Neue Fallserie: Das Zahntrauma

Allgemeines Vorgehen beim Zahnunfall – eine Übersicht

Heftarchiv Zahnmedizin
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Dan Brüllmann, Anasthasia Mouratidou Für den Zahnarzt und sein Team stellt die plötzliche Situation, dass ein Patient mit einem Zahntrauma in die Praxis kommt, eine ganz besondere Herausforderung dar. Der folgende Beitrag führt in die Thematik ein und zeigt Therapiemöglichkeiten und -grenzen auf. Im Anschluss an den Übersichtsbeitrag beginnt eine Serie mit besonderen Trauma-Fällen, in der in loser Abfolge einzelne Unfallsituationen vorgestellt werden und gezeigt wird, wie im jeweiligen Fall therapiert wurde.

Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass zwei Drittel aller Frontzahntraumata bei Jugendlichen auftreten [Güngör, 2013; Andersson, 2013]. Die häufigen traumatischen Frontzahnverletzungen während einer wichtigen Wachstumsphase erfordern aufgrund ihrer Irreversibilität und ihrer schweren Folgen für die Lebensqualität eine konsequente Erstversorgung. Erleiden Jugendliche ein Frontzahntrauma, besteht häufig das Problem, den Zahn in dieser ästhetisch wichtigen Zone zu erhalten und Folgeschäden möglichst zu minimieren. Eine unterlassene oder falsche Therapie kann zu lebenslangem zahnärztlichem Therapiebedarf bei den Betroffenen führen [Brüllmann, 2010].

Anamneseerhebung

Die Erstversorgung von Frontzahntraumata unterliegt einer besonderen Sorgfaltspflicht, insbesondere bei Jugendlichen. Zur Standardisierung von Anamnese und Befund empfiehlt sich aus forensischer Sicht die Verwendung standardisierter Erhebungsbögen zum Frontzahntrauma (DGZMK, DGET). Die Anamnese umfasst zunächst die Erhebung von Angaben zum Unfallhergang (was? wann? wo? wer?). Dabei sollte auch auf Hinweise für häusliche Gewalt geachtet werden [Emmerich und Wyszkowski, 2010]. Eine genaue Anamnese ist unter anderem auch wichtig, um bei Sport- oder Schulunfällen die entsprechenden Informationen und Zeugenaussagen für Nachfragen der Unfallkasse zu archivieren. Bei Schul-, Arbeits- und Wegeunfällen ist aus forensischen Gründen auch eine Untersuchung durch einen D-Arzt (Durchgangs-Arzt) zu veranlassen. Hinzu kommen Fragen nach Art und Zeitpunkt der bisherigen Behandlung, die Erhebung der Angaben zum Impfstatus (Tetanusschutz).

Die Tetanus-Immunprophylaxe ist unverzüglich durchzuführen. Fehlende Impfungen der Grundimmunisierung sind entsprechend den für die Grundimmunisierung geplanten Empfehlungen nachzuholen (Tabelle 1). Sinnvollerweise erfolgt dazu die Überweisung zum D-Arzt.

Die Anamnese beinhaltet auch die Abklärung auf Anzeichen eines Schädel-Hirn-Traumas (Commotio oder Compressio cerebri). Leitsymptome einer Commotio cerebri sind die retrograde Amnesie und manchmal auch der Bewusstseinsverlust. Als Begleitsymptome gelten vegetative Symptome wie Blinzeln, Kopfschmerz, Vertigo und starke Übelkeit, mitunter auch Erbrechen. Eine häufige und oft tragische Komplikation nach einem Schädel-Hirn-Trauma ist die Compressio cerebri durch eine Einblutung in den Subarachnoidalraum mit einer lebensbedrohlichen Steigerung des Hirndrucks. Die dazugehörigen Symptome treten bei Kleinkindern oft nach einem freien Intervall von sechs bis zwölf Stunden auf. Leitsymptome sind auftretende Lähmungen, Schielen, fehlender Pupillenreflex, Apathie, Somnolenz, Frieren, Blässe, Tachykardie und häufiges Erbrechen. Eine Überweisung zum entsprechenden Pädiater oder zu einer notärztlichen Einrichtung ist in diesen Fällen unerlässlich. Abschließend sollte noch nach dem Verbleib von Zähnen, Zahnteilen und der Art ihrer Aufbewahrung gefragt werden. Aufgrund der Häufigkeit von Zahntraumata und deren möglicherweise kostenintensiver und langwieriger Versorgung befürwortet die Bundeszahnärztekammer eine Bevorratung von Zahnrettungsboxen in allen Kindergärten, Schulen, Sportstätten, Zahnarztpraxen und medizinischen Einrichtungen [Bundeszahnärztekammer, 2009]. Derart aufbewahrte Zähne haben eine gute Prognose nach einer Replantation.

