Arzneimittel-Interaktionen

Grapefruit verändert Medikamente

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Am Beispiel von Felodipin zeigten im Jahr 1989 kanadische Wissenschaftler erstmals, dass der Genuss von Grapefruitsaft den Arzneistoffmetabolismus beeinflussen kann. In den folgenden Jahren wurden viele weitere Interaktionen mit Grapefruit beschrieben und die Mechanismen genauer untersucht. Heute weiß man, unter welchen Umständen Grapefruit-Interaktionen zu erwarten sind und kann Vorkehrungen zu ihrer Vermeidung treffen.

Inhaltsstoffe der Früchte von Citrus paradisi L. – der Grapefruit – verändern die Pharmakokinetik vieler Arzneistoffe. Der wichtigste Mechanismus der Grapefruit-Interaktionen ist die Hemmung des Cytochrom-P-450- Enzyms CYP3A4 in der Darmwand. Bei der Absorption eines peroral applizierten Arzneistoffes XY über die Darmschleimhaut wird ein Teil durch CYP3A4 abgebaut und kann somit nicht wirksam werden. Je größer dieser intestinale, präsystemische First-Pass-Effekt, desto geringer ist die absolute Bioverfügbarkeit von XY. Wird CYP3A4 durch Grapefruit-Inhaltsstoffe inaktiviert, verringert dies den präsystemischen First-Pass-Effekt und die orale Bioverfügbarkeit von XY steigt. Die Pharmakokinetik von Arzneistoffen, die über andere Wege appliziert werden, beeinflusst der gleichzeitige Grapefruit-Konsum in der Regel nicht in klinisch relevantem Ausmaß.

Grapefruit-Inhaltsstoffe beziehungsweise deren Metaboliten binden wahrscheinlich kovalent und irreversibel an CYP3A4: Das inaktivierte Enzym ist offenbar weniger stabil und wird daher schneller abgebaut. Dieser Vorgang wird als Selbstmord-Inhibition bezeichnet. Der Effekt ist schon etwa vier Stunden nach Konsum von Grapefruit voll ausgebildet und kann mehrere Tage anhalten: Die CYP3A4-Aktivität ist so lange verringert, bis wieder ausreichend Enzymprotein de novo synthetisiert ist. Interaktionen wurden mit Grapefruitsaft und frischen Früchten gleichermaßen gefunden. Flavonoide wie Naringenin/Naringin und das Furocumarin 6‘,7‘ Dihydroxybergamottin werden für die Enzymhemmung verantwortlich gemacht. Sie kommen in wechselnden, aber für eine Interaktion ausreichenden Mengen in Grapefruits vor. In Orangensaft, mit dem keine Interaktionen gefunden wurden, sind diese Verbindungen nicht enthalten. Allerdings wurden einige Interaktionen mit Pomeranzen (Bitter-, Sevilla-Orangen, Citrus aurantium L.) und Pomelo-Früchten (Citrus maxima L.) berichtet.

Auf Grapefruit verzichten

Schon ein Glas Grapefruitsaft oder eine Grapefruit kann eine klinisch relevante Interaktion hervorrufen. Da aber der Gehalt an den relevanten Furocumarinen in frischen Früchten und in verschiedenen handelsüblichen Säften variiert, kann keine Menge genannt werden, bei der nicht mit einer Wechselwirkung gerechnet werden muss. Zudem ist die Expression von CYP3A4 in der Bevölkerung sehr variabel. Die Aktivität kann von Patient zu Patient um den Faktor acht variieren. Je größer die Aktivität von CYP3A4 bei einem Patienten ist, desto stärker macht sich der Effekt von CYP3A4- Inhibitoren bemerkbar.

Dies spiegelt sich auch in großen interindividuellen Unterschieden bei den Grapefruit-Interaktionen wider. Aus all diesen Gründen genügt es nicht, nur die gleichzeitige Einnahme eines betroffenen Arzneistoffes mit Grapefruit zu vermeiden. Auch ist es nicht sicher, nur auf große Mengen an Grapefruits zu verzichten: Ist ein Arzneistoff potenziell von der Interaktion mit Grapefruits betroffen, soll während der gesamten Behandlungsdauer vollständig auf Grapefruits verzichtet werden. Etwa die Hälfte der heute verwendeten Arzneistoffe wird zumindest teilweise durch CYP3A4 oxidativ abgebaut.

Eine klinisch relevante Wechselwirkung mit Grapefruit kann aber nur auftreten, wenn

• der Metabolismus überwiegend durch CYP3A4 katalysiert wird,

• der Arzneistoff einen hohen präsyste- mischen First-Pass-Effekt hat und

• peroral gegeben wird.

Ein Klasseneffekt, bei dem alle Arzneistoffe einer Stoffklasse betroffen sind,  liegt nicht vor; entscheidend sind die  pharmakokinetischen  Eigenschaften des einzelnen Stoffes. Hat der Arzneistoff eine geringe therapeutische Breite, begünstigt dies das klinische Auftreten einer Wechselwirkung. In der ABDA-Datenbank sind derzeit zu 55 Arzneistoffen Grapefruit-Interaktionen gespeichert (siehe Tabellen 1 und 2).

Verringerte Wirksamkeit

Grapefruit-Inhaltsstoffe können auch die Aktivität von Transportproteinen hemmen. Dies gilt für den ATP-abhängigen Effluxtransporter P-Glykoprotein und für die organischen Anionentransporter OAT1A2 und OAT2B1. Die Hemmung der beiden letztgenannten Transportproteine ist wahrscheinlich verantwortlich für die verringerte Absorption und Wirksamkeit des Renin-Inhibitors Aliskiren und des Antiallergikums Bilastin durch Grapefruit. Im Gegensatz zu den in Tabelle 1 genannten Arzneistoffen kann Grapefruit die Wirksamkeit der Stickstoff-Lost-Derivate Cyclophosphamid und Ifosfamid reduzieren, denn diese sind Prodrugs: Sie werden unter anderem durch CYP3A4 hydroxyliert und damit bioaktiviert. Bei Einnahme von Grapefruit kann die Bioaktivierung beeinträchtigt werden.

In der wissenschaftlichen Literatur sind darüber hinaus weitere statistisch signifikante Interaktionen mit Grapefruit beschrieben, zum Beispiel mit einigen HIV-Protease-Inhibitoren und bestimmten Benzodiazepinen. Diese werden aber aufgrund des geringen Ausmaßes sowie der großen therapeutischen Breite der betroffenen Arzneistoffe nicht als klinisch relevant angesehen.

Dr. Petra Zagermann-MunckeABDATA-Pharma-Daten ServiceCarl-Mannich-Str. 2665760 Eschborn

Tipps für die Praxis

• Während der gesamten Dauer der Behandlung mit einem betroffenen Arzneimittel sollten Grapefruits vollständig gemieden werden.

• Früchte, Saft und andere Zubereitungen von Grapefruit (auch Bonbons) sind gleichermaßen interaktionsrelevant.

• Grapefruits erhöhen nur die Bioverfügbarkeit von peroral angewandten Arzneimitteln.

• Eine Menge an Grapefruits, die verbindlich keine Interaktion hervorruft, kann nicht angegeben werden.

• Eine verminderte Bioaktivierung ist auch bei parenteraler Gabe von Cyclophosphamid oder Ifosfamid zu erwarten.

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