Neue Drogen und „Meth mouth“-Syndrom

Orale Manifestationen bei Methamphetamin-Abhängigkeit

Die zahnärztliche Behandlung von Patienten mit Metham-phetamin-Abusus stellt eine große Herausforderung dar. Denn gerade junge Menschen zeigen einen Zahnverfall, der absolut außerhalb des Üblichen liegt. Ebenso sind diese Patienten in einem sehr kritischen Allgemeinzustand. Hier wird das „Meth mouth“-Syndrom vorgestellt, das sich in einzelnen Regionen Deutschlands gehäuft zeigt. Die schwierigen therapeutischen Voraussetzungen sowie medizinischen Risiken sind zu beachten.

Niklas Rommel et al.

Patientenfall 1

Sarah K. ist 23 Jahre alt und lebt in Oberfranken. Im Sommer letzten Jahres brachte ihr damaliger Freund eine kleine, kristallförmig erscheinende Substanz mit nach Hause – Crystal Meth. „Für die Geburtstagsparty heute Abend. Damit wir nicht als erste ins Bett fallen“, meinte er damals zu ihr. Ein fast täglicher Konsum der gefährlichen Droge mit dem Wirkstoff Methamphetamin beginnt. Während des Gebrauchs fallen Sarah K. schwerwiegende Veränderungen an ihren Zähnen und dem umgebenden Gewebe innerhalb der Mundhöhle auf. Sie stellt sich in der Sprechstunde vor.

Anamnese und Befund: Die Patientin gibt eine Suchterkrankung mit der Droge Crystal Meth seit 18 Monaten an. Begleitend wurden regelmäßig Alkohol und Nikotin konsumiert. Weitere Suchtmittel wurden nicht eingenommen, ein übermäßiger Konsum von zucker-und säurehaltigen Getränken (Softdrinks, Eistee, Red Bull) wurde ebenso verneint. Es bestand kein zusätzlicher Pharmaka-Abusus. Als Begleitsymptome stellen sich starke Schmerzen im Bereich der Zähne, Verspannungen im Kiefergelenk und eine Brüchigkeit der Zähne dar.

Bei der Erhebung des 01-Befunds während des stationären Entzugs zeigten sich Wurzelreste der kariös zerstörten Zähne 18, 17, 15, 25, 26, 28, 47 und 48 sowie kariöse D4-Läsionen an den Zähnen 16 und 26. Die Zähne 14, 24, 34 und 44 wurden im Rahmen einer kieferorthopädischen Therapie extrahiert. Konservierende Füllungstherapien wurden an den Zähnen 11, 36, 37 und 46 vorgenommen (Abbildung 1).

Der Vitalitätstest fiel an den Zähnen 18, 17, 15, 25, 26, 28, 37, 47 und 48 negativ aus. Ein positiver Perkussionstest konnte bei den Zähnen 18, 28, 26, 37 und 38 dokumentiert werden. Insgesamt belief sich der DMF-T- Wert mit D-T=2 + M-T=8 + D-F=4 auf 14. Der DMF-S-Wert ergab 52.

Der modifizierte Approximalraum-Plaque-Index (API) nach Lange et al. ergab einen Wert von 21 Prozent, der modifizierte Sulkus-Blutungs-Index (SBI) lag bei 23 Prozent. Wohingegen der Parodontale Screening- Index (PSI) 2 betrug.

Die Messung der stimulierten Speichelflussrate ergab einen Wert von 0,2 ml/min.

Patientenfall 2

Thomas W. ist 35 Jahre alt und konsumiert seit vielen Jahren Crystal Meth. Der erst- malige Konsum fiel in eine stressige Phase im Berufsalltag: „Ich wollte während der Arbeit einfach ein wenig fitter und leistungsfähiger sein“, berichtet er. Viele Zähne sind ihm seit dem erstmaligen Konsum verloren gegangen.

Anamnese und Befund: Der Patient gab eine Suchterkrankung der Droge Crystal Meth seit 17 Jahren an. Zusätzlich wurden die Substanzen Dihydrocodein (DHC), Methadon, Cannabis und Nikotin sowie Benzo-diazepine regelmäßig konsumiert. Ein übermäßiger Konsum von zucker-und säurehaltigen Getränken wurde verneint. Sub-jektiv fielen dem Patienten während der Suchterkrankung ein vermehrtes Bluten des Zahnfleisches, Zähneknirschen sowie eine deutliche Mundtrockenheit auf.