Befunderhebung

Nach der Anamneseerhebung erfolgt die Aufnahme des extraoralen Befunds. Die Art eventuell vorliegender extraoraler Verletzungsmuster kann bereits Hinweise auf mögliche Frakturen geben und auf die Notwendigkeit einer speziellen Röntgendiagnostik hinweisen. Besonderes Augenmerk gilt dabei direkten und indirekten Anzeichen für Frakturen der Kieferknochen. So sollte beispielsweise bei Stürzen auf das Kinn das Vorliegen von Kiefergelenkfrakturen nach der Erhebung des klinischen Befunds durch gezielte Röntgenaufnahmen ausgeschlossen werden. Weiterhin werden extra-orale Wunden dokumentiert und auf Fremdkörper hin untersucht. Im weiteren Verlauf sollte der Mundraum auf Verletzungen inspiziert werden. Besonderes Augenmerk gilt dabei direkten und indirekten Zeichen für Frakturen der Kieferknochen. Zudem sollten die Zähne auf eine abnorme Mobilität, auf eine abweichende Zahnstellung und auf Sensibilität untersucht werden. Darüber hinaus sollte man den Alveolarfortsatz auf Stufenbildungen oder Diskontinuitäten abtasten. Bei älteren Patienten ist es ratsam, einen Parodontalstatus zu erheben, um die Erhaltungswürdigkeit betroffener Zähne beurteilen zu können. Die im Rahmen der Untersuchung angefertigten Übersichtsröntgenaufnahmen zum Ausschluss von Kieferfrakturen reichen bei Frontzahntraumata für eine adäquate Diagnostik nicht aus. In Panoramaschichtaufnahmen ist der Zustand der Zahnwurzeln und des Zahnhalteapparats in der Frontzahnregion im Oberkiefer nur schwer einzuschätzen, da es zu aufnahmetypischen Überlagerungen der Wirbelsäule oder des harten Gaumens kommen kann [Murray und White, 2002]. Deshalb sind auch bei nicht dislozierten oder avulsierten Frontzähnen Zahnfilme zur Feststellung von Wurzelfrakturen unter verschiedenen Projektionsrichtungen erforderlich [Diangelis et al., 2012]. Das weitere Vorgehen richtet sich nach dem jeweils vorliegenden Verletzungsmuster (Tabelle 2). Dabei ist eine umfassende Diagnostik und die richtige Befund-Einschätzung am Unfalltag die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie und Nachsorge der Patienten.

Therapeutisches Vorgehen nach Verletzungsmuster

Hartsubstanzfrakturen:

