Einheitlicher Krankenversicherungsmarkt

Verluste für Zahnärzte

Derzeit werden zunehmend gesundheitspolitische Ansätze diskutiert, die die Dualität des deutschen Krankenversicherungsmarkts aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung (GKV und PKV) beenden wollen. Für Zahnarztpraxen würde das Mindereinnahmen in erheblichem Umfang bedeuten.

„Bürgerversicherung“ lautet die gesundheitspolitische Überschrift für einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt. Darin sollen die Versicherten der PKV-Vollversicherung in die staatliche Sozialversicherung nach Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V) überführt werden.

Alle Konzepte einer Bürgerversicherung schließen den Zugang zur PKV-Vollversicherung. Für die PKV soll nur der Markt der Kranken-Zusatzversicherungen (noch) geöffnet bleiben. Das heißt, mit Ausnahme der Zusatzversicherungen (die für die PKV eine untergeordnete Rolle spielen) darf sich keine Person mehr in der PKV krankenversichern. Dies gilt für Berufseinsteiger, für Personen, die verbeamtet werden sowie für Selbstständige und Angestellte, die in der GKV freiwillig, aber nicht pflichtversichert sind.

Begrenztes Wechselrecht

Den PKV-Bestandskunden (die derzeit PKV-Versicherten) soll ein einmaliges und voraussichtlich zeitlich begrenztes Wechselrecht in die Bürgerversicherung eingeräumt werden. Dieses Wechselrecht kann heutzutage nur unter besonderen Bedingungen wahrgenommen werden. Von diesem Wechselrecht werden in einer ersten Wechselphase vor allem alte und einkommensschwache Versicherte Gebrauch machen, ebenso wie Familien mit Kindern (Kinderbeiträge werden in der PKV über das Familieneinkommen finanziert). In einer zweiten Wechselphase werden dann sukzessive die übrigen PKV-Versicherten in die Bürgerversicherung wechseln, da ansteigende Beiträge die PKV zunehmend unattraktiver werden lassen. Jeder PKV-Versicherte bildet jeden Monat bis zur Erreichung der Altersgrenze Alterungsrückstellungen (Ersparnisbildung), wobei über ein  Erwerbsleben mehrere Zehntausend Euro zusammenkommen können. Inwieweit die PKV-Beiträge durch eine Abwanderung von Versicherten in die Bürgerversicherung steigen, ist vom Ausmaß der Verstaatlichung der Alterungsrückstellungen im Gesundheitsfonds abhängig. Fließt ein großer Anteil der PKV-Alterungsrückstellungen in den Gesundheitsfonds, so werden die PKV-Beiträge sprunghaft steigen, was ebenso sprunghafte Versichertenwechsel in die Bürgerversicherung auslösen wird.

Drei Milliarden weniger

Durch die Einführung einer Bürgerversicherung sinkt die Zahl der PKV-Versicherten. Zahnarztpraxen müssen dann mit Mindereinnahmen rechnen. Diese verteilen sich im Ausmaß des privat abgerechneten Anteils an den Gesamteinnahmen auf die Zahn- ärzte. Charakter einer Bürgerversicherung ist nämlich nicht, eine 1:1-Kompensation des weggefallenen, privat abgerechneten Honorars in einem einheitlichen Bürgerversicherungs-Zahnarzthonorarsystem umzusetzen.

Vielmehr ist zu erwarten, dass nur knapp die Hälfte der privat abgerechneten Einnahmen über eine Nivellierung der GOZ-Multiplikatoren auf 1,0 (oder weniger) umgerechnet und in einem einheitlichen Vergütungssystem kompensiert wird.

Unter Zugrundelegung der amtlichen Statistiken ist dann davon auszugehen, dass die Zahnarztpraxen – nach derzeit noch sehr vorläufigen Abschätzungen – durch die Einführung einer Bürgerversicherung mit Mindereinnahmen von rund drei Milliarden Euro zu rechnen haben.

