Neuroimaging

Ein Fenster zum Gehirn

Aufgrund der rasanten Entwicklung bildgebender Verfahren rückt das Gehirn wieder in den Fokus der Wissenschaft. Wie diese Erkenntnisse unser Menschenbild verändern, wollte der Deutsche Ethikrat auf seiner Herbsttagung in Düsseldorf klären. Ungeachtet aller offenen Fragen, steht fest: The Brain is back.

„Das Gehirn macht den Menschen zum Menschen“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Christiane Woopen, zu Beginn der Veranstaltung in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. „Was uns als Deutschen Ethikrat dabei besonders interessiert, ist die Frage, was die neuen Bilder vom Gehirn mit unserem Selbstverständnis zu tun haben. Kommt es zu einer Zerebralisierung unseres Menschenbildes und was hätte dies für Folgen?“

Die modernen bildgebenden Verfahren gelten als Fenster zum Gehirn. Zu verstehen, wie 86 Milliarden Nervenzellen mit ihren Verschaltungen zusammenwirken und Verhalten generieren, ist nicht nur eine große Herausforderung für die Grundlagenforschung, sondern lässt uns letztlich besser begreifen, was uns als menschliche Lebe- wesen ausmacht.

86 Milliarden Nervenzellen

Nicht zuletzt erwartet sich die Wissenschaft einen Nutzen für das Verständnis und die Behandlung von Krankheiten. Etwa in der Demenzforschung: Die neuen Techniken sollen die Erkrankung in Zukunft viele Jahre vor den ersten Symptomen anzeigen, hofft Prof. Alexander Drzezga, Uniklinik Köln. Oder in der Kardiologie: Hier wird der Verkalkungsgrad des Herzens mittels bildgebender Techniken bereits seit 2000 untersucht, um kardiale Ereignisse vorauszusagen, berichtete Prof. Karl-Heinz Jöckel vom Universitätsklinikum Essen. Auch in der Psychiatrie wird die Neurobildgebung schon eingesetzt, um Tumoren, Blutungen, Entzündungen und vaskuläre Schäden auszuschließen und neurodegenerative Erkrankungen zu erkennen. In absehbarer Zeit wird sie den Forschern zufolge auch einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik, Therapie und Prognostik psychischer Erkrankungen einnehmen.

Den Moment aufnehmen

Doch was für Erkenntnisse liefern uns die Bilder genau? Prof Katrin Amunts, Mitglied des Deutsches Ethikrats: „Bei der funktionellen Kernspintomografie kann man zum Beispiel Hirnaktivierungen während der Generierung von Wörtern messen und daraus schließen, wo sich sprachrelevante Gebiete im Gehirn befinden. Damit erhält man eine kurze Aufnahme dessen, was im Gehirn des Probanden unter bestimmten experimentellen Bedingungen passiert.“

Allerdings könne man die Prozesse nicht so einfach lokalisieren, weil die räumliche Auflösung von circa einem Millimeter dazu nicht ausreicht. Moderne computerbasierte Hirnkarten, die auf der Kartierung und Analyse dieser Regionen in Gewebeschnitten von Post-mortem-Gehirnen basieren, ermöglichten zwar diesen Zugang und erlaubten mithilfe mathematischer Verfahren im Probandengehirn eine topografische Zuordnung. Damit entstehe jedoch eine Unschärfe in der Interpretation, die sich neben der interindividuellen Variabilität im Bau menschlicher Gehirne eben auch in Messungenauigkeiten widerspiegelt.

Amunts: „Außerdem muss man berücksichtigen, dass sich das Gehirn im Laufe des Lebens modifiziert. Es ist kein Computer, es wird nicht einmalig angelegt. Äußere Faktoren wie etwa Umweltbedingungen, Lebensweise, Ernährung und die genetische Prädisposition stehen in Wechselwirkung mit der Hirnorganisation, wobei wir die genauen Mechanismen noch nicht genau verstehen.“

Im Gehirn des Pianisten

Wie sich das Gehirn über das ganze Leben hinweg verändert, schilderte Prof. Lutz Jäncke, Ordinarius für Neuropsychologie an der Universität Zürich, am Beispiel von Musikern: „Gehirne verändern sich, sie spezialisieren sich. Wir können zum Beispiel die Gehirne von Streichern von denen von Pianisten unterscheiden. Jede Form von Expertise hinterlässt Spuren im Gehirn. Und zwar vor allem Veränderungen in der Anatomie und in der Neurophysiologie.“ Das Gehirn rufe Ereignisse ab, die man irgendwann erlebt hat. Jäncke: „So hören auch Taube Musik, indem sekundäre Hör- und Gedächtnisareale aktiviert werden. Das Gehirn ist wie ein Speicher.“

Noch aber gibt es keine umfassende Theorie über die kausalen Mechanismen, die von molekularen und genetischen Prozessen zu zellulärer Aktivität und kognitiven Leistungen wie Sprache und Gedächtnis oder zu emotional gesteuertem Verhalten führen. Um den nächsten Schritt zu machen, muss man Woopen zufolge deshalb über einen rein naturwissenschaftlichen Ansatz hinausgehen und kulturelle, gesellschaftliche und soziale Theorien berücksichtigen. Und einen ethischen Rahmen schaffen. Die große Herausforderung sei, die Befunde und Denkansätze aus den unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuführen. Indes sei der Weg zur Erklärung menschlichen Verhaltens noch – darin waren sich alle einig – sehr weit.

Dass das Gehirn dabei von vielen Forschern überhöht werde, kritisierte Prof. Thomas Fuchs vom Universitätsklinikum Heidelberg. „Das Gehirn erscheint als neues Subjekt, als Denker unseres Denkens, Täter unseres Tun, ja, als Schöpfer der erlebten Welt.“ Doch als Beziehungsorgan sei es nur die notwendige, aber keineswegs die hinreichende Bedingung für personales Erleben und Verhalten. Fuchs: „Das Gehirn enthält nicht mehr Bewusstsein als die Füße!“ Alle Bilder von Hirnaktivitäten zeigten immer nur Ausschnitte aus den gesamten Interaktionen zwischen Gehirn, Körper und Umwelt, die für bewusstes Erleben erforderlich sind. Fazit: „Es ist nicht das Gehirn, sondern die lebendige Person, die fühlt, denkt und handelt. Die Welt ist nicht im Kopf.“

Zufällige Funde

Das Problem der Zufallsfunde erläuterte Prof. Stephan Schleim von der Reichsuniversität Groningen. „Bei 20 bis 30 Prozent der Probanden gibt es Normabweichungen – die meisten davon sind harmlos. Klinisch relevant sind 2,7 Prozent.“ Die Frage sei, wie man als Arzt mit diesen Ergebnissen im Hinblick auf den Patienten umgeht. Prof. Karl-Heinz Jöckel aus Essen spitzte die Problematik zu: „Was ist, wenn der Proband Informationen ablehnt, wir aber relevante Ergebnisse feststellen?“ Letztlich müsse der Arzt darüber aufklären, dass mit der Untersuchung auch unerwartete Befunde einhergehen können. An solche Folgen müsse der Patient denken, wenn er bei den Studien mitmacht. Alles in allem habe der Wille des Patienten oberste Priorität.

Dass die bildgebenden Verfahren zum Zweck der Verteidigung in strafrechtliche Verfahren Eingang finden werden – etwa zur Lügendetektion, zur Feststellung der Schuldfähigkeit oder mit Blick auf eine Sicherungsverwahrung für die Gefährlichkeitsprognose von Straftätern – ist aber den Experten zufolge schon absehbar. Drei Anwendungen sind laut Prof. Reinhard Merkel, Mitglied des Deutschen Ethikrats, naheliegend:

• Das Imaging zur Wahrheitsforschung, insbesondere die Verwendung eines Lügendetektors bei Beschuldigten und Zeugen.

• Um die Voraussetzungen der strafrechtlichen Schuldfähigkeit zu klären – etwa bei der Frage, ob sich bestimmte mentale Dispositionen beim Täter in seinen Gehirnfunktionen nachweisen und als hinreichend pathologisch beglaubigen lassen.

• Zur Ermittlung der künftigen Gefährlichkeit von Straftätern, die ihre Strafe abgesessen haben, aber möglicherweise eine Disposition zur Gewalttätigkeit aufweisen und damit ein Rückfallrisiko haben, was sie als Kandidaten für eine Sicherheitsverwahrung in Betracht kommen lässt.

Vielleicht Täter überführen

Während die beiden ersten Methoden zumindest heute noch Science-Fiction seien, stünden die Methoden des Neuroimagings zwei Jahrzehnte nach ihrer Entwicklung an der Schwelle zur Einführung in die Rechtsverfahren. Besonders bedeutsam seien dabei die funktionalen Verfahren, also solche, mit denen sich die Aktivitäten des Gehirns sichtbar machen lassen. Merkel: „Denn sie ermöglichen Rückschlüsse auf mentale Vorgänge wie Gedanken, Vorstellungen, Emotionen und Erinnerungen.“

Hier in Deutschland habe der BGH diesen Einsatz kategorisch verworfen und auch in den USA sei das Neuroimaging vor Gericht kein Beweismittel für einen Schuldnachweis. Dennoch könne der geringe indizielle Wert eines Beweismittels nützlich für den Beschuldigten sein. Etwa, wenn er der Lügendetektor bei seiner Befragung nicht ausschlägt.

Nichtsdestotrotz gebe es kein Lügenareal im Gehirn und keine kriminellen Gehirne, nur eine Disposition, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, kriminell zu werden. „Es gibt keine gefährlichen und auch keine ungefährlichen Menschen – nur Menschen mit großen beziehungsweise kleinen Risiken“, bekräftigte Prof. Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes im Justizvollzug des Kantons Zürich.

Die Gefahr sei, dass man bildgebenden Verfahren eine Deutungshoheit zugesteht, bestätigte auch Woopen. „Die Ethik gibt Impulse“, räumte Prof. Eric Hilgendorf aus Würzburg ein. „Ausschlaggebend aber ist das deutsche Recht. Und der Staats- anwalt guckt ins StGB.“

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