Ansprechhaltung im Praxisalltag

Elternzentrierte Prophylaxe

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Um die Zahngesundheit beim Kind zu erreichen, muss das Praxisteam eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zu den Eltern aufbauen. Da Kinder bis zum Ende des dritten Lebensjahr eine sehr geringe Bereitschaft haben, sich an fremde Personen zu binden, die Verweigerung der Untersuchung dementsprechend eine altersgemäße normale Reaktion ist, zählt die Beziehung zu den Eltern um so mehr.

Ob ein Kind in seinem Milchgebiss zahngesund bleibt, hängt an erster Stelle von den Rahmenbedingungen ab, welche seine primären Bezugspersonen ihm setzen. Besucht das Kind eine Kindertagesstätte, so nehmen die pädagogischen Fachkräfte durch die Gestaltung des Alltags Einfluss auf die Zahngesundheit des Kindes. Dies gilt natürlich auch für die Zahnarztpraxis, in der die Eltern mit ihrem Kind von Anfang an betreut werden.

Das Kind lernt über seine Bezugspersonen, es orientiert sich an ihnen, es braucht von ihnen das Signal „Hier ist alles in Ordnung“.

Eltern sind erste Ansprechpartner

Auch im Kindergartenalter bleiben die Eltern der erste Ansprechpartner für das Prophylaxeteam. Erst im Schulalter wird das Kind auf Grund seiner intellektuellen und motorischen Reife zum ersten Ansprechpartner. Bis dahin benötigt erfolgreiche Prophylaxe eine stabile Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern.

Wie soll die Zusammenarbeit gestaltet werden, welche Erwartungen dürfen vom Praxisteam an die Partnerschaft mit den Eltern geknüpft werden?

Partnerschaftlich kann nur heißen, die Beziehung zwischen den Erwachsenen in wechselseitiger Anerkennung zu gestalten. Wertschätzung, Respekt und Achtung bestimmen die Zusammenarbeit nicht nur da, wo sie, wie etwa bei Schwangeren meist harmonisch verläuft, sondern auch da, wo unterschiedliche Auffassungen und Werte bestehen. Wechselseitige Anerkennung lässt also Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung zu. Eltern zu achten und wertzuschätzen, wenn sie nicht mit den Prophylaxe-Ratschlägen übereinstimmen, ist für viele Praxisteams eine ganz besondere Herausforderung. Doch Eltern sind Experten für ihr Kind und ohne sie gibt es keine Lösung für ein Problem. Sie zu gewinnen bedeutet, den Verzicht darauf, sie „erziehen“ zu wollen oder ihnen wohlgemeinte Vorschriften überzustülpen. Im Austausch müssen Entscheidungen getroffen und Lösungen gefunden werden, auch wenn diese „nur“ Kompromisse oder kleine Schritte sind.

Solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist, haben Eltern als Erziehungsberechtigte die weitergehenden Entscheidungsbefugnisse. Dem Praxisteam kann eine gute Beziehung gelingen, wenn versucht wird, sich einfühlsam in die Lage der Eltern hineinzuversetzen. Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen ist dabei genauso wichtig wie die Übernahme der Verantwortung für das Verhalten der Eltern abzulehnen.

Elternzentrierte Kommunikation

Die folgenden konkreten Punkte können für das Praxisteam hilfreich sein:

• Die Führung der Eltern liegt bei der professionellen Fachkraft. Für den konstruktiven Verlauf des Gesprächs ist der Behandler allein verantwortlich.

Konflikte, die „unter der Decke“ gehalten werden, verschaffen sich irgendwann doch „Luft“. Die Gefahr der Eskalation ist kleiner, wenn man den Konflikt frühzeitig benennt und Lösungswege sucht.

Beispiel: Eltern lehnen die Verwendung von fluoridhaltiger Kinderzahnpasta aus Überzeugung ab. Der Behandler akzeptiert die Entscheidung der Eltern. Schließlich tragen Eltern die Verantwortung für die Gesundheit ihres Kindes. Er klärt die Eltern über das erhöhte Kariesrisiko auf.

Um die Zähne des Kindes gesund zu erhalten, müssen die Zuckerimpulse stark reduziert, die Plaquebeseitigung durch die Eltern perfekt sein und das Gleichgewicht im Mund durch ein anderes Medikament wie etwa Xylit oder Calcium erhalten werden. Ein Streitgespräch mit fragwürdigem Ausgang kann der Behandler somit vermeiden.

Gleichzeitig gewinnt er die Eltern für die Mitarbeit und sorgt zusammen mit den Eltern für die Zahngesundheit des Kindes.

Empathie statt Konfrontation

• Niemals Eltern beschuldigen oder einen Vorwurf formulieren.

