieren, ihr Kind in der Zahnarztpraxis vorzustellen.

Intensivzahnpflege in Brennpunkt-Kitas

Wie die Studie verdeutlicht, kann mit einer Intensivzahnpflege in Kindergärten eine zusätzliche Hemmung des Karieszuwachses von etwa 20 Prozent erreicht werden. Die Tatsache, dass auch in der Kontrollgruppe 64 Prozent der Kinder keine neue Karies entwickelten, zeigt, dass eine Intensivzahnpflege im Kindergarten nur für etwa ein Drittel aller Vorschulkinder benötigt wird. Da die Krankheitslast bezüglich Karies in verschiedenen Kindergärten sehr unterschiedlich ist, sollte die Intensivzahnpflege wegen der damit verbundenen Kosten nur in den 25 Prozent der Einrichtungen angeboten werden, in denen die Kinder mit dem höchsten Kariesrisiko aufzufinden sind. Die Auswahl der Kindergärten kann anhand von Sozialdaten oder aber anhand der dmf-t-Verteilung der verschiedenen Einrichtungen erfolgen.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Klaus Pieper

Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde

Georg-Voigt-Str. 3

35033 Marburg

pieper@med.uni-marburg.de

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