13. Internationales Symposium Forensische Odontostomatologie

Vorbereitung auf die Katastrophe

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Auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand und optimal präpariert – auch in Zeiten ohne Massenkatastrophen mit einer Vielzahl von Verletzten und Toten etabliert sich das Symposium Forensische Odontostomatologie der Bundeswehr als wichtiger Fortbildungsort für zivile und militärische „Forensik-Zahnärzte“.

Mehr als einhundert Zahnärzte und Kriminalisten aus dem In- und Ausland (Österreich, Schweiz, Frankreich, Niederlande und Belgien) waren der Einladung von Oberstarzt Dr. Klaus-P. Benedix in die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München gefolgt. Nach der Eröffnung durch Benedix folgten die Grußworte von Generalarzt Dr. Erika Franke, Stellvertreterin des Amtschefs des Sanitätsamtes der Bundeswehr und Chefin des Stabes, sowie Generalarzt Dr. Stephan Schoeps in seiner Funktion als Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr.

Franke lobte sowohl die zivil-militärische als auch die nationale und internationale Zusammenarbeit im Bereich der forensischen Odontostomatologie. Die japanische Atomkatastrophe vom Frühjahr 2011 habe erneut gezeigt, wie schnell der „forensisch-odontologische Notfall“ eintreten kann. Schoeps betonte, dass im Fall einer Katastrophe „Angehörige Gewissheit haben wollen“ – insbesondere bezüglich der Identität der Verstorbenen. Er sei nach wie vor verwundert, dass beispielsweise keine DNA-Datenbanken von Bundeswehrangehörigen vorgehalten werden. Dieser Umstand wurzelt im Wesentlichen darin, dass immer wieder Datenschutzgründe zur Einrichtung einer derartigen Datenbank vorgeschoben werden. Bundeswehr-Angehörige waren in den letzten Jahren nicht im Rahmen von (Massen-)Katastrophen verstorben, sondern konnten auch ohne DNA-Vergleich sicher identifiziert werden.

Übung des Bundeskriminalamts

Dass die Identifizierungskommission (IDKO) des Bundeskriminalamts auch in Jahren ohne größere Katastropheneinsätze äußerst aktiv ist, zeigten die Vorträge von Kriminalhauptkommissar Frank Welz und Regierungshauptsekretär Jürgen Thel: Welz erläuterte eine Übung der IDKO vom Sommer 2011 in Berlin. Bei einer simulierten Sprengstoffexplosion in einem stillgelegten U-Bahn-Tunnel wurden gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk zahlreiche „Verletzte“ und 30 „Tote“ geborgen. Dabei übernahmen die IDKO-Mitglieder die Identifizierung der Toten – in dieser Übung an präparierten Schaufensterpuppen. In der anschließenden Präsentation gab Thel einen Überblick über die logistische Ausstattung der IDKO. Dabei zeigte er die Entwicklungen der letzten vier Jahrzehnte auf, insbesondere den Einzug der elektronischen Datenverarbeitung in den Identifizierungsprozess.

Zahnärztliche Dokumentation

In einem weiteren Vortrag wies Oberstarzt Benedix auf die Wichtigkeit der zahnärztlichen Dokumentation hin – unter besonderer Berücksichtigung der antemortalen Befunderhebung – und benannte die verschiedenen Rechtsgrundlagen. Er betonte, dass jeder Patient ein Recht auf Einsichtnahme in seine Krankenakte habe. Insbesondere vor Gericht gelte stets der forensische Grundsatz: „Was in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert ist, wurde auch nicht erbracht.“

Anschließend erläuterte Dr. Karl-Rudolf Stratmann, Köln, die „Grundlagen eines zahnärztlichen Privatgutachtens“. Wichtig sei, dass jeder Zahnarzt für Patienten und Gerichte ein zahnmedizinisches Gutachten erstellen darf, ohne dass hierfür eine zusätzliche Qualifikation nötig ist. Der Aufbau eines Gutachtens, die Einsichtnahme in weitere prozessrelevante Unterlagen und Fachbegriffserläuterungen wie „nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst“ waren Eckpunkte dieses Vortrags.

Gewaltdelikte gegenüber Kindern kommen leider immer wieder vor. Da Zahnärzte oftmals die einzigen sind, die derartige Verletzungen im Rahmen ihrer Berufsausübung feststellen, haben die Zahnärztekammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe in Zusammenarbeit mit dem Landesverband NRW des Deutschen Kinderschutzbundes und dem Arbeitskreis für Forensische Odontostomatologie (AKFOS) einen vierseitigen Befundbogen herausgegeben, um verletzungsbedingte Befunde zu dokumentieren. Anhand der vorgegebenen Aufteilungen und Fragestellungen soll sichergestellt sein, dass nichts Wesentliches vergessen wird. Dieser Bogen kann bei späteren juristischen Bewertungen von großer Relevanz sein. Dr. Dr. Claus Grundmann, Duisburg, präsentierte diesen Befundbogen. Durch Bildmaterial aus dem forensischen Alltag konnte er demonstrieren, welche relevanten Befunde hierbei schriftlich niederzulegen sind.

Prof. Dr. Rüdiger Lessig, Halle/Saale, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den modernen radiologischen Methoden innerhalb der Rechtsmedizin, insbesondere unter dem Aspekt der „forensischen Identifizierung“. Er referierte über ausgewählte Beispiele der Computertomografie des Schädels, Osteosynthesematerial in unterschiedlichen Körperregionen und die dentale Radiografie zum Nachweis von Wurzelanatomie, -füllungen und -spitzenresektionen. Anschließend referierte Lessig umfassend zu den Neuigkeiten aus dem Bereich der forensischen Genetik – Themen von zukunftsweisender Bedeutung.