Der 01-Befund dokumentierte fehlende Zähne 18 bis 25, 28, 38 bis 31 und 44 bis 48 sowie einen Wurzelrest des kariös zerstörten Zahnes 27. Zudem wurden kariöse D3- und D4-Läsionen an den Zähnen 26, 41, 42 und 43 festgestellt (Abbildungen 2a und 2b).

Der Vitalitätstest fiel am Zahn 27 negativ aus. Die Zähne 41, 42 und 43 zeigten einen Lockerungsgrad 1. Der DMF-T-Wert belief sich auf 28, der DMF-S-Wert auf 117. Der API ergab einen Wert von 75 Prozent, der SBI von 50 Prozent. Der PSI betrug 3.

Die Messung der stimulierten Speichelflussrate ergab einen Wert von 0,1 ml/min.

Epidemiologie und Ätiologie

Methamphetamin (N-Methylamphetamin, MA, C10H5N; als illegale Droge unter dem Namen „Crystal Meth“ im Umlauf) ist eine stimulierende Substanz, die erstmals 1893 in Japan durch Sauerstoffabspaltung aus dem Pflanzenalkaloid Ephedrin hergestellt und ab 1919 von Ogata in reiner, kristalliner Form synthetisiert und patentiert wurde [Ogata, 1919]. Im Zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Handelsnamen Pervitin®(Herstellung: Tremmler Werke Berlin) Soldaten verabreicht, wodurch eine Vigilanzerhöhung und eine Verminderung des Risikoempfindens hervorgerufen werden sollte. Im Volksmund wurde die Substanz als „Panzerschokolade“ oder „Fliegersalz“ bekannt. Aufgrund weitreichender Nebenwirkungen beim wiederholten Konsum, in erster Linie auf das Nerven- und das Herz-Kreislauf-System, sowie der zunehmenden Zahl von Substanzabhängigen wurde Methamphetamin 1941 in Deutschland als Betäubungsmittel eingestuft. In der Tschechischen Republik sind Produktion und Vertrieb der Substanz gegenwärtig nicht legal, de facto erfolgen dort aber sowohl die Herstellung als auch die Abgabe in illegalen Labors ohne wesentliche Strafverfolgung. In der Folge wurden die bayerische und die sächsische Grenzregion zu Tschechien während der vergangenen Jahre zunehmend mit Crystal Meth „überschwemmt“ und die Zahl der meist jugendlichen Abnehmer wuchs dramatisch. Die Zahl der Erstkonsumenten stieg laut dem Drogenbericht der Bundesregierung allein im Jahr 2011 um 76 Prozent, ein weltweiter Trend zur Ausweitung des Crystal-Meth-Konsums scheint somit auch Deutschland erreicht zu haben. Das ländliche Oberfranken gilt dabei bereits seit den 90er-Jahren als Epizentrum [Härtel-Petri, Schultheiß et al., 2001].

Im Jahr 2011 wurde die Thematik deutschland-weit in den Medien (ZDF, Bayerischer Rundfunk, PRO 7, Süddeutsche Zeitung) aufgegriffen. In den USA wird die Zahl der Konsumenten bereits auf mehr als zehn Millionen Abhängige geschätzt, was einem Drittel aller Konsumenten entspricht [Hamamoto and Rhodus, 2009]. Dr. Roland Härtel-Petri, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist leitender Arzt des Suchtbereichs am Bezirkskrankenhaus Bayreuth in Oberfranken. Er ist mit der aktuellen Situation des ansteigenden Crystal-Meth-Konsums unmittelbar konfrontiert und Experte auf diesem Gebiet. „Seit 2009 weitet sich das Problem langsam in den Rest der Republik aus. Bereits seit der Jahrtausendwende gibt es aber schon ein gesamt- deutsches Problem mit synthetischen Amphetaminen. Die fehlende Strafverfolgung in der Tschechischen Republik hat die Marktpreise für das N-Methylamphetamin drastisch verfallen lassen. Daher fürchte ich eine weitere Zunahme des Crystal-Meth-Problems in der gesamten Republik.“ Die Ursachen für diesen raschen Anstieg sind in einem Mix aus Neugier und Unwissenheit zu sehen. „Die Konsumenten wirken anfangs eher anziehend, selbstbewusst und machen mit ihrer aufgeputschten Attraktivität Werbung für ihre Droge. Die Konsumenten, die in die Münchner Zahnklinik zur Behandlung kommen, wissen regelhaft nichts über die Gefährlichkeit der Substanz auch im Vergleich zu anderen Stimulanzien.“