Schmelzrisse erkennt man an zarten, nicht mit der Sonde tastbaren Sprüngen an der Krone des betroffenen Zahnes. Bei diesem Verletzungsmuster müssen keine sofortigen Maßnahmen eingeleitet werden. Bei Schmelzfrakturen ist der Zahn symptomlos, es existiert keine Farbänderung, es sind aber aufgeraute Kanten tastbar. Bei der Schmelz-Dentin-Fraktur ohne Pulpenbeteiligung verläuft die Frakturlinie durch die Schmelz- und die Dentinschicht. Der Zahn reagiert empfindlich auf Berührung und Luftzug. Da das Dentin freiliegt, sollte eine Füllungstherapie durchgeführt werden. Bei Schmelz-Dentin-Frakturen mit Pulpenbeteiligung wird eine direkte Überkappung durchgeführt. Die Vorgehensweise ist in diesem Fall insbesondere bei jungen Patienten so zurückhaltend wie möglich zu wählen. Eine der Methoden zur Vitalerhaltung der Pulpa sollte dann auch bei einer Pulpeneröffnung, die über mehrere Stunden bestanden hat, in Betracht gezogen werden. Ist ein gesunder, vitaler Zahn von einer traumatischen Pulpeneröffnung betroffen, wird es inzwischen von einigen Autoren als fragwürdig angesehen, große Teile der Pulpa sofort zu entfernen oder den Zahn einer Wurzelbehandlung zu unterziehen. Bekannt ist, dass Bakterien an traumatisierten Zähnen bei vitaler Pulpa nur das oberflächliche Gewebe penetrieren können [Fouad, 2009]. Somit kann ein Versuch zur Vitalerhaltung bei jungen Patienten, im kariesfreien und vitalen Zahn, auch noch nach mehr als 48 Stunden befürwortet werden, indem man die Wunde anfrischt, mit einem Medikament (MTA oder Calciumhydroxidpräparat) abdeckt und mit einer bleibenden Kompositfüllung versorgt [Ingle, 2008; Sasafuchi, 1999].

Kronen-Wurzel-Frakturen zeigen sich klinisch durch eine erhöhte Beweglichkeit des koronalen Fragments. Dieses wird im Allgemeinen entfernt und der Zahn nach endodontischer Behandlung restauriert. Wurzelfrakturen können mit dem Herausschlagen des sichtbaren Anteils des Zahnes, mit dem partiellen Verlust an Zahnhartsubstanz oder mit einer Fehlstellung einhergehen oder sich völlig unauffällig darstellen. Sie sind lediglich erkennbar an einer leicht erhöhten Zahnbeweglichkeit. Eine Wurzelfraktur kann meistens nur mit einer entsprechenden Röntgenaufnahme sicher festgestellt werden. Bei Wurzelfrakturen unterscheidet man zwei Typen anhand des Verlaufs der Frakturlinien: die vertikale Wurzelfraktur und die horizontale Wurzelfraktur. Bei vertikalem Frakturlinienverlauf ist die Prognose für den Zahn äußerst ungünstig, da hierbei über den Frakturspalt eine Verbindung zwischen Mundhöhle, Desmodont und Pulpa besteht, durch die Bakterien bis in die Tiefe der Alveole penetrieren können. Deshalb ist je nach Frakturverlauf eine Extraktion oft nicht zu vermeiden [Diangelis et al., 2012]. Bei der horizontalen Wurzelfraktur verläuft die Frakturlinie quer zur Zahnachse. Dieser Frakturtyp kann weiter eingeteilt werden in eine horizontale Wurzelfraktur im cervikalen, im mittleren oder im apikalen Drittel der Wurzel. Je nach Höhe des Frakturverlaufs ist der Zahn mehr oder weniger mobil und Blut tritt aus dem gingivalen Sulkus. Sensibilitätstests können negativ sein. Im weiteren Verlauf tritt oft eine Verfärbung der Krone auf. Zur eindeutigen Diagnostik sollten zumindest zwei Zahnfilme in unterschiedlichen Richtungen angefertigt werden (orthoradial und exzentrisch). Bei Frakturen im mittleren und im apikalen Drittel muss das koronale Fragment möglichst spaltfrei reponiert und der betroffene Zahn für vier bis zwölf Wochen mittels einer möglichst rigiden Draht-Komposit-Schiene versorgt werden. Bei horizontalen Wurzelfrakturen im zervikalen Bereich kann wie bei Kronen-Wurzel-Frakturen verfahren werden, gegebenenfalls nach erfolgter kieferorthopädischer Extrusion [Erbe et al., 2013].

Konkussion:

Hierunter versteht man eine Erschütterung oder Stauchung des parodontalen Ligaments. Der Zahn ist berührungs- oder perkussionsempfindlich, zeigt keine Lageänderung und keine erhöhte Mobilität. Sensibilitätstest verlaufen in aller Regel positiv. Es bestehen keine röntgenologischen Auffälligkeiten [Diangelis et al., 2012].