Neuigkeiten aus der Holografie

Beispiele der modernen Holografie, einer Methode der Weichteilrekonstruktion des Hirn- und Gesichtsschädels bei (teil-)skelettierten Leichen, waren Inhalt des Vortrags von Dr. Frank Prieels, Haarltelt/Belgien: Unterschiedliche Messpunkte an Stirn, Orbita, Nasenspitze und Kinn dienen als Referenzpunkte, um mit den entsprechenden Werten Gesichtsweichteilrekonstruktionen im Rahmen von forensischen Identifizierungen durchzuführen.

Oberstarzt Benedix betonte in einem weiteren Vortrag, dass das Risiko von chemischen, biologischen oder radioaktiven/nuklearen Schadenslagen mit oder ohne explosiven Stoffen (CBRNE-Lagen) weltweit zunimmt. Daher seien nationale und internationale Standards für eine Bewältigung einer derartigen Schadenslage zwingend erforderlich, um insbesondere auch das eingesetzte Personal nicht zusätzlich zu gefährden. Die erforderlichen Schutzmaßnahmen wurden ebenso vorgestellt wie die Einteilung des Schadensortes in eine „heiße Zone“, eine „warme Zone“ und eine „kalte Zone“. Dass für solche Schadenslagen Dekontaminationskonzepte vorliegen müssen, konnte anhand der existierenden Ziele verdeutlicht werden.

Welche Möglichkeiten die Thanatopraxie heutzutage bietet, war Gegenstand des Referats von Dr. Dr. Claus Grundmann. Durch die Verwendung moderner Methoden und Techniken gelinge es speziell ausgebildeten Bestattern immer wieder, anhand von Bildern, Gewalt- und Unfallopfer soweit wiederherzustellen, dass Angehörige pietätvoll von ihren Liebsten Abschied nehmen können. So sei nicht nur eine bessere und schnellere Trauerbewältigung gewährleistet – auch der gefürchtete Satz „Es ist besser, der Sarg bleibt zu!“ komme immer weniger zur Anwendung. Anhand verschiedener Beispiele konnte die hohe Kunst der Thanatopraktiker demonstriert werden: Sofern ihnen gutes, zu Lebzeiten angefertigtes Bildmaterial zur Verfügung gestellt wird, ist eine „1:1-Rekonstruktion“ fast immer möglich. Auch unbekannte Tote mit Körperverwesung und/oder -zerstörung könnten einwandfrei thanatopraktisch rekonstruiert werden. Da in diesen Fällen während der thanatopraktischen Aufbereitung kein zu Lebzeiten angefertigtes Bildmaterial vorlag, waren diese Ergebnisse für Identifizierungsabgleiche oftmals nicht verwertbar beziehungsweise unbrauchbar.

Absturz und Tsunami

Der Absturz des Air-France-Fluges AF 447 von Rio de Janeiro nach Paris über dem Atlantik am 1. Juni 2009 beschäftigt auch weiterhin die forensische Fachwelt. Nachdem 2009 50 der 216 Passagiere und zwölf Besatzungsmitglieder identifiziert werden konnten, wurde Mitte 2011 die Blackbox geortet und geborgen; gleichzeitig wurden 104 weitere Leichen – dieses Mal aus 3 900 Metern Meerestiefe – geborgen und nach Paris überführt. Zwischenzeitlich konnten 103 dieser Toten wissenschaftlich identifiziert werden, so dass insgesamt 153 der 228 Flugzeuginsassen ihre Identität aufgrund von Zahn- und DNA-Vergleichsuntersuchungen zurückgegeben werden konnte, erklärte Dr. Dr. Jean-Marc Hutt aus Straßburg, der in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Massenkatastrophen im Auftrag der französischen Regierung forensisch-odontologisch begleitet hat.

In einem weiteren Vortrag berichtete Oberstleutnant Karl-Heinz Wochermayr aus Salzburg über den Einsatz des Krisenunterstützungsteams des österreichischen Bundesinnenministeriums anlässlich der Nuklear- und Tsunami-Katastrophe in Fukushima im März 2011. Ziel sei gewesen, sich um die in Japan befindlichen Österreicher zu kümmern. Wochermayr und seine Kollegen unterstützten 70 Landsleute für die Ausreise mit Dokumenten, Flugtickets und Lebensmitteln und halfen bei der Umsiedlung der österreichischen Botschaft von Tokio nach Osaka. Zudem reisten sie mit Strahlenmessgeräten ausgerüstet bis auf 100 Kilometer an Fukushima heran, um Risikoeinschätzungen für die Bevölkerung vornehmen zu können.

Das Symposium hat mit interessanten Vorträgen bewiesen, dass es einen festen Platz innerhalb der nationalen und internationalen forensischen Fachwelt hat. Das kommende, 14. Internationale Symposium Forensische Odontostomatologie findet vom 5. bis zum 7. Dezember 2012 an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München statt.

Dr. Dr. Claus GrundmannRuhrorter Str. 19547119 Duisburgclausgrundmann@hotmail.com

Oberstarzt Dr. Klaus-P. BenedixDachauer Str. 12880637 Münchenklauspeterbenedix@bundeswehr.org

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