Als äußerst problematisch sieht Härtel-Petri dabei das hohe Suchtpotenzial selbst bei einmaligem Konsum an. „Den großen US-amerikanischen Studien nach macht Crystal Meth schneller abhängig als zum Beispiel Kokain. Auch die Neurotoxizität, die Ursache für die psychiatrischen Begleiterkrankungen ist, ist stärker als bei anderen Substanzen.“ Zunächst mache es wach, reaktionsschnell und selbstbewusst. Aber dann setzten die dramatischen Langzeitfolgen ein. „Die Muskulatur wird angespannt, Rückenschmerzen und Bruxismus treten auf. Kognitive Störungen und vor allem die Amphetaminpsychosen, die leider häufig längerfristig anhalten, sind das Hauptproblem.“ Vermutungen, dass Crystal Meth zudem schwerwiegende Veränderungen der Zahn-, Mund- und Kieferregion hervorruft, kann Härtel-Petri durch seine Erfahrungen mit den Patienten bestätigen. „Ja, die Patienten berichten durchaus, dass ihnen die Zähne ausgefallen oder abgesplittert seien, das heißt, dass sie plötzlich zersplitterte Zähne im Mund gehabt hätten.“

Epikrise und Diskussion

Der „Meth mouth“ ist ein von der „American Dental Association“ deklarierter Begriff und beschreibt die Auswirkungen eines langjährigen Konsums der stimulierenden Substanz Meth- amphetamin beziehungsweise Crystal Meth auf die Zahnhartsubstanz, auf den Zahn-halteapparat sowie auf das Weichgewebe innerhalb der Mundhöhle. In Deutschland ist in den letzten Jahren ein rasanter Anstieg des Methamphetamin-Abusus in Form dieser illegalen Droge zu beobachten, wobei vornehmlich jugendliche Konsumenten in der Region Oberfranken betroffen sind.

Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind orale Manifestationen des Metamphetamin-Missbrauchs beschrieben, die zusammenfassend mit dem Begriff „Meth mouth“ deklariert wurden [Laslett and Crofts, 2007; Heng, Badner et al., 2008; Hamamoto and Rhodus, 2009; Galloway, 2010] (Abbildung 3).

Vornehmlich handelt es sich bei der vorhandenen Literatur um Patientenberichte, die einen drama- tischen Kariesbefall der meist jungen Patienten beschreiben [Curtis, 2006; Heng, Badner et al., 2008].

Dieser ist bedingt durch Xerostomie und eine verminderte Speichelpufferkapazität [Hamamoto and Rhodus, 2009; Ravenel, Salinas et al., 2012], durch Kalziumabbau innerhalb der Zahnhartsubstanzen [Rhodus and Little, 2005] sowie durch übermäßigen Konsum hochzuckerhaltiger Softdrinks [Donaldson and Goodchild, 2006]. Ferner werden aggressive Parodontitiden sowie hyperplastische Gingivitiden als assoziierte Erscheinungen beobachtet.

Als Auslöser hierfür wird eine gesteigerte Produktion von Interleukin-1-beta postuliert [Tipton, Legan et al., 2010]. Trismus und Bruxismus stellen weitere relevante Einflussgrößen dar [Rhodus and Little, 2005].

Das Studium der vorhandenen Literatur bezüglich der Folgewirkungen des Methamphetamin-Missbrauchs auf die Mundhöhle und insbesondere auf die Zahnhartsubstanzen sowie auf den parodontalen Halteapparat lässt jedoch auch eine weit- gehende Unsicherheit bezüglich des Meth-mouth-Syndroms erkennen [Curtis, 2006]. Bislang erfolgte keine syste- matische Aufarbeitung der Ursachen-Folgen-Beziehungen zwischen Meth-amphetamin-Abusus und den desaströsen Auswirkungen im Bereich der Mundhöhle, insbesondere auf die Zähne und das Parodont.

Im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen der Universitätsklinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der TU München am Klinikum rechts der Isar und den Suchtkliniken des Bezirks Oberfranken (Hochstadt, Bayreuth) werden momentan systematisch die Folgen des „Crystal Meth“-Missbrauchs auf die Zahn-, Mund- und Kieferregion anhand von 100 Patienten evaluiert. Diese klinische Studie, die finanziell von der Koinor-Horst-Müller-Stiftung unterstützt wird, soll anhand einer ausführlichen Anamnese und von zahnärztlichen Untersuchungen neue Erkenntnisse über das Meth-mouth-Syndrom und dessen Therapieoptionen liefern. Die beiden geschilderten Fallbeispiele Sarah K. und Thomas W. gehören zu diesem Patientenkollektiv.