Subluxation:

Hier zeigt der Zahn neben der Berührungs- und Perkussionsempfindlichkeit eine erhöhte Mobilität und Blut tritt aus dem gingivalen Sulkus. Sensibilitätstests können aufgrund eines Ödems vorübergehend negativ sein. Konkussion und Subluxation benötigen keine weitere Therapie, aber regelmäßige Verlaufskontrollen und Sensibilitätsprüfungen.

Extrusion:

Hier erscheint der Zahn verlängert und ist stark beweglich. Sensibilitätsproben können kurzzeitig oder beständig negativ verlaufen. Therapeutisch wird der Zahn mit langsam steigender Kraft manuell in die Alveole reponiert und sieben bis zehn Tage mit flexibler Draht-Komposit-Schiene versorgt.

Luxation:

Bei der lateralen Luxation zeigt der Zahn eine Achsabweichung nach labial oder nach palatinal. Die starke Dislokation führt zu einem Abriss des apikalen Gefäßnervenstrangs. Der Zahn reagiert somit auf Sensibilitätstests negativ. Dieser Verletzungstyp geht in der Regel mit einer Fraktur des Alveolarfortsatzes einher. Aufgrund der Verkeilung der an der Wurzel gestielten Knochenteile ist der Zahn wenig mobil und zeigt ein helles, metallisches Perkussionsgeräusch. Therapeutisch wird der Zahn manuell oder mithilfe einer Zange vorsichtig aus seiner verkeilten Position gelöst und in seine ursprüngliche Position reponiert und für vier Wochen mit einer Draht-Komposit-Schiene versorgt. Bei Anzeichen einer Pulpanekrose oder ausbleibender Sensibilität sollte eine Wurzelbehandlung eingeleitet werden [Diangelis et al., 2012].

Intrusion:

Hier wird der Zahn axial in die Tiefe der Alveole getrieben und ist immobil. Es kommt zu einer Kompressionsschädigung des Parodontalligaments und des apikalen Gefäßnervenstrangs. Bei abgeschlossenem Wurzelwachstum sollte der Zahn chirurgisch reponiert und mittels flexibler Draht-Komposit-Schiene für vier Wochen versorgt werden. Außerdem sollten eine Trepanation nebst Entfernung des Pulpengewebes und eine medikamentöse Einlage erfolgen [Diangelis et al., 2012]. Bei offenem Foramen apikale wird die therapeutische Entscheidung nach der Tiefe der Intrusion gestellt. Beträgt die Intrusion weniger als drei Millimeter, wird eine Spontaneruption für einige Wochen abgewartet, ansonsten wird eine kieferorthopädische Extrusion eingeleitet. Bei der Intrusion über sieben Millimeter, muss die chirurgische/kieferorthopädische Repositionierung eingeleitet werden.

Avulsion:

Hier kommt es bezüglich der Prognose essenziell auf die Erstversorgung an. Die Wahl der Behandlungsmethode richtet sich nach der Wurzelreife (offenes oder geschlossenes Foramen apikale) und nach dem Zustand der Zellen des periodontalen Ligaments (PDL) auf der Wurzeloberfläche. Folgende Klassifikation in drei Stufen gilt [Andersson et al., 2012]:

• Die Zellen des PDL sind höchstwahrscheinlich vital, aufgrund einer sofortigen Reimplantation des Zahnes.

• Die PDL-Zellen sind vital, aber in einem kompromittierten Zustand aufgrund einer extraoralen Verweilzeit (kleiner als 60 Minuten) und konsekutiver Lagerung in einem Nährmedium.

• Die PDL-Zellen sind devital, aufgrund Trockenlagerung über 60 Minuten oder Lagerung in einem unphysiologischen Medium.