Besser ist es, Eltern zu entlasten. Ein Beispiel: Die Eltern kommen mit ihrem vierjährigen Kind zum ersten Mal zum Zahnarzt. Die Diagnose lautet ECC. Die Therapie ist die Sanierung in Narkose. Die Eltern fordern den Behandler auf, dem Kind zu sagen, dass es seine Zähne nicht gut genug geputzt hat und damit für seine misslichen Lage selbst verantwortlich ist. Der Behandler weiß jedoch, dass die Eltern die ECC durch ihr falsches Verhalten verursacht haben. Ein konstruktives Gespräch kann gelingen, wenn sich der Behandler klar macht, dass die Eltern ihr Bestes versucht haben, sie wollten ihrem Kind nicht absichtlich schaden. Er kann sich mit den Eltern solidarisieren, wenn er erkennt, warum die Eltern falsch gehandelt haben: Was haben sie nicht gewusst? In welchen Bereichen haben sie keine Unterstützung von den Fachleuten bekommen? Hätten die Eltern gewusst, dass mit dem Durchbruch des ersten Zahnes der erste Zahnarztbesuch ansteht, wären sie früh genug in die Zahnarztpraxis gekommen. Hätten sie gewusst, dass Löcher in Milchzähnen starke Zahnschmerzen auslösen, wären sie sicherlich früher gekommen. Hätte ihnen die Hebamme die Kieferkamm-Massage gezeigt und hätte das Praxisteam das Zähneputzen an den ersten Milchzähnen mit den Eltern geübt, kann jeder Behandler sicher sein, dass dieses Kind weitestgehend zahngesund geblieben wäre.

• Besser präzise nachfragen als angreifen und werten.

Ein weiteres Beispiel: Der Behandler fordert eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern im Alter zwischen einem und sieben Jahren auf, abends allen Kindern nach dem Abendessen die Zähne sauber zu putzen. Die Mutter gibt ehrlich zu, dass sie das nicht schafft. Statt die Mutter anzugreifen (Schließlich hat der Behandler in seiner Familie das doch auch hinbekommen!) ist es besser, sich den Ablauf am Abend genau erklären zu lassen. Durch Nachfragen kann er die Mutter dazu bringen, selbst eine Lösung des Problems zu finden. Nur dieses Ergebnis hat eine echte Chance zur Umsetzung, denn ...

• ... Eltern sind Experten für ihre Familie und für ihr Kind. Ein Gespräch mit ihnen ist ein Expertengespräch. Sie müssen in die Lösung eingebunden werden.

Dabei darf die Lösung des oben genannten Problems auch unkonventionell sein, wenn sie fachlich zu vertreten ist.

Ein Beispiel: Besser ist es, wenn die Mutter dem einjährigen Kind am Morgen, wenn beide Geschwister in der Kita sind, in Ruhe und gründlich die Zähne sauber putzt, als es Abend für Abend ausfallen zu lassen. Der kleine Schritt produziert im Moment mehr Zahngesundheit als die Ideallösung des Behandlers. Das Praxisteam orientiert sich nicht an den Defiziten der Mutter, sondern erfragt, was sie kann und wie sich dieses Können für die Zahngesundheit nutzen lässt.

Prinzipiell können sowohl die Eltern als auch der Behandler an wenigen zielorientierten und erfolgreich umgesetzten Verhaltensweisen in der Familie mehr Freude entwickeln, beziehungsweise Motivation gewinnen als durch den Blick auf eine lange Liste von Verhaltensdefiziten.

Prophylaxebotschaften

Die Informationen für die Eltern auf jene zu reduzieren, die die Zahngesundheit wirklich fördern macht Sinn, denn viele Forderungen an Eltern erhöhen das Risiko, dass keine von ihnen umgesetzt wird.

Da Eltern regelmäßig mit ihrem Kind die Zahnarztpraxis besuchen, ist es besser in jeder einzelnen Sitzung nur ein zahngesundheitsförderliches Verhalten mit den Eltern zu erarbeiten und abzusichern anstatt alle Botschaften in jeder Sitzung zu wiederholen. Die Anzahl der Forderungen und die Geschwindigkeit der Umsetzung ist grundsätzlich an den Wissens- und Bildungsstand der Familie anzupassen. Die Informationen für die Eltern müssen einfach und verständlich formuliert und emotional gekoppelt sein. Prophylaxe ist mehr eine Herzensangelegenheit als ein intellektuelles Regelwerk. Dabei hat das Üben einer Prohylaxehandlung sowie die Vermittlung über Bilder Vorrang gegenüber dem Gespräch. Dies gilt für das Trinken aus einem offenen Becher ebenso wie für die Prophylaxebotschaft „Eltern putzen Kinderzähne sauber“ (siehe zm 9/2013).

Problembereiche aus dem Praxisalltag

• Warum tun manche Eltern nicht das, was man ihnen schon mehrfach gesagt hat?

