Eine prospektive Studie zur anxiolytischen Wirkung

Mit Musik gegen die Angst

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Feuchte Hände, Schweißausbrüche, Magendrücken, Herzrasen und mehr. Das sind nur wenige der leichten bis schweren Symptome von Angst, die sich vor und/oder während eines Zahnarztbesuchs einstellen können. Jeder dritte Erwachsene ist von diesem Phänomen betroffen. Diese Angstsymptomatik führt zur Behandlungserschwernis sowohl für den Patienten als auch für den Zahnarzt selbst sowie für sein ganzes Team. Eine Methode, diese gezielt mit Musik zu bekämpfen, wurde in einer umfangreichen Studie untersucht.

Efthymios Pantas, Hans-Peter Jöhren

Verschiedene Untersuchungen ergeben mittlere bis starke Angst für drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung [Ingersoll, 1987; Jöhren et al., 2007, Margraf-Stiksrud,1996]. Andere Untersuchungen belegen, dass in 95 Prozent aller Praxen keinerlei Techniken zur Angstreduktion angeboten werden [Platen, 2001], obwohl der Einsatz von Musik in verschiedenen Untersuchungen als anxiolytisch beschrieben wurde.

Schon im Jahr 1901 wurde Musik zur Anxiolyse im Rahmen von Narkoseeinleitungen angewandt [Kronfeld, 1901]. Gardner und Licklider verwendeten dann als erste den eher missverständlichen Begriff der „Audioanalgesie“ [Gardner und Licklider, 1959], unter dem gemeinhin eine vollständige Schmerzausschaltung verstanden wird. Immerhin berichteten die beiden Autoren, dass unter der ablenkenden Wirkung von Musik sogar Zahnextraktionen ohne den Einsatz von Anästhesie möglich waren. Die vorliegende prospektive klinische Untersuchung analysiert die anxiolytische und schmerzreduzierende Wirkung von Musik vor und während der zahnärztlichen Behandlung. Besonderes Augenmerk wurde auf die Wirkung von Musik zu den verschiedenen Behandlungsphasen gerichtet, die ein Patient während seines Praxisaufenthalts vom Wartezimmer bis zur eigentlichen Behandlung durchlebt (Freigabe durch die Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke (Nr. 18/2010)).

Material und Methode:

Da Patienten mit einer Zahnbehandlungsphobie die regelmäßige Behandlung vermeiden und meistens als Notfallpatienten in die Praxen kommen, wurden diese aus der Studie ausgeschlossen. Aufgenommen wurden nur Studienteilnehmer in die Studie, die anhand von zwei validierten Angst-Fragebögen, dem hierarchischen Angstfragebogen (HAF) nach Jöhren [Jöhren, 1999] und dem State-Trait-Angstinventar (STAI-S) nach Laux et al. [Laux et al.,1981], als „mittelängstlich“ eingestuft werden konnten. Bei allen Patienten mussten mindestens zwei gleiche Therapien notwendig sein.

Diese erfolgten dann in zwei Behandlungsphasen mit vier- bis sechswöchigem Abstand, einmal mit Musik und einmal ohne (mouth-split-design). Darüber hinaus wurde bei der Hälfte der Probanden zuerst unter Musik und dann ohne Musik behandelt, die andere Gruppe wurde erst zu Phase 2 mit Musik behandelt. So sollte ein Messzeitpunkteffekt ausgeschlossen werden.

Dabei erfolgte bei jeder Behandlung die Messung von Angst, Schmerz und Pulsrate zu identischen Messzeitpunkten (MZ). Zur Erfassung der subjektiven Angst- und Schmerzempfindung wurden zu den sechs Messzeitpunkten erprobte, standardisierte Fragebögen und visuelle Analogskalen verwendet (HAF, VAS Angst / erinnerte Angst, STAI-S, VAS erwarteter/erinnerter Schmerz). Außerdem wurde zu jedem Messzeitpunkt die Pulsrate als physiologischer Parameter mittels Fingerpulsoximeters ermittelt.

Jeder Patient wurde unter gleichen räumlichen Bedingungen, ohne Prämedikation und vom selben Zahnarzt behandelt.

Eine schematische Darstellung des Studienablaufs zeigt die Abbildung nächste Seite.

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Ergebnisse

Als Interventionsmedium fungierte Entspannungsmusik, die den Probanden über handelsübliche Ohrkanalhörer der Firma Sennheiser (Typ CX300) zugespielt wurde, die gleichzeitig die Ausblendung von Umgebungsgeräuschen sicherstellten. Hierbei hatte der Patient die Möglichkeit, selbst zwischen drei CDs auszuwählen, zwei Kompositionen von Martin Buntrock – Meer und Atlantic Symphony [Buntrock, 2003; Buntrock, 2007], deren anxiolytische Wirksamkeit im Rahmen einer experimentellen Untersuchung von Jöhren und Zimmermann [Jöhren und Zimmermann, 2002] bereits nachgewiesen wurde, sowie die CD „Cafe del Mar, Classic I“ (2002), deren anxiolytische Wirkung sich in der vorliegenden Studie erweisen sollte.

Bei allen drei CDs handelte es sich um Musik ähnlicher Stilrichtung mit langsamen instrumentalen Tönen und Rhythmen sowie einem Metrum von 60 Schlägen pro Minute. Die Lautstärke der Einspielung konnten die Probanden selbst regulieren.