Wurde der Zahn sofort replantiert, sollte er an Ort und Stelle belassen oder in eine optimale Position gebracht werden, um anschließend mit einer flexiblen Draht-Komposit-Schiene fixiert zu werden. Zusätzlich wird eine systemische Antibiose appliziert (Amoxicillin nach Körpergewicht, wenn keine Penicillinallergie vorliegt). Sieben Tage nach Replantation soll vor der Splintentfernung eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden. Wurde der Zahn in einem physiologischen Aufbewahrungsmedium gelagert, sollte die Wurzeloberfläche mit physiologischer Kochsalzlösung gespült und der Zahn nach Applikation einer Lokalanästhesie manuell in seine Alveole reponiert werden. Gingivaeinrisse werden anschließend genäht, der Zahn wird mit einer flexiblen Draht-Komposit-Schiene fixiert. Zusätzlich wird eine systemische Antibiose appliziert. Sieben Tage später soll vor der Splintentfernung eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden. Sind die PDL-Zellen aufgrund trockener Lagerung über 60 Minuten oder aufgrund Lagerung in einem unphysiologischen Medium devital, hat der Zahn eine deutlich schlechtere Prognose, wobei eine Ankylose und eine Ersatzresorption drohen. Das devitale Gewebe auf der Wurzeloberfläche sollte entfernt werden, der Zahn mit Bifluorid oder Zinnfluoridlösung zur Resorptionsprophylaxe imprägniert und eine extraorale Wurzelkanalbehandlung durchgeführt werden [Ingle, 2008; Andersson et al., 2012].

Die Baseler Schule um Pohl und Filippi empfiehlt die Lagerung in einer Tetracyclinlösung und die systemische Gabe von Doxycyclin. Nach Applikation einer Lokalanästhesie wird der Zahn manuell in seine Alveole reponiert und mit einer flexiblen Draht-Komposit-Schiene fixiert. Bei Luxationsverletzungen mit hohem Dislokationsgrad wie laterale Luxation, Intrusion oder Avulsion ist mit einem Abriss des apikalen Gefäßnervenstrangs zu rechnen. In diesen Fällen sollte bei bereits abgeschlossenem Wurzelwachstum eine Wurzelbehandlung zur Resorptionsprohylaxe eingeleitet werden.

War es bisher bei Luxationsverletzungen an Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum üblich, den Zahn zu reponieren und eine erhoffte, aber meist nicht eintretende Revaskularisierung abzuwarten und den Patienten in einen engen Recall zu nehmen, so wird aktuell eine möglichst frühzeitige Wurzelkanalbehandlung befürwortet. Dies hat folgenden Grund: Da das apikale Foramen sehr klein ist (circa 300 bis 400 µm) [Kerekes und Tronstad, 1977], kann keine Neubesiedelung durch Granulationsgewebe und konsekutive Angiogenese erfolgen, wie von Kling et al. bereits 1985 nachgewiesen [Kling et al., 1985]. Da der Zahn aber nicht über eine kollaterale Versorgung verfügt, stirbt die Pulpa ab. Dies wiederum kann zu einer Ersatzresorption oder zu einer entzündlichen Resorption der Zahnwurzel führen.

Luxationsverletzungen bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum: Hier ist die Therapieentscheidung schwieriger. Das apikale Foramen ist weit offen, unter Umständen liegt ein nahezu parallelwandiges Wurzelkanalsystem vor. In diesem Fall ist es sehr schwer, eine Wurzelfüllung dicht in dieses Kanalsystem einzubringen, ohne das apikal gelegene Gewebe zu schädigen. Im glücklichsten Fall wird der Zahn von apikal revaskularisiert. Es kann aber im Fall einer bakteriellen Infektion des Pulpengewebes zu einer totalen Pulpanekrose kommen, die eine Wurzelbehandlung zur Folge hat.

Hier gibt es aktuell hauptsächlich zwei propagierte Ansätze zur Erreichung eines apikalen Abschlusses des Zahnes.

• Erstens: medikamentöse Einlagen mit Calciumhydroxidpräparaten zur Stimulation der Hartgewebsbildung am Apex oder

• Zweitens: Einbringen von MTA-Zementen zum sofortigen Verschluss des unreifen Apex.