Eltern, die nicht das tun, was man ihnen gesagt hat, haben eine niedrige Selbstwirksamkeiterwartung. Sie glauben von sich selbst, dass sie das, was von ihnen verlangt wird, nicht können und dass sie mit dem, was sie tun sollen, bei ihrem Kind nichts bewirken. Hier hilft nur das Üben. Im Üben liegt der Beweis, ich (= Bezugsperson, hier beispielhaft als Mutter bezeichnet) kann es und ich bewirke etwas. Das Prophylaxeteam hat die Aufgabe die Mutter zu qualifizieren, denn nur sie kann die tägliche Plaquefreiheit herstellen. Damit gehört erstens das Lob für die beim Kind erreichte Zahngesundheit der Mutter und zweitens bleibt die Mutter in der Verantwortung dafür. Nimmt der Behandler beim Termin in der Praxis der Mutter diese Handlung ab und stellt selbst die Plaquefreiheit her, besteht das Risiko, dass die Mutter ihre Verantwortung dem Praxisteam überträgt. Das ist das Gegenteil von dem, was in der Prophylaxe angestrebt wird.

• Wie kann der Behandler verhindern, dass eine Mutter sich vorgeführt und in ihrer Kompetenz angegriffen fühlt?

Angenommen, eine Mutter kommt mit ihrem vierjährigen Kind zum ersten Mal in die Praxis. Auf den gesunden Milchzähnen ist Plaque oder sie sind kariös, es besteht aber kein akuter Behandlungsbedarf. Der Behandler kann davon ausgehen, dass die Mutter die Kinderzähne abends nicht sauber putzt. Will er die Mutter für die Prophylaxe gewinnen, darf er sie nicht beschuldigen.

Eine mögliche Vorgehensweise ist: Der Behandler färbt die Beläge des Kindes an und macht sie der Mutter dadurch sichtbar. Er gibt dem Kind eine Zahnbürste in die Hand und fordert es auf, zu zeigen, was es schon alles kann. Das Kind wird sein Bestes geben, denn in diesem Alter sind Kinder noch nicht in der Lage, einen Erwachsenen zu täuschen. Das Kind wird ausgiebig dafür gelobt. Es bekommt aber keine Hilfe seitens des Behandlers, denn jede Hilfe verbessert das Putzergebnis im Vergleich zu dem, was das Kind zuhause allein erreichen kann. Das Ergebnis wird besprochen und erklärt.

Dabei soll die Mutter erkennen, dass trotz großer Anstrengung und Lob seitens des Fachmannes ihr Kind nicht in der Lage ist, die Plaque vollständig zu beseitigen. Damit sie sich jetzt nicht schlecht fühlt (= nur ihr Kind kann das nicht), wird sie entlastet mit „Das ist bei allen Kindern so. Ich erwarte das erst, wenn ihr Kind flüssig schreiben kann. Dafür hat es noch vier Jahre Zeit zum Üben“.

Nach dem Prinzip „tell-show-do“ nimmt der Behandler jetzt die Zahnbürste in die Hand. Die Mutter darf zuschauen, wie der Prophylaxe-Fachmann einer anderen Person Zähne sauber putzt. Die Mutter lernt durch die Nachahmung. Der Behandler begleitet sein Tun positiv mit Sätzen wie: „Das kitzelt ja herrlich, das ist wie Kuscheln mit der Mama auf dem Sofa“. Jetzt darf die Mutter üben. Sie darf die restlichen Zähne sauber putzen und bekommt dafür Tipps und praktische Anleitung durch den Behandler und ein großes Lob. Das Lob ist wichtig zur Erhöhung ihrer Selbstwirksamkeitserwartung und wichtig für das Kind als Signal, dass seine Mutter das kann. Der Auftrag „Eltern putzen Kinderzähne sauber“ geht zum Schluss an die Mutter und an das Kind, denn es soll zuhause mitarbeiten, in dem es bereitwillig seinen Mund öffnet. Die Mutter erhält das passende Faltblatt und eventuell das Zahnputz-Zauberlied (beides erhältlich beim Verein für Zahnhygiene, Darmstadt) und wird für eine Kontrolle wieder einbestellt.

• Wie kann ich einer Mutter von einem sechsjährigen Kind das „Eltern putzen Kinderzähne sauber“ beibringen, die es bisher nicht gemacht hat?

Es macht keinen Sinn, rückwarts zu arbeiten und der Mutter zwischen den Zeilen oder direkt zu sagen, dass sie sechs Jahre lang „ihre Pflicht“ nicht getan hat. Der Behandler kann die Mutter aber ins Boot der Prophylaxe nehmen, in dem er sie auf die Sechs-Jahr-Molaren und das nötige Querputzen aufmerksam macht. Er kann die Mutter bitten, regelmäßig in den Mund des Kindes zu schauen und sobald sie einen Schulzahn entdeckt, soll sie einen Termin in der Praxis vereinbaren, damit dieser mit Lack geschützt werden kann. So wird ihr Interesse und ihre Neugierde geweckt für den Mund ihres Kindes.

Dr. Andrea ThumeyerKärntner Str. 665187 Wiesbadenthumeyer@t-online.de

Die Autorin bildet auf Anfrage Praxisteams in der „Elternzentrierten Prophylaxe“ fort.

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