Gastkommentar

Pflegefonds – nein danke

Die Koalition will einen Pflegefonds einrichten, um langfristig den Beitragsanstieg zu dämpfen. Doch das wird nicht funktionieren, meint Dr. Dorothea Siems, Chefkorrespondentin für Wirtschaft der Welt, Berlin.

Deutschland altert. In den kommenden Jahren gehen die ersten Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand. Den Sozialversicherungen droht eine nie dagewesene Belastungsprobe: Immer mehr Senioren stehen einer schrumpfenden Arbeitnehmerschaft gegenüber. Die Pflegeversicherung ist davon besonders betroffen, denn die Zahl der Leistungsempfänger wird sich bis 2050 verdoppeln, während die Einnahmebasis schmaler wird.

Um den Beitragsdruck in den kommenden Jahrzehnten abzumildern, will die große Koalition einen Pflegefonds einrichten. Von der angekündigten Beitragssatzsteigerung um 0,5 Prozentpunkte sollen dafür 0,1 Prozent abgezweigt werden. Auf den ersten Blick besticht dieser Ansatz, denn er setzt am Schwachpunkt der gesetzlichen Pflegeversicherung an. Wie bei der staatlichen Rente gilt auch für die Pflegeversicherung, dass die Jüngeren die Älteren alimentieren. Die Beitragszahlungen fließen direkt als Leistungen an die Pflegebedürftigen.

In der privaten Versicherung hingegen spart jede Generation für ihr eigenes Alter an. Solche Systeme sind deshalb besser für die schwierigen Jahre gerüstet.

Beim genauen Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Idee eines Pflegefonds keineswegs so viel Charme besitzt, wie deren Verfechter meinen. Denn hierbei handelt es sich um eine vergleichsweise kleine Kapitalreserve, die aufgebaut werden soll. Und während in der privaten Versicherung der Einzelne ein verfassungsrechtlich geschütztes Eigentumsrecht an dem aus seinen Prämien gebildeten Kapital besitzt, kann der Staat über den geplanten Pflegefonds verfügen.

Dass prall gefüllte Sozialkassen bei Politikern Begehren wecken, zeigt sich derzeit in der Rentenpolitik. SPD und Union fiel es leicht, sich auf soziale Wohltaten wie die Mütterrente oder die Rente mit 63 zu einigen, da sie dies zumindest kurzfristig aus den Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung finanzieren können. Eigentlich hätte der Beitragssatz zum Jahreswechsel sinken müssen. Doch der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, mit einer Rechtsänderung die Kasse zu plündern. Und genau dies geschieht.

Die Pflegeversicherung hatte schon einmal eine sogenannte Demografiereserve. Denn bereits zum Start Anfang der 90er-Jahre war absehbar, dass die neue Sozialversicherung binnen weniger Jahrzehnte in schweres Fahrwasser geraten wird. Doch es dauerte nur kurze Zeit, bis die Sozialpolitiker Mittel und Wege fanden, das Sparkonto der Pflegeversicherung leerzuräumen. Es kam zu Verschiebungen zwischen Krankenversicherung und Pflege. Die Demografiereserve war aufgebraucht, bevor die Alterung tatsächlich Probleme bereitet. Wieder einmal bewahrheitete sich die Volksweisheit, dass sich eher der Hund einen Wurstvorrat anlegt als der Staat eine langfristige Kapitalreserve.

Auch der Pflegefonds dürfte vor allem dazu dienen, jetzt eine größere Beitragsanhebung durchzusetzen, mit der am Ende Mehrleistungen finanziert werden. Bedauerlich ist, dass auf diese Weise das Modell der Kapitaldeckung in Misskredit gerät. Dabei liegt hier ein Schlüssel zur Bewältigung der demografischen Herausforderung. Die letzte Bundesregierung hatte den Pflege-Bahr eingeführt: eine wie die Riester-Rente staatlich geförderte private Zusatzversicherung. Schon im ersten Jahr wurden fast 300 000 Verträge abgeschlossen. Da die gesetzliche Pflegeversicherung nur eine Teilkaskoabsicherung bietet, ist die Ergänzung in vielen Fällen sinnvoll.

Der Erfolg der Pflege-Zusatzversicherung zeigt, dass die Bevölkerung zur Eigenverantwortung bereit wäre. Doch die Großkoalitionäre legen darauf keinen Wert. Mit den angekündigten Leistungsausweitungen stellen SPD und Union stattdessen die Weichen in Richtung Vollkaskoversicherung. Schon bald wird man die Mittel aus dem Pflegefonds benötigen, um zusätzliche Ausgaben finanzieren zu können. Die Zeche zahlen müssen am Ende die Jüngeren.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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