Ein Vergleich der Gesamtsummen-Scores unter den beiden Bedingungen „Behandlung mit“ versus „ohne Musikeinspielung“ gewährleistete eine systematische und statistisch überprüfbare Bewertung der Wirksamkeit des Interventionsmediums Musik auf das Angstempfinden von Patienten. Die Daten wurden mit XLStat2011 ausgewertet und das übliche Signifikanzniveau von p = 0,05 wurde verwendet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 90 mittelängstliche Patienten (63 weiblich, 27 männlich) in die Studie aufgenommen.

Die Ergebnisse der Studie bestätigten einen anxiolytischen (p 0,0001), schmerzlindernden (p 0,0001) und die Herzfrequenz (p 0,0001) reduzierenden Effekt von Musik bei der Zahnbehandlung im Praxissetting. Von den 19 Messwerten, die innerhalb der sechs Behandlungszeitpunkte mit unterschiedlichen Verfahren erhoben wurden, verwiesen 14 auf eine durchgängig signifikant positive Wirkung von Musik auf das Angst- und Schmerzerleben sowie eine Verlangsamung der Pulsrate (Tabelle 1).

Darüber hinaus konnten im vorliegenden Cross-Over-Design keine konsistent signifikanten Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen hinsichtlich des Musikeinsatzes in Phase 1 oder in Phase 2 ermittelt werden. Als auffälligstes Messergebnis im Vergleich der Behandlungsphasen zeigte der Musikeinsatz unmittelbar vor der Behandlung auf dem Zahnarztstuhl (MZ 2) den größten Effekt auf alle untersuchten Parameter:

• auf das Schmerzempfinden (Reduktion 28 Prozent, p 0,0001, Wilcoxon-Test),

• auf das Angstempfinden (17,3 Prozent, p 0,0001; t-Test), Parameter HAF (11,5 Prozent, p 0,0001; t-Test), Parameter State (8,8 Prozent, p 0,0001; t-Test)

• sowie auf die Pulsrate (6,2 Prozent, p 0,0001; t-Test) (Tabelle 2).

Dieser größte Effekt der Musikintervention zum Zeitpunkt unmittelbar vor der Behandlung (MZ 2) lässt sich auch anhand der Effektstärken verdeutlichen (Abbildung 2).

Eine allgemeine Verringerung des Ängstlichkeitsgrads durch Musik konnte nur tendenziell nachgewiesen werden.

Im Behandlungsverlauf zeigten die erfassten Angstparameter (HAF, VAS Angst / erinnerte Angst und STAI-S) eine gleichmäßigere Reaktion auf die Musikwirkung mit einem nur schwach signifikanten Unterschied bei der Zustandsangst zwischen Wartezimmer und Behandlungsstuhl, während bei der Schmerzempfindung die Musik im Behandlungsstuhl einen signifikant größeren Effekt zeigte als unmittelbar nach der Behandlung und einen Tag danach.

Während die Musik über den Behandlungszeitraum hinweg zu einer relativ konstanten Reduktion des Angstempfindens (zwischen 11,7 bis 17,3 Prozent) führte, wurden im Gegensatz dazu bei den Parametern Schmerzempfindung (zwischen 4 und 28 Prozent) und Pulsrate (zwischen 0,9 und 6,2 Prozent) starke Schwankungen ermittelt. Aber auch die Pulsrate – als durch die Angst beeinflusster physiologischer Parameter – wurde im Behandlungsstuhl durch die Musikeinspielung signifikant stärker reduziert als zum Beispiel einen Tag nach der Behandlung.

Insgesamt hatte die Musik in der präoperativen Phase der Behandlung eine größere Wirkung auf alle erfassten Parameter als danach.

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Klinische Relevanz

Den Ergebnissen der vorliegenden Studie zufolge sollte Musik nicht erst während der Behandlung, sondern bereits vor der Behandlung eingesetzt werden, da hier der größte Effekt auf Schmerz und Angstempfindung ermittelt werden konnte. Anhand einer anderen Studie unserer Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass der Einfluss auf Angst und Schmerzempfindung durch Distraktionsverfahren wie Musik Zeit braucht und nicht sofort wirksam wird [Jöhren und Zimmermann, 2002]. Da Musikeinspielung jedoch zu jedem Zeitpunkt der Zahnbehandlung, wenn auch in unterschiedlichem Maß, zu einer signifikanten Verbesserung im Angst- und Schmerzerleben des Patienten führt, ist der Einsatz von Musik auch zu den anderen Behandlungszeitpunkten hilfreich. Wichtig scheint zu sein, dass dieses Distraktionsverfahren individuell eingesetzt wird, da sich andere Patienten in der Praxis durch eine generelle Beschallung im Wartezimmer gestört fühlen [Korte, 2010].

Dieses kostengünstige und einfach anzuwendende Instrument kann durch seinen Einsatz in allen Behandlungsphasen den Praxisalltag begleiten und den Aufenthalt in der Zahnarztpraxis angst- und schmerzfreier gestalten.

Dr. Efthymios PantasHeinrich-Heine Allee 3740213 Düsseldorfmpantas@yahoo.de

Prof. Dr. Hans-Peter JöhrenDepartement ZahnmedizinUniversität Witten /Herdeckec/o Zahnklinik BochumAugusta Kranken AnstaltBergstr. 2644791 Bochumhp.joehren@t-online.de

Dieser Beitrag wurde bereits als Langversion in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ Ausgabe 5/2013) publiziert und erscheint mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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