Deutscher Zahnärztetag

Vom Wesen der Werte

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Feierliche Eröffnung am 7. November in der Frankfurter Paulskirche: Mehr als 500 Vertreter aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Verbänden folgten der Einladung von BZÄK, KZBV und DGZMK zum Auftakt des Deutschen Zahnärztetages. Welche Rolle spielt die Selbstverwaltung? Was ist die richtige Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität? Und wofür steht die Wissenschaft? Die Bedeutung von Werten in Berufsstand und Gesellschaft stand im Zentrum der Veranstaltung.

Die freiheitliche zahnärztliche Selbstverwaltung unseres Berufsstands, die freie Ausübung unseres Heilberufs und ein unbürokratisches Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient – das sind wichtige politische Konstituenten für ein intaktes Gesundheitswesen, unabhängig vom politischen Farbenspiel in Berlin oder Brüssel.“ Mit diesen Aussagen begrüßte der Präsident der BZÄK, Dr. Peter Engel, die Gäste des Festakts zum Deutschen Zahnärztetag. Engel verwies auf die Eigenverantwortung, die im Zuge des demografischen Wandels für alle an Bedeutung gewinne und unterstrich dabei die Rolle der Selbstverwaltung. Der freiberufliche Zahnarzt sei ein wichtiger Garant für eine qualitativ hochwertige Zahnmedizin nah am Patienten. Kammern förderten die Einhaltung von Berufsnormen und -pflichten ebenso wie die stetig hohe Qualität der Aus- und Fortbildung. Und die zahnärztliche Berufsorganisationen dienten als „fachliche Seismografen“, die frühzeitig erkennen könnten, wo Unebenheiten im System bestehen. So habe die Zahnärzteschaft mit dem Konzept der reformierten Dualität beispielsweise aufgezeigt, wie das System von GKV und PKV wieder zukunftsfest gemacht werden könne.

Damit habe man noch vor den Koalitionsverhandlungen einen wichtigen fachlichen Kontrapunkt zur Einheitsversicherung gesetzt.

Auch zu anderen Zukunftsthemen leiste der Berufsstand Input, so etwa zu Fragen der zeitgemäßen Alterszahnmedizin.

Freiberuflichkeit und eine liberale Selbstverwaltung entlasten laut Engel den Staat, machen Politik und Profession rückkopplungsfähig und helfen zu erkennen, wo Änderungsbedarf herrscht. Umso belastender sei die wachsende juristische Übersteuerung des Zahnarzt-Patienten-Verhältnisses und die schleichende Versozialrechtlichung des Berufsrechts. Engel: „Die Selbstverwaltung funktioniert – aber nur solange sie ausreichend fachliche Beinfreiheit hat.“ Vornehmste Aufgabe des Staates sei es, die Selbstverwaltung zu stärken – strukturell wie auch politisch.

Glaubwürdig und unabhängig

Der scheidende DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake verwies auf die Rolle der Wissenschaft im Spannungsfeldzwischen Politik und Standespolitik, zwischen Industrie und zahnärztlicher Praxis. Wissenschaft stehe für Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit und sei neutral gegenüber politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen. Eine erfolgreiche Kooperation zwischen Politik und Wissenschaft für die Praxis könne nur dann gelingen, wenn deren eigenständige Rolle respektiert werde.

Was die Beziehung zur Industrie betrifft, dürfe eine Kooperation zwischen beiden Bereichen nicht „dämonisiert“ werden, denn diese sei für die Weiterentwicklung des Faches unverzichtbar. Die Zusammenarbeit müsse aber den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gehorchen. Schliephake sprach sich für eine kontrollierte Zusammenarbeit aus, wie sie beispielsweise in den Ausschreibungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erfolge. Hier würden Unternehmen und forschende Institutionen in wissenschaftlichen Projekten zusammengeführt, um an gemeinsamen Lösungen für bestimmte Ideen zu arbeiten. Eine solche Art der Forschung werde durch die von der DGZMK gegründete Agentur für Wissenschaftsförderung unterstützt. Eine weitere Ebene der Zusammenarbeit stelle die Bewertung von Therapien und Techniken dar. Bei den daraus abgeleiteten Behandlungsempfehlungen oder Leitlinien sei die strikte Wahrung von Neutralität und Unabhängigkeit unabdingbar. Es gelte, die nötige Sensibilität zu entwickeln, um das Instrument der Leitlinie als Wissenschaft selbst in der Hand zu behalten.

Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis bezeichnete Schliephake als das vielleicht „emotionalste“. Man müsse zu einer Form der Lehre kommen, die mehr fördert und weniger auf hierarchischen Strukturen aufbaut. Kollegen in der Praxis müssten mit praktisch nutzbarer Information versorgt werden, um eine Brücke zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der täglichen Arbeit zu schlagen.

Gleichgewicht sorgfältig austarieren

Gerade auf einem so komplexen Feld wie dem Gesundheitswesen komme es auf ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht an, betonte der neu gewählte Vorsitzende des Vorstands der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer. Eine echte Balance müsse sich auf drei Ebenen auswirken. Zum ersten betreffe dies das Verhältnis zwischen Zahnärzte und Krankenkassen. Eßer forderte eine Rückbesinnung auf die originären Aufgaben von Zahnärzten und Kostenträgern. Er verwehrte sich gegen die „untragbaren Vorwürfe“ an den Berufsstand zur Korruption: „Die Kassen wollen uns Heilberufler in eine Abhängigkeit zwingen. Die Folge ist eine Kultur des Misstrauens im gesamten Gesundheitswesen.“

Als zweiten Punkt beklagte Eßer die Tatsache, dass das Gesundheitswesen durch politische Fehlvorgaben zunehmend ökonomisiert worden sei und der Zahnarzt aus seiner eigentlichen Aufgabe als Arzt und Heiler in die Rolle eines Unternehmers gedrängt worden sei, dem sämtliche unternehmerische Lasten und Bürokratielasten aufgelastet wurden, ohne ihm auch die unternehmerischen Chancen zu geben. Der Wettbewerb werde auf den Schultern der Heilberufe ausgetragen. Er stelle sich als ein Verdrängungswettbewerb unter alleinigem Preisdiktat dar und nicht als Wettbewerb um die beste Versorgung, wie es eigentlich in einem „vernünftigen“ Gesundheitssystem sein sollte.

Drittens forderte Eßer ein Gleichgewicht zwischen Eigenverantwortung und Unterstützung durch die Gemeinschaft, denn das Solidarsystem könne nicht beliebig große finanzielle Lasten tragen. Jeder Einzelne müsse sich nach Kräften um seine Gesundheitsvorsorge bemühen. Dann eröffneten sich auch ausreichende Möglichkeiten, diejenigen zu unterstützen, denen die Kraft zur Selbsthilfe fehle.

Wenn es gelingt, auf diesen drei Ebenen die Balance zu halten, könne das große Versorgungsziel der Zahnärzte erreicht werden, nämlich allen Menschen über den gesamten Lebensbogen einen gleichberechtigten und barrierearmen Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung zu ermöglichen. Doch dazu sei der Berufsstand auf die Politik angewiesen. „Wir wollen einen Wettbewerb um die beste Versorgung und nicht um den niedrigsten Preis.“ Und: „Nur durch gesunden Wettbewerb wird die Basis gelegt für eine wirtschaftliche Unabhängigkeit und politische Planungssicherheit, die wir im Praxisalltag benötigen.“

Freiheit und Verantwortung

Der Festredner, Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., referierte zum Thema „Werte des Westens: Selbstentfaltung im sozialen Rechtsstaat.“ Di Fabio verwies auf die Rolle des deutschen Grundgesetzes mit dem verbrieften Recht aller Menschen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dies bedeute, dass nicht etwa kollektive Zwecke im Vordergrund stünden, sondern dass das Individuum im Mittelpunkt stehe. Di Fabio: „Was aus der Gesellschaft wird, hängt von den Menschen ab, die die Freiheiten nutzen.“ Die liberale Idee sei in der Verfassung verankert. Wer Menschen helfen will, habe gleichzeitig das Gemeinwohl im Auge. Auch an die eigene Existenz zu denken, sei konstruktiv für diese Gesellschaftsordnung, sagte er mit Blick auf den zahnärztlichen Berufsstand. Und wenn ein Rechtsstaat Hilfe leiste, dann immer so, dass der Hilfsbedürftige sich künftig frei entfalten könne. Verfassungsmäßig gewollt sei eine Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung.

Di Fabio verwies auf die Krise des Westens:

Nicht die demografische Entwicklung sei das Grundproblem der heutigen Gesellschaft, sondern Strukturprobleme, Überliquidität und ein Hang zur Überbürokratisierung. Der Westen müsse den Aufbruch wagen hin zu einer neuen Epoche. Dazu gehöre weniger staatliche Bevormundung, mehr Leistungsfreude und mehr Gemeinschaftssinn.

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