Die Apexifikation geht mit dem Einbringen von Calciumhydroxid in die Wurzelkanäle des unreifen Zahnes einher. Das Präparat muss alle drei Monate gewechselt werden und die Bildung einer Hartgewebsbarriere dauert bis zu 20 Monate [Huang, 2009]. Der Nachteil dieser Behandlung ist der häufige Medikamentenwechsel im Kanal und die erhöhte Frakturgefahr der behandelten Zähne durch die Desintegration des Kollagens im Dentin wie von Andreasen et al. 2002 beschrieben [Andreasen et al., 2002]. Diese Art der Apexifikation wird gegenüber dem sofortigen Verschluss des apikalen Foramen mit Mineral Trioxide Aggregate (MTA) als überholt angesehen. Pace et al. konnten 2007 zeigen, dass mit MTA ein sicherer apikaler Abschluss und bessere Heilungsergebnisse zu erzielen sind [Pace et al.,2007]. Da bei dieser Technik der Zahn sofort mittels Kunststofffüllung bis ins obere Kanaldrittel versorgt werden kann, und es zu keiner Desintegration des Dentin-Kollagens kommt, wird diese Methode bereits von vielen Autoren als optimale Versorgung in diesen Traumafällen angesehen. Eine relativ neue Technik, deren Evidenzlage momentan nicht so eindeutig liegt, ist die sogenannte Apexogenese [Windley et al., 2005]. So berichteten Iwaya et al. 2001 über den Fall eines Prämolaren mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum und sehr schmalen Kanalwänden [Iwaya, 2001]. Dieser wurde trepaniert, das nekrotische Gewebe entfernt und die Wunde mit einem Metronidazol-Ciprofloxacin-Präparat abgedeckt. Die Zugangskävität wurde dicht mit Kunststoff verschlossen. Drei Jahre später stellten die Autoren fest, dass ein voll ausgewachsener und vitaler Zahn entstanden war. Circa ab 2008 zeigten Huang und Bose in retrospektiven klinischen Studien, dass die Versorgung von Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum mittels Triple-Antibiotic-Paste zu einem weiteren Wachstum der Wurzel führt [Huang, 2009; Bose, 2009].

Bei einer Alveolarfortsatzfraktur kommt es zu einem Abriss des Zahnes oder einer Zahngruppe en bloc mitsamt den umgebenden Alveolenteilen. Die betroffenen Zähne zeigen oft eine starke Mobilität. Die Sensibilität kann je nach Dislokationsgrad negativ ausfallen, die Okklusion kann gestört sein. Weiterhin können Einrisse der Mukosa in der Umgebung des Knochenfragments festgestellt werden. Als Versorgung sollen die betroffenen Segmente anatomisch reponiert und für vier Wochen immobilisiert werden [Diangelis et al., 2012].

Sensibilitätsprüfungen können bei diesem Verletzungsmuster bis zu drei Monate falsch negative Ergebnisse erbringen. Bei Verdacht auf das Vorliegen weiterer Begleitfrakturen im Ober- oder im Unterkiefer ist eine Überweisung in eine MKG-Klinik erforderlich.

Tipp für die Praxis

Generell gilt: Nach allen Arten von Frontzahntraumata müssen in regelmäßigen Abständen Sensibilitätstests der betroffenen und umliegenden Zähne erfolgen, am Unfalltag, nach sieben Tagen, nach vier Wochen, nach drei Monaten, nach sechs Monaten und dann jährlich, um mögliche negative Folgen einer stillen Pulpennekrose wie Ankylose, internes Granulom oder externe Resorption rechtzeitig zu diagnostizieren. Die Anfertigung von Zahnfilmen zur Verlaufskontrolle ist frühestens ein bis drei Monate nach dem Unfalltag indiziert und richtet sich nach dem jeweiligen Verletzungsmuster (Tabelle 3).

PD Dr. Dan BrüllmannPoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieAugustusplatz 255131 Mainzbruellmd@uni-mainz.de

Dr. Anasthasia MouratidouPoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieAugustusplatz 255131 Mainz

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