Das Sozialinvestitionspaket der EU-Kommission

Politisches Druckmittel

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Die Auswirkungen des Sozialinvestitionspakets der EU-Kommission auf die Mitgliedstaaten in Zeiten der europäischen Krise erörterten Experten auf dem GVG-Euroforum in Berlin. Hat die EU mit dem Paket ihre Kompetenzen überschritten? Ist die Hoheit der Länder betroffen? Inwiefern werden die nationalen Haushalte tangiert? Diese Fragen wurden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.

Von der europäischen Integration seien alle Lebensbereiche tangiert, auch Fragen der sozialen Sicherheit, erläuterte Prof. Dr. Susanne Tiemann, Vorsitzende des EU-Ausschusses der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG), auf dem GVG-Euroforum am 13. Februar in Berlin. Die Expertentagung beschäftigte sich mit den Auswirkungen des Sozial- investitionspakets der EU-Kommission auf die Mitgliedstaaten in Zeiten der Krise.

Dass das Paket keine rechtliche Bindung hat, machte Hans-Jürgen Zahorka von LIBERTAS – Europäisches Institut GmbH, deutlich. Die Kommission wolle damit Diskussionen anstoßen, Zielvorgaben machen und Einfluss auf die Mitgliedsstaaten ausüben.

So wolle man im Gesundheitsbereich die Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme stärken und den Herausforderungen bei der Überalterung der Gesellschaft entgegenwirken. Unterstützung wolle die Kommission leisten durch Monitoring und regelmäßige Überprüfung im Rahmen des europäischen Semesters. Dabei soll die Offene Methode der Koordinierung (OMK) auch im Sozialbereich angewendet werden. Zur Erklärung: OMK ist ein freiwilliges EU-Politikinstrument, das – aus der Beschäftigungspolitik kommend – fallweise angewandt wird. Sie fördert den Austausch und die Zusammenarbeit unter den Mitglied-staaten und ermöglicht die Vereinbarung gemeinsamer Ziele und Leitlinien. Fortschritte dieser Ziele werden regelmäßig überwacht, Vergleichbarkeit ist möglich.

Begrenzter Neuigkeitswert

Johannes Clemens, Deutsche Bundesbank, analysierte das EU-Sozialinvestitionsprogramm. Das Paket ziele darauf ab, die Sozialsysteme einfacher und passgenauer auszurichten und EU-Haushaltsmittel für Humankapital

investitionen umzuschichten. Der Leistungsdschungel sollte durchforstet und Verwaltungen gestrafft werden. Den Neuigkeitswert des Pakets beurteilte Clemens jedoch als sehr begrenzt. Zentrales Problem sei die Finanzierung, hier ergebe sich ein Widerspruch: Einerseits wolle die EU, dass die Staatshaushalte konsolidiert würden, andererseits dürften zwischenstaatliche Umverteilungen schwierig sein. Offensichtlich sei die Kommission bestrebt, mehr Kompetenzen in Brüssel im Bereich Soziales durchzusetzen. Dies geschehe in Form von Berichtspflichten der Länder, Berichten der Kommission und durch finanzielle Unterstützung. Eine optimale europäische Sozialpolitik gibt es laut Clemens nicht. Letztlich komme das Paket einer Art „Beruhigungspille“ gleich, um Sozialkürzungen zu kaschieren.

Die Kommission wolle durch verschiedene Strategien und Maßnahmen die Mitgliedstaaten dazu bringen, ihre Haushalte und Politiken auf sozialpolitische Ziele auszurichten, erklärte Prof. Dr. Adelheid Puttler, LL.M., Ruhr-Universität Bochum.

Aus rechtlicher Sicht sei aber fraglich, ob sie dazu auch die Kompetenzen besitze. Es gebe keine Kompetenzen für einen Umbau oder eine Neuausrichtung der Sozialsysteme. Die klassischen Instrumente wie Verordnungen oder Harmonisierungsrichtlinien würden hier nicht greifen. Deshalb suche die Kommission andere Wege, wie etwa Leitlinien, Empfehlungen, Berichte oder Benchmarking. Hinzu kämen etwa finanzielle Anreize aus EU-Fonds. Da Leitlinien oder Empfehlungen unverbindlich seien, greife die Kommission auf die Offene Methode der Koordinierung (OMK) zurück, die jetzt auch auf die Sozial- investitionen der Mitgliedstaaten angewendet werde. Dazu erfolgten ein Monitoring und eine Überwachung der Anforderungen im Sozialinvestitionspaket im Rahmen des Europäischen Semesters. Bei Nichteinhaltung seien Sanktionen möglich.

Puttlers Fazit: Die Kommission besitzt keine Kompetenz zur Umsetzung des Sozialinvestitionspakets durch verbind-liche Rechtsakte. Es könne jedoch politischer Druck gegenüber den Mitgliedstaaten aufgebaut werden. Fraglich sei die Rechtsgrundlage bei der Überwachung von Sozialindikatoren im Zuge des Europäischen Semesters. Bei der Förderung von Sozialinvestitionen durch die EU-Fonds sei zu beachten, dass Haushaltsmittel in den Mitgliedstaaten gebunden oder umverteilt würden. Ob das legitim sei, sei dahingestellt.

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