Umgang mit alkoholkranken Patienten

Jeder Schluck ist ungesund

Millionen Menschen in Deutschland haben Alkoholprobleme. Früher oder später wird also auch der Zahnarzt mit betroffenen Patienten konfrontiert. Wie geht er am besten mit ihnen um? Wie spricht er das Problem an? Und wie kann er sie zu einem Umdenken bewegen?

Alkohol ist das am weitesten verbreitete und am leichtesten zugängliche Suchtmittel in der Bundesrepublik. Während zum Beispiel Tabak durch Steuererhöhungen und Rauchverbote immer weiter zurückgedrängt wird, werden Bier, Schnaps und Co. fröhlich weiter getrunken. Jeder fünfte Einwohner in Deutschland hat nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) einen riskanten Alkoholkonsum, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geht bei circa 3,4 Millionen Bundesbürgern von Alkoholmissbrauch beziehungsweise Alkoholabhängigkeit aus.

Angesichts dieser Zahlen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch Zahnärzte in ihren Praxen auf Patienten mit Alkoholproblemen treffen. Die BZgA schätzt, dass jeder zehnte Patient, der die Praxis eines niedergelassenen Arztes aufsucht, Alkohol missbraucht oder davon abhängig ist. Bei Zahnärzten dürften die Zahlen in ungefähr derselben Größenordnung liegen.

Risiko für Mundkrebs

Die Lebensweise hat Auswirkungen auf die Mundgesundheit – das gilt auch für den (übermäßigen) Konsum von Alkohol. Besonders gefährlich sind dabei hoch- prozentige Getränke. Veränderungen der Mundschleimhaut können die Folge sein, das Robert Koch-Institut (RKI) nennt unter anderem Candidosen, Leukoplakien und Lichen ruber planus. Zudem wird die Gefahr größer, an Parodontitis zu erkranken. Leukoplakien und Lichen ruber gelten als Vor- stadien für Mundhöhlentumore, für die Alkohol neben Tabak ein Hauptrisikofaktor ist. Oft spielt der kombinierte Konsum von Tabak und Alkohol eine Rolle. Das Risiko für eine Krebserkrankung steigt nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie je nach der Menge des Tabak- und Alkoholkonsums mindestens bis zum 15-Fachen – verglichen mit einer Person, die nicht raucht oder keinen Alkohol trinkt.

Das RKI weist darauf hin, dass neben den oralen Erkrankungen diese Faktoren auch die daraus resultierende konservierende beziehungsweise prothetische Versorgung beeinflussen.

Bei Männern gelten laut DHS 24 Gramm reiner Alkohol pro Tag als Grenzwert zwischen risikoarmem und riskantem Konsum, bei Frauen sind es zwölf Gramm. 24 Gramm reiner Alkohol entsprechen zum Beispiel einem halben Liter Bier.

Vertrauen ist wichtig

Aber auch abseits der unmittelbaren zahnmedizinischen Folgen sind suchtkranke Patienten für den Zahnarzt in der Praxis eine besondere Herausforderung. Wie am besten mit ihnen umgehen? Das Eingestehen von Alkoholproblemen fällt den meisten Betroffenen schwer. Scham, Unsicherheit und ein Verlust des Selbstwertgefühls gehen damit einher. Deshalb sind vom Zahnarzt große Sensibilität und hohe soziale Kompetenz gefordert, will er den Patienten auf seine Suchtproblematik ansprechen. Nur mit medizinischen und beraterischen Strategien kann er bei den Betroffenen etwas bewirken.

Die BZgA weist darauf hin, dass heute – im Gegensatz zu früheren Annahmen – der Ausstieg aus der Abhängigkeit nicht grundsätzlich vom Erleben eines „Tiefpunkts“ abhängt, sondern durch gezielte Intervention schon in einem früheren Stadium möglich ist.

Hier kann der Zahnarzt durch eine sogenannte „ärztliche Kurzintervention“ eingreifen. Sie soll den Patienten motivieren, sein Verhalten zu ändern und bei Bedarf in weiterführende suchtspezifische Beratungs- und Behandlungseinrichtungen vermitteln. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient erhöht die Aussicht auf Erfolg.

Nicht zu viel drängen

Vermutet der Zahnarzt bei einem Patienten ein Alkoholproblem und will intervenieren, muss er bedenken, dass dem Betroffenen selbst das Problem oft nicht bewusst ist – obwohl es von außen erkannt wird. „Man muss eine Haltung und Sensibilität für Abhängigkeit und Missbrauch entwickeln“, erläutert Andrea Mühling vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin. Der Betroffene denkt über eine Änderung seines Verhaltens gar nicht nach. Deswegen empfiehlt die BZgA Informationen und Rückmeldungen, um überhaupt ein Problembewusstsein zu entwickeln. „Es ist ganz wichtig, ins Gespräch zu kommen“, erklärt Mühling. Ein unmittelbarer Vorschlag zur Verhaltensänderung empfiehlt sich aber in dieser frühen Phase noch nicht. Erst müssen ein Kontakt und ein positives Klima aufgebaut werden, um den Alkoholkonsum zum geeigneten Zeitpunkt ansprechen zu können.

Erst wenn der Betroffene bereit ist, sich seinem Missbrauch zu stellen, kann er sich auch für eine Verhaltensänderung entscheiden. In dieser Phase schwankt er noch zwischen dem Wunsch nach Änderung und dem Wunsch weiterzumachen wie bisher. Der Zahnarzt als Berater kann dann Anstöße für eine Verhaltensänderung geben. Man könne zum Beispiel gemeinsam über die Folgen für Alltag und Gesundheit nachdenken, sagt Mühling. Auch die Einbeziehung von Familienangehörigen kann – wenn möglich – hilfreich sein.

Setzt sich der Patient ernsthaft mit einer Veränderung auseinander, muss er durch Beratung (eher von einem spezialisierten Arzt oder eine Suchtberatungsstelle als vom Zahnarzt) eine realistische Veränderungsstrategie entwickeln. Danach kann er konkrete Schritte hin zu einer Verhaltensänderung unternehmen. Diese muss er dann festigen und als dauerhaftes Verhalten stabilisieren. Zu bedenken ist aber, dass ein Rückfall in alte Missbrauchsmuster eine normales Ereignis ist. Wichtig für den Betroffenen ist, nicht in diesem Stadium zu verharren, sondern erneut die Verhaltensänderung anzugehen.

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