Zur Bestimmung der Kariesinzidenz beziehungsweise -prävalenz haben sich inter- national der DMF-T- sowie der DMF-S-Index durchgesetzt [Hellwig, Klimek et al., 2003]. Die mittleren DMF-T-Werte und dessen Einzelkomponenten nach Alter wurden 2006 in einer Gesundheitsstudie evaluiert [Micheelis and Schiffner, 2006] (Tabelle).

Bei einer weiteren Studie über die Karies-prävalenz bei 18- bis 34-Jährigen in New York wurde ein durchschnittlicher DMF-T- Wert von 8,83 beobachtet [Barrow, Xionan et al., 2003]. Die geschilderten Patienten mit nachgewiesenem Crystal-Meth-Konsum liegen mit einem DMF-T-Wert von 14 mit 23 Jahren beziehungsweise einem DMF-T-Wert von 28 mit 35 Jahren deutlich über den Durchschnittswerten für ihr Alter. Im Detail zeigen insbesondere die D-T- und die M-T-Werte der Fallbeispiele im Vergleich mit der Gesundheitsstudie von Micheelis und Schiffner eklatante Unterschiede. So ist von einem überdurchschnittlich hohen Kariesbefall bei einem Crystal-Meth-Konsumenten auszugehen.

Die durchschnittliche stimulierte Speichelflussrate wird in der Literatur mit ein bis zwei ml/min angegeben [Hellwig, Klimek et al., 2003]. Die gemessene Speichelflussrate der beiden Patienten lag mit 0,2 ml/min beziehungsweise 0,1 ml/min deutlich unter dem Durchschnittswert. Mangelnder Speichelfluss und Mundtrockenheit korrelieren bekanntermaßen mit einer höheren Karies-inzidenz [Jansma, Vissink et al., 1992; Flink, 2007; Fox, 2008] und unterstreichen somit die Annahme einer vermehrten Karies- prävalenz bei Crystal-Meth-Missbrauch.

Jedoch ist im Fall Thomas W. eine zusätz- liche Einnahme von Benzodiazepinen zu berücksichtigen, was ebenfalls einen reduzierter Speichelfluss unterstützen kann [de Almeida Pdel, Gregio et al., 2008].

Bei der gingivalen und parodontalen Untersuchung anhand des SBI und des PSI zeigte sich bei beiden Patienten eine Gingivitis mit vermehrter Blutungsneigung. Zudem wurde bei einem Patienten eine mittelschwere Parodontitis diagnostiziert. Bezüglich der in der Literatur geschilderten aus-geprägten Gingivitiden und Parodontiden wäre es von wissenschaftlichem und in der Konsequenz auch klinischem Interesse, ob durch den Substanzmissbrauch eine Reduktion der Effektormoleküle des angeborenen Immunsystems (den sogenannten „antimikrobiellen Peptiden“, AMP) hervorgerufen wird. Diese intramukosal gebildeten „endogenen Antibiotika“ wirken unter physiologischen Bedingungen intraoralen Entzündungsreaktionen hochwirksam entgegen [Kesting, Mueller et al., 2012].

Sollte eine quantitative Reduktion der AMP bei Metamphetaminkonsum vorliegen, ließe sich die Entzündungsproblematik in der Konsequenz gegebenenfalls durch innovative Therapien, wie etwa der Substitution sogenannter „designer host defense peptide“ behandeln, wie sie für extra-orale Wundsituationen bereits erfolgreich klinisch erprobt wurde [Lipsky, Holroyd et al., 2008].

Schlussfolgernd ist anzumerken, dass die zahnärztliche Behandlung von Patienten mit Methamphetamin-Abusus eine Herausforderung darstellt. Zahnärzte sollten sich der gegenwärtigen klinischen Präsenz des „Meth mouth“-Syndroms bewusst sein und die schwierigen, therapeutischen Voraus-setzungen sowie die medizinischen Risiken beachten [Hamamoto and Rhodus, 2009; Naidoo and Smit, 2011].

Dr. Niklas RommelDr. Dr. Nils RohlederProf. Dr. Herbert DeppePD Dr. Dr. Marco KestingAbteilung für Mund-Kiefer-GesichtschirurgieKlinikum rechts der IsarTechnische Universität MünchenIsmaninger Str. 2281675 Münchenniklasrommel@googlemail.com

Dr. Roland Härtel-PetriAbteilung klinische Suchtmedizin Bezirkskrankenhaus BayreuthNordring 295445 Bayreuth

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