Frühkindliche Karies

Rechtzeitig vorsorgen

Frühkindliche Karies in der Altersklasse von Null- bis Dreijährigen ist in Deutschland ein zunehmendes Versorgungsproblem. Eine systematische und frühzeitige Vorsorge schafft Abhilfe. Wie das geht, zeigt das neue Konzept der Zahnärzteschaft zur zahnmedizinischen Prävention bei Kleinkindern. Das Ziel: Direkt am Lebensanfang die Basis für ein zahngesunde Zukunft bereiten. Bei der Umsetzung ist die Selbstverwaltung gefordert.

Zahnmedizinische Prävention über die gesamte Lebensspanne des Menschen umzusetzen – dies ist das erklärte Ziel der Zahnärzteschaft. Mit dem Konzept „Frühkindliche Karies vermeiden“ haben BZÄK und KZBV jetzt gemeinsam mit dem Bundesverband der Kinderzahnärzte und dem Deutschen Hebammenverband unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Greifswald ein Programm entwickelt, das die Präventionslücke bei Null- bis Dreijährigen schließen soll. Es versteht sich als weiterer Baustein in der Präventionsstrategie der Zahnärzteschaft, die der Berufsstand freiwillig und aus Überzeugung entwickelt hat. Das Konzept trifft auch den Nerv der gesundheitspolitischen Pläne, noch in diesem Jahr ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen. Allerdings besteht bei der Umsetzung des Konzepts kein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Hier ist die Selbstverwaltung gefragt. Deswegen wird die KZBV einen entsprechenden Antrag in den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einbringen. Am 7. Februar 2014 wurde es in Berlin der Presse vorgestellt.

Die frühkindliche Karies gelte als häufigste chronische Erkrankung im Vorschulalter und dominiere mit zum Teil massiven Gebisszerstörungen das Gesamtkariesaufkommen bei Kleinkindern, erklärte Prof. Dr. Christian Splieth, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ), Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde der Universität Greifswald vor den Journalisten. Zu den Risikofaktoren zähle der nächtliche exzessive Gebrauch der Nuckelflasche mit kariogenen oder auch erosiven Getränken, die frühzeitige Infektion mit Mutans-Streptokokken und mangelhafte Mundhygiene, was immer häufiger mit einem niedrigen sozioökonomischen Status einhergehe. Die Häufigkeit liege bei zehn bis 15 Prozent, in sozialen Brennpunkten steige sie sogar auf bis zu 40 Prozent.

Eine verstärkte Polarisierung der Karies sei zu beobachten: Immer weniger Kinder vereinigten die Mehrheit der Karies auf sich. Bei den Dreijährigen etwa vereingten zwölf Prozent der Kinder 95 Prozent des Kariesbefalls auf sich. Das Problem, das Splieth aufzeigt: Behandlungsbedürftige Zähne bei Kleinkindern bleiben oftmals unbehandelt, weil die Compliance der Betroffenen für eine umfangreiche Therapie noch nicht ausreicht. Das führt dazu, dass neben Zahnschmerzen, Fisteln, Abszessen und vorzeitigem Milchzahnverlust auch die Lebensqualität der Kinder und Eltern eingeschränkt ist. Das Erkrankungsbild mit den charakteristischen „white spots“ wird oft von den Eltern nicht erkannt, oder zu spät wahrgenommen, so dass ein Zahnarztbesuch nicht mehr auf die Prävention, sondern auf die Schmerzversorgung ausgerichtet werden muss.

Passgenaue Versorgung vermeidet Karies

Das große versorgungspolitische Ziel der Vertragszahnärzteschaft sei, dass die Menschen in Deutschland ihre natürlichen Zähne über den gesamten Lebensbogen gesund erhalten, betonte der Vorsitzende des Vorstands der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer. Der Schlüssel dazu liege in einer konsequenten Präventionsorientierung, bei der es für jede Alters- und Risikogruppe passgenaue Versorgungskonzepte geben müsse. Startpunkt sei das Säuglings- und Kleinkindalter, und genau hier setze das Konzept zur Vermeidung frühkindlicher Karies an.

Zwar sehe das SGB V eine flächendeckende Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen vor, jedoch würden Kinder unter drei Jahren nur ungenügend erreicht, da noch nicht einmal 25 Prozent dieser Kinder eine betreute Einrichtung besuchten. Daneben gebe es auch eine Individualprophylaxe für Kinder beim Zahnarzt in der Praxis. Aber auch dort bestehe eine Lücke: Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sähen vor, dass die individuellen Früherkennungsuntersuchungen erst mit dem 30. Lebensmonat beginnen. Damit läge bei den jüngeren Kindern die Verantwortung für die Mundgesundheit weitestgehend bei den Kinderärzten. Jedoch wiesen kleine Kinder immer öfter bereits Karies auf, bevor sie der Zahnarzt mit seinen Prophylaxemaßnahmen erreichen könne. Daher sei es laut Eßer sinnvoll, dass die dental-präventive Betreuung vom ersten Milchzahn an in den Händen des Zahnarztes liegen sollte. Nur dieser habe die Chance, entsprechende therapeutische Maßnahmen zu ergreifen, damit sich Initialkaries zurückbilden kann.

Die Zahnärzteschaft fordere deