Leitartikel

Barrieren sind kein Randproblem

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

„Barrieren abbauen“ – unter diesem Motto wollen zahnärztliche und ärztliche Standesorganisationen am 9. September in Berlin für ein Thema sensibilisieren, das in unserer Gesellschaft deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. In Deutschland leben 9,6 Millionen Menschen mit Behinderungen. Deren Probleme sind alles andere als soziale Randphänome. Interne Betroffenen-Diskussionen reichen hier nicht mehr. Das Thema ist längst eines, das – wie der Ärztliche Direktor der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Prof. Dr. Michael Seidel, zutreffend betont – in die Mitte dieser Gesellschaft gehört (siehe auch das Interview in dieser zm-Ausgabe).

Deutschlands Zahnärzteschaft, insbesondere Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, widmen sich seit Längerem aktiv genau dieser Aufgabe. BZÄK, KZBV und Wissenschaft haben ihr Konzept „Mundgesund – trotz Handicap und hohem Alter“ auf Expertenebene und im politischen Bereich zur Diskussion gestellt, mit der Folge, dass erste vertragszahnärztliche Leistungsbeschreibungen Eingang ins SGB V gehalten haben.

Seit Jahren ist der Berufsstand bereits aktiv. Viele – auch berufsgruppenübergreifende – Modell- und Betreuungsprojekte, zahnärztlich initiierte karitative Hilfsaktionen, Beratungsstellen zahnärztlicher Organisationen, aber auch im Berufsstand praktizierte Fortbildungen und spezifische Informationsformen zum Themenkreis tragen dazu bei, dass wahrgenommen wird, wie aktiv der Berufsstand mit diesen Herausforderungen umgeht. Allerdings ist für Menschen mit Behinderung leistungsrechtlich auch zur Verbesserung der Prävention noch nichts geschehen.

Wenn sich Ärzte und Zahnärzte am 9. September zusammen mit Politikern und Betroffenenorganisationen zu einem Erfahrungsaustausch treffen, dann ist das ein weiterer Versuch, Barrierefreiheit aktiv anzugehen. BZÄK und KZBV sehen sich – im Einklang mit BÄK und KBV – dieser Aufgabe verpflichtet. Nicht nur aus dem Heilauftrag heraus, sondern mit dem gebündelten Sachverstand, den kluges gesellschaftliches Handeln hier erfordert.

Wir Zahnärzte und Ärzte wissen aber auch, dass berufsständische Selbsthilfe und zahn-/-medizinische Expertise nur ein Teil der Wegstrecke zu mehr Barrierefreiheit sind. Wir erreichen dieses Ziel nicht, wenn wir nur vor unserer eigenen Haustür kehren. Es geht um mehr als „nur“ darum, Deutschlands Zahnarzt- und Arztpraxen weitgehend barrierefrei zu gestalten. Letztlich sind wir auch Wächter für Leuchtturmprojekte, die barrierefreies Denken und Handeln erst gesellschaftsfähig machen.

Deshalb initiieren und verfolgen wir ganz bewusst solche Wege, die Lösungen gemeinsam mit anderen Gruppen, zum Beispiel aus Pflege und Altenhilfe, angehen. Probleme aus der Mitte dieser Gesellschaft lassen sich nur durch die Anstrengung vieler Beteiligter erfolgreich bewältigen. Die Berliner Kooperationstagung ist ein Anstoß genau in diese Richtung. Sie soll neue Impulse geben, idealiter sogar neue Ideen initiieren.

Die Bundesregierung hat mit ihrem „Nationalen Aktionsplan“ den gesellschaftlichen Anspruch auf Inklusion von Menschen mit Behinderung(en) ausdrücklich bekräftigt. Die Veranstaltung „Barrieren abbauen“ bringt Leute zusammen, die sich dieser Thematik verpflichtet sehen und ihren Beitrag dazu leisten wollen.

Die Aktivitäten des Berufsstands – nicht zuletzt auch die Veranstaltung in Berlin – orientieren sich selbstredend vorrangig fachlich. Dennoch: Wir haben mit all unseren Bestrebungen auch einen klar definierten gesellschaftlichen Anspruch:

Expertentum und auch noch so gut ausgefeilte Konzepte helfen nicht weiter, wenn es nicht gelingt, die Barrieren in den Köpfen der Menschen abzubauen. Es geht darum, endlich übergreifend die nötige Compliance für eine barrierefreie Gesellschaft zu schaffen. Das Ziel ist es wert. Und wir sind dabei!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Dietmar OesterreichVizepräsident der Bundeszahnärztekammer

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