Arbeitsplätze in Gefahr

Ein aktuelles Gutachten im Auftrag der Gewerkschaften („Auswirkungen der Bürgerversicherung auf die Beschäftigung in GKV und PKV“) kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Einführung einer Bürgerversicherung rund 120 000 Arbeitsverhältnisse zur Disposition stehen. Des Weiteren sind nach Aussagen des Gutachtens 600 ausschließlich privat tätige Zahnärzte direkt in ihrer Existenz bedroht. Werden, wie oben dargestellt, ungefähr drei Milliarden Euro Mindereinnahmen durch die Einführung einer Bürgerversicherung unterstellt, so fallen rund 16,5 Prozent aller zahnärztlichen Einnahmen weg.

Ob deshalb dann auch jede sechste vertragszahnärztliche Praxis schließen muss, kann noch nicht abschließend beantwortet werden.

Neue Versorgungsstruktur

Neben der Vereinheitlichung des Krankenversicherungsmarkts sollen in einer Bürgerversicherung auch die medizinischen Versorgungsstrukturen neu organisiert werden. Im Kern geht es darum, einheitliche, sogenannte „Managed Care“-Versorgungsstrukturen über das ambulante (und auch stationäre) Versorgungsangebot zu stülpen. Der Zugang zur medizinischen Versorgung erfolgt für den Patienten über den „Gatekeeper“.

Gatekeeper wären primärärztliche Versorgungszentren, in denen vor allem Haus- ärzte und weitere Fach- und Zahnärzte einer medizinischen Grund- und Erstversorgung zusammengeschlossen wären. Die Vergütung dürfte über ein primärärztliches Versorgungszentrums-Budget erfolgen, das auf leitlinienkonform behandelnde Ärzte nach Qualitätskriterien und nach der Zahl der behandelten Patienten aufgeteilt wird. Technik-intensivere (zahn)medizinische Versorgungen würden im Krankenhaus oder in fach(zahn)ärztlichen Zentren erbracht, für die ein einheitlich-budgetiertes und pauschaliertes Bürgerversicherungs-Honorarsystem zu erwarten wäre.

Eine durch die (Landes-)Gesundheitspolitik zentralisierte Planung von Mengen, Preisen, Infrastruktur und Prozessen würde die Patientenbehandlung zu steuern versuchen. Der Patient hätte somit die Wahlfreiheit verloren.

Verlorene Wahlfreiheit

Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die Zahnarztpraxen durch die Einführung einer Bürgerversicherung mit Mindereinnahmen rechnen müssen. Nach noch vorläufigen Abschätzungen sind Mindereinnahmen von rund drei Milliarden Euro nicht unrealistisch. Dieser Wert wie ein möglicher Wegfall jeder sechsten Zahnarztpraxis muss allerdings noch genauer validiert werden.

Fest steht allerdings, dass mit der Schließung der PKV ein einheitlicher Versicherungs-, Vergütungs- und Versorgungsmarkt entsteht, der sich durch zentralistische Planungen und Einschränkungen der (zahn)ärztlichen Wahlfreiheit darstellt. Letztendlich wäre die Bürgerversicherung nur eine „Zwischen-Ausbaustufe“ zu einer Einheitskasse und zu einer primär steuerfinanzierten Staatsmedizin.

Gesundheitsökonom Dr. Thomas DrabinskiInstitut für Mikrodaten-Analyse (IfMDA)Brandkuhle 1124107 Kiel

In der „Agenda Mundgesundheit“ hat die KZBV ihre politischen Forderungen im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 formuliert. Darin spricht sie sich für das duale Krankenversicherungssystem aus. Die Agenda steht auf derKZBV-Homepagezum Download bereit.

Interview

Das duale System weiterentwickeln

Dr. Thomas Drabinski vom Institut für Mikrodaten-Analyse und BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel über die Bürgerversicherung und die Zukunft des Krankenversicherungssystems.

Herr Dr. Drabinski, die sogenannte Bürgerversicherung hat in ihren unterschiedlichen Ausprägungen eine Einheitskasse zum Ziel. Was bedeutet das?Drabinski: In der Einheitskasse gibt es nur eine oder wenige Krankenkassen. In einer solchen Monopolstruktur findet kein beziehungsweise kaum Wettbewerb statt, da die Versicherten keine Wahlfreiheit zwischen den Krankenkassen haben. In der Folge ist dann auch der Schritt zur sogenannten Einheitsmedizin nicht mehr weit. Und Gesundheitsfonds und Morbi-RSA sind die Wegbereiter hierfür.

