Karlsruher Konferenz 2014

Einladung zur Selbstreflexion

Heftarchiv Gesellschaft
mg
Wie sieht der richtige Weg zur bestmöglichen Therapieplanung aus? Mit dieser Frage beschäftigte sich die diesjährige Karlsruher Konferenz. Vier Referenten stellten vor, wie klinisches Konzept und menschliches Einfühlungsvermögen idealerweise zusammenwirken. Und obwohl Therapieplanung fester Bestandteil des zahnärztlichen Berufsalltags ist, lohne die kritische Selbstreflexion, betonte Akademie-Direktor Prof. Winfried Walther. Dann warnte er die Teilnehmer vor: „Über etwas nachzudenken, was man täglich tut, kann auch wehtun.“

Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung sei es die ganz zentrale Funktion des Patienten bei der Therapieplanung anzuerkennen, erklärte Walther. „Man macht das nicht alleine, sondern mit dem Patienten zusammen und weist diesem dabei eine Rolle zu“, so der Akademie-Direktor. „Die Frage ist nur, ist er für uns ein Partner – oder ein Objekt?“ Seine Schlussfolgerung: Unterschiedliche Vorstellungen des Arzt- Patienten-Verhältnisses hätten auch handfeste Folgen für die Behandlung. Aufgrund der Fülle an beteiligten Einflussfaktoren gab Walther zu, sei der theoretische Begriff einer „optimalen Therapie“ extrem angreifbar.

Wie der Erfolg bei guter Abstimmung zwischen Patientenwunsch und Therapiekonzept aussehen kann, beschrieb PD Dr. Dirk Ziebold, M.Sc., in seinem Vortrag „Mit Zähnen planen – für Zähne planen, die Perspektive der Parodontologie“. An einem Fallbeispiel zeigte er, dass bei entsprechender Compliance auch solche Zähne erhalten werden können, die nach gängiger Definition als nicht erhaltungswürdig eingestuft werden müssten.

Auch totgesagte Zähne können lang leben

Dazu zeigte er diverse Studien, die belegten, dass bei entsprechender Behandlung eine Vielzahl der nach klassischer Bewertung als hoffnungslos kategorisierten Zähne auch fünf Jahre später noch vital waren. „Wir wissen also nicht, ob ein entsprechendes Ranking für Zähne eine sinnvolle Planungsstrategie darstellt“, hinterfragte Ziebold und plädierte dafür, Zähnen eine Chance zu geben und nicht vorschnell zu extrahieren, sondern das Ergebnis der initialen Therapie abzuwarten, auch wenn dies mehrere Monate in Anspruch nehmen kann. „Es gibt also allen Anlass, eine Gelassenheit zu entwickeln“, fasste Walther zusammen und scherzte: „Die Zähne sind unsere Freunde. Die schmeißen wir nicht gleich raus.“

Ein Motto, das auch Referentin Dr. Tania Roloff, M.Sc., beherzigte. Die erfahrene Klinikerin betreibt seit vielen Jahren in Hamburg eine Kinderzahnarztpraxis und gab neben praktischen Behandlungstipps zum Umgang mit jungen Patienten und deren Eltern einen Einblick zu Verbreitung und Ausprägung von Flaschenkaries. Laut Studien seien 27 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in Hamburg von Karies betroffen, sagte Roloff, die zuletzt eine Zunahme der Fallzahlen und -schwere bemerkt hat. Letzteres führe in ihrem Patientenkreis dazu, dass immer öfter auch Milchzähne nach einer Vitalamputation überkront werden müssten. Ein entsprechendes Behandlungsvideo honorierte das Publikum spontan mit lang anhaltendem Applaus.

In ihrem Vortrag beschrieb Roloff auch die baulichen Eigenheiten ihrer Praxis, die sich an Vorbildern aus den USA orientiert, wo es seit mehr als 60 Jahren spezialisierte Kinderzahnärzte gibt. Statt Behandlungsstühlen verwendet sie 1,35 Meter lange bunte Liegen, auf die jeweils eine kleine Treppe führt und von der aus der Blick frei ist auf einen großen Deckenfernseher. Eine Gesamtkomposition, die während der von Roloff übernommenen Notdienste bei erwachsenen Akutpatienten immer wieder zu Irritationen führt. Bei den Kleinsten wird die Anamnese hingegen im sogenannten Schoßexamen durchgeführt, bei dem das Kind rücklings auf den Oberschenkeln eines sitzenden Elternteils liegt und der Behandler vor dem Kopf sitzt. „Wenn das Kind dann ordentlich schreit, stört mich das gar nicht. Dann hab ich den idealen Blick in den Mund“, so die Kinderzahnärztin. Nach der Befundung werde in ihrer Praxis eine Behandlungsplanung für alle betroffenen Zähne konzipiert. Mit Kindern, die möglicherweise ohne Sedierung oder Narkose behandelt werden können, führen besonders qualifizierte ZFAs eine Desensibilisierungstherapie durch, in der die jungen Patienten mit den Instrumenten und Geräuschen der zahnärztlichen Behandlung vertraut gemacht werden. „Dafür haben die Mitarbeiterinnen eigene Behandlungszimmer und verwalten ihren eigenen Terminkalender – eine Wertschätzung ihrer Arbeit, die sie als sehr positiv empfinden“, erklärte Roloff, die anregte, auch im Behandlungsalltag alte Angewohnheiten zu hinterfragen. „Direktes Überkappen funktioniert beim Milchzahn einfach nicht“, sagte sie, „und auch Aufbohren und Belassen ist nicht mehr lege artis.“

Nach der Mittagspause sprach Prof. Dr. Dr. Knut Grötz über die Perspektiven von Chirurgie und Implantologie zum Thema Therapieplanung. Dass eine sorgfältige medizinische Anamnese und Befundung die Voraussetzung für die korrekte Planung des chirurgischen Eingriffs seien, veranschaulichte er an OP-Beispielen zur Knochen- deckelmethode. Grötz betonte, dass auch solche Patienten oralchirurgisch behandelt werden könnten, bei denen zum Beispiel aufgrund einer Bisphosphonatrezeption erhebliche Bedenken bestehen. Wichtig sei, die Ursachen für eine lokale oder systemisch bedingte Immunsuppression zu kennen und entsprechend zu berücksichtigen.

Missbrauch eines Fakts zur Fundamentalkritik

Im Schlussvortrag widmete sich Walther noch einmal theoretisch dem Planungsvorgang. In Anlehnung an Ernst von Glasersfeld, den Philosophen und Begründer des radikalen Konstruktivismus, erklärte er, dass Zahnarzt und Patient gleichberechtigte Beobachter des Fallgeschehens seien und somit gleichermaßen aktiv in den Vorgang eingreifen würden. So erkläre sich, dass verschiedene Zahnarzt-Patienten-Konstellationen zu unterschiedlichen Planungsergebnissen kämen – ein „naturgegebener“ Fakt, der als Anlass zur Fundamentalkritik an der Branche „zweimal im Jahr als Sau durchs deutsche Fernsehen getrieben“ werde, resümierte Walther. Sein Fazit: Nötig sei ein strukturiertes Management der Planung, das neben der Erhebung einer breiten Datenbasis zur Sicherung der Entscheidungsgrundlage auch eine sorgfältige Interpretation der Befunde und eine Problemanalyse beinhaltet. „Wir müssen akzeptieren, dass der Patient Experte ist, wenn es um die Bewertung geht, was ihm nützt“, sagte Walther. Vor diesem Hintergrund sei es unerlässlich, diese Expertise zu akzeptieren und in den Planungsvorgang einzubeziehen.mg

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