Ein Jahr Familienpflegezeit

Oma allein zu Haus

Mit großen Ankündigungen hat Ministerin Kristina Schröder im Januar 2012 die Familienpflegezeit eingeführt. Angestellte sollten ihren Beruf und die Pflege von Angehörigen besser vereinbaren können. Doch die Bilanz nach einem Jahr ist trübe – das Angebot wird kaum nachgefragt. Das Familienministerium verteidigt das Modell trotzdem.

Das Familienpflegezeitgesetz sollte es für  Arbeitnehmer leichter machen, wegen der Pflege eines nahen Angehörigen für einen Zeitraum von maximal 24 Monaten die  Wochenarbeitszeit auf bis zu 15 Stunden zu reduzieren. Für Arbeitgeber sollte zeitliche und finanzielle Planungssicherheit gewährleistet werden. Durch einen Entgeltvorschuss stocken sie das Einkommen der  Beschäftigten auf. Dadurch sinkt es nur halb so stark wie die Arbeitszeit. Wenn beispielsweise die Arbeitszeit von 40 auf 20 Wochenstunden verringert wird, erhalten die Arbeitnehmer ein Gehalt von 75 Prozent des  letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie nach Beendigung der Familienpflegezeit wieder voll arbeiten, bekommen dann aber zunächst weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts – so lange, bis die durch den Vorschuss vorab vergütete Arbeitszeit nachgearbeitet ist. Es gibt allerdings keinen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit, sie wird von Unternehmen nur freiwillig angeboten.

Bei der Vorstellung des Modells im Jahr 2011 zeigte man sich im Bundesfamilienministerium optimistisch. „Wir rechnen mit einer großen Inanspruchnahme“, sagte  eine Sprecherin damals. Gut 1,6 Millionen Menschen werden zu Hause von ihren  Angehörigen gepflegt.

Erwartung nicht erfüllt

Doch die Familienpflegezeit ist ihnen offensichtlich keine Hilfe. In den vergangenen zwölf Monaten wurde das Angebot in  nicht mehr als 200 Fällen in Anspruch genommen, meldet die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) unter Berufung auf eine vorläufige Statistik des Familienministeriums. Für  Arbeitgeber, Verbände und Opposition sind die Zahlen ein Beleg für das Scheitern des Gesetzes. Ein Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sagte der SZ, die Zahlen belegten, dass das Gesetz nicht notwendig sei. Bereits bei  Bekanntwerden der Pläne machten Wirtschaftsvertreter Front gegen die Regelung. „Scharfer Kündigungsschutz, unklare Anspruchsvoraussetzungen und neue Bürokratie – im Wesentlichen gibt es neue Belastungen für die Betriebe“, sagte Achim Dercks, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, im Jahr 2011 gegenüber den „Ruhr-Nachrichten“. Das Modell sei ein Beispiel für unnötige Regulierung.

Langer Atem nötig

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierte dagegen den fehlenden Rechtsanspruch. Für den Sozialverband VdK ist die Familienpflegezeit schlicht „schlecht gemacht“.  Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende nannte  die Regelung „halbherzig“ und „absolut  unbrauchbar“. Sie verwies darauf, dass  die pflegebedingte Auszeit allein von den Arbeitnehmern finanziert werden müsse – deshalb könne sie nur von Besserverdienern in Anspruch genommen werden, die es sich leisten könnten, länger auf 25 Prozent ihres Gehalts zu verzichten. Auch Schwesig bemängelte den fehlenden Rechtsanspruch. „Die Arbeitnehmer sind also auf die Freundlichkeit ihres Arbeitgebers angewiesen“, sagte sie. „Viele werden sich unter diesen Umständen nicht trauen, eine Familienpflegezeit zu beantragen aus Furcht vor  persönlichen Nachteilen im Betrieb.“

Ein Sprecher von Ministerin Kristina Schröder (CDU) warnte davor, die Familienpflegezeit abzuschreiben. Denn es gebe noch keine belastbaren Zahlen, sagte er. Es lägen lediglich Zahlen über jene Fälle vor, in denen das Bundesfamilienamt in Köln bei der Organisation geholfen habe.

Der Sprecher riet dazu, das Angebot zu  nutzen. Es bedeute eine deutliche Verbesserung gegenüber dem früheren Modell, bei dem Arbeitnehmer sich nur bei komplettem Gehaltsverzicht eine Pflege-Auszeit von höchstens einem halben Jahr nehmen konnten. Es sei aber ein langer Atem nötig, um das Modell zu etablieren. eb

Info

Hinweis für Arbeitgeber

• Der Arbeitgeber kann den dem Arbeitnehmer gewährten Gehaltsvorschuss durch ein Bundesdarlehen des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zinslos finanzieren.

• Diese Bundesförderung setzt eine schriftliche Vereinbarung über die Familienpflegezeit zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem voraus.

• Die Entgeltaufstockung muss zulasten eines Wertguthabens (§§ 7b ff SGB IV) erfolgen. Wertguthaben sind Zeitwert- konten, die grundsätzlich in Entgelt zu führen sind. Dabei kann auf bestehende Zeitwertkonten zurückgegriffen werden. Es besteht auch die Möglichkeit, eigens für die Familienpflegezeit besondere Wertguthaben einzurichten.

• In den Zeitwertkonten wird einerseits der durch den Vorschuss (die Aufstockung) aufwachsende negative Saldo während der Pflegephase und andererseits der Ausgleich durch den Einbehalt von Arbeits-entgelt nach der Pflegephase erfasst.

• Der Arbeitgeber führt die in der Nachpflegephase einbehaltenen Anteile vom Arbeitsentgelt zur Tilgung des Darlehens an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zurück.

• Das Ausfallrisiko, das durch Tod oder Erwerbsunfähigkeit der pflegenden Person entstehen kann, ist durch eine vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zertifizierte Familienpflegezeitversicherung abzudecken.

• Anträge, Merkblätter und Broschüren können unterwww.familien-pflege-zeit.deheruntergeladen werden.

Info

Neue Konzepte zur Betreuung pflegebedürftiger Menschen schlägt der „Bertelsmann Pflegereport 2030“ vor, der unter Federführung des Bremer Zentrums für Sozialpolitik (ZeS) entstand.

Die Studie geht von einer Steigerung des Pflegebedarfs in Deutschland um 50 Prozent bis 2030 aus – die Zahl der Pflegebedürftigen läge dann bei 3,4 Millionen. Zugleich würden 500 000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen.

Die Vorschläge des ZeS zur Lösung gehen weit über eine Erleichterung der familiären Betreuung wie bei der Familienpflegezeit hinaus. So sollen kommunale oder regionale, bürgerschaftlich getragene Netzwerke im Mittelpunkt stehen. „Ehrenamtliche können viel von dem, was in Heimen von Pflegern getan wird, übernehmen“, erklärte Prof. Heins Rothgang vom ZeS gegenüber der „Ärzte Zeitung“. „Die Idee dahinter: Das dritte Lebensalter sorgt für das vierte.“

Außerdem plädieren die Studienautoren dafür, nicht die vollstationäre Pflege auszubauen, sondern den Anteil der Angehörigenpflege konstant zu halten und die ambulante Pflege auszubauen.

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