Herr Dr. Engel, was hieße eine staatlich gelenkte Einheitsmedizin?Engel: In der Einheitsmedizin setzt der Staat einen sehr engen politischen Rahmen für das Gesundheitssystem. Dadurch ist sein Einfluss auf die Versorgungsstruktur sehr groß. In der Zahnmedizin, aber auch über alle Ebenen der Versorgung, gäbe es dann eine strikte Mengen-, Bedarfs- und Preisplanung. In anderen Ländern führt das häufig zu einem unbefriedigenden Versorgungs- und Qualitätsniveau, wie wir es vor allem aus steuerfinanzierten Gesundheitssystemen – beispielsweise dem National Health Service in Großbritannien – kennen.

Und was wird dann aus der Selbstverwaltung?Drabinski: Da nicht mehr die Selbstverwaltung, sondern der Staat die Verteilung der Ärzte und Zahnärzte regeln würde, würde der Sicherstellungsauftrag der Selbstverwaltung entzogen und auf die Autoritäten der Einheitskasse übertragen. Der Staat würde in Unterversorgungs-Situationen auch eine Zwangsverteilung und -umsiedlung der Ärzte und Zahnärzte auf abgelegene Regionen anordnen können.

Wie würde eine Gebührenordnung in der Bürgerversicherung aussehen?Engel: Bürgerversicherung heißt, eine möglichst umfangreiche Versorgung zum günstigsten, staatlich vorgegebenen Preis. Für die Zahnärzte würde das eine Ausweitung des BEMA zulasten der GOZ bedeuten.

Und was würde das für die Zahnärzte bedeuten?Engel: Für die Zahnarztpraxen würde das zwangsläufig zu einem Honorarverlust führen, da nicht nur die staatlichen Preise so niedrig wie möglich angesetzt werden, sondern auch die Patientenzahlen begrenzt würden. Auch das Festzuschusssystem würde fallen. Denn Eigenbeteiligungen, IGeL und Zuzahlungen sollen in der Bürgerversicherung verboten werden.

Wegfall der Zuzahlungen und ein geplantes Gatekeeper-System – das hört sich für einige Wähler nicht schlecht an!Drabinski: Für die Patienten entstehen durch das Gatekeeper-System Wartezeiten. Außerdem wird ihre Wahlfreiheit – sei es bei der freien Arztwahl oder bei den Selbstzahler-Leistungen – eingeschränkt.

Also lehnen Sie die Bürgerversicherung ab?Drabinski: Ja, da die Bürgerversicherung mit aller Gewalt ein bewährtes Gesundheitssystem verstaatlichen will, ohne Rücksicht auf Patienten und die Anbieter medizinischer Leistungen zu nehmen.

Und wie sieht die BZÄK die Bürgerversicherung?Engel: Auch die BZÄK lehnt die Bürgerversicherung strikt ab, da sie negative Effekte auf die Versorgungsstruktur und das hohe Versorgungsniveau hat und für viele Zahnärzte eine Bedrohung ihrer Existenz darstellt. Ziel muss es vielmehr sein, das duale Krankenversicherungssystem zu stabilisieren und auf der Versicherungs-, Versorgungs- und Vergütungsseite weiterzuentwickeln. Vereinheitlichungstendenzen wie die Bürgerversicherung wollen wir vermeiden.

Wie sieht denn eine vernünftige und zukunftsfähige Entwicklung des Krankenversicherungssystems aus?Engel: Ziel der Reformen muss der Erhalt des seit Jahrzehnten bewährten Systems aus GKV und PKV sein. Nur dann sind die Freiberuflichkeit, die Diagnose- und Therapiefreiheit und letztlich die Qualität der zahnmedizinischen Versorgung gewährleistet. Auch die GKV ist finanziell und langfristig zu stabilisieren. Die PKV muss aber auch Reformen umsetzen, um in der Gesellschaft nicht an Akzeptanz zu verlieren.

Und was ist mit dem Wettbewerb?Engel: Auch der Wettbewerb zwischen GKV und PKV muss gestärkt werden. Dazu gehört auch, die Finanzierungsmodelle zu prüfen. In der GKV muss der Leistungswettbewerb gestärkt und müssen Konzepte entwickelt werden, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Die GKV hat nämlich weniger ein Ausgaben- als vielmehr ein Finanzierungsproblem. Das zeigt sich insbesondere in konjunkturell schwachen Zeiten. Das vergisst man angesichts der aktuellen Milliardenüberschüsse, bei denen die gewaltigen Subventionen des Staates inkludiert sind, gerne. Ein echter Wettbewerb zwischen GKV und PKV müsste logischerweise auch eine Diskussion über die Versicherungspflichtgrenze auslösen.

Muss eher die GKV oder die PKV reformiert werden?Drabinski: Es geht um eine Reform des dualen Krankenversicherungssystems, das heißt um die reformierte Dualität in einem wettbewerblichen Umfeld. Durch den demografischen Wandel wird die GKV in der Zukunft vor massiven Finanzierungsproblemen stehen. Bei der PKV gibt es Reformbedarf bei der Bildung, Kalkulation und Übertragung der Alterungsrückstellungen, bei der fehlenden Transparenz zwischen den Tarifen und bei den Maklerprovisionen. Nur zum Vergleich: Bei den Provisionen wird fast dreimal so viel Geld ausgegeben, wie für die Zahnbehandlung nach GOZ.

Welche konkreten Reformen schlagen Sie vor?Engel: Eine Reform der Dualität muss immer zum Ergebnis haben, dass eine unabhängige Beratung, der Zugriff auf zahnmedizinische Innovationen und die freie Zahnarztwahl am Ende erhalten bleiben. Dabei kann nur eine private Gebührenordnung wie die GOZ garantieren, dass die Patienten auch zukünftig einen uneingeschränkten Zugriff auf medizinische Innovationen haben.Voraussetzung ist hierbei aber auch, dass die privaten Krankenversicherer einen wesentlich transparenteren Leistungskatalog anbieten. Bei einer Planwirtschaft à la Bürgerversicherung mit einer Einheits- vergütung sehe ich diese Garantie nicht.

Wie lässt sich die Reform der Dualität begründen?Drabinski: In der GKV muss vor allem die Einkommensumverteilung durch ein pauschales Finanzierungskonzept neu geordnet werden, um der jungen Generation mit Geburtsjahr 1970 und jünger überhaupt eine faire Chance zur zukünftigen Lastentragung zu geben. In der PKV gehört dazu, die komplizierte Tarifstruktur zu entwirren und den Versicherten die Übertragung von Altersrückstellungen zwischen privaten Krankenversicherern zu ermöglichen. Auch die nachvollziehbare Festlegung von Mindestkriterien ist wichtig. Außerdem sollten die Maklerprovisionen der PKV um mehr als die Hälfte gesenkt werden.

Und kann die Zahnmedizin dabei eine Vorreiterrolle annehmen?Engel: Natürlich hat das duale Gesundheitssystem Probleme. Aber es hat sich bewährt, wie gerade die hohen Standards und die hohe Qualität der zahnmedizinischen Versorgung zeigen. Eine Weiterentwicklung des dualen Krankenversicherungssystems ist deshalb aus Sicht der BZÄK der einzig richtige Weg für die Zukunft. Und die Zahnmedizin kann dabei als Vorbild für andere Versorgungsbereiche dienen. Die dort in den vergangenen Jahrzehnten geleisteten Reformen haben zu einer finanziellen Stabilisierung der GKV beigetragen. Warum also das System aus Grundversorgung und wahlweise weitergehenden Leistungen nicht auch auf die übrigen Versorgungsbereiche übertragen? Das würde die GKV-Finanzen langfristig stabilisieren. Im Übrigen haben wir unsere Grundsätze und Forderungen in unserem „Gesundheitspolitischen Programm 2013“ ausführlich untergebracht. Die dort getätigten Ausführungen zur Zukunft des Gesundheitssystems basieren auf dem unter anderem mit Dr. Drabinski erarbeiteten „Memorandum zur Reformierung des Gesundheitssystems“.

Interview: Eric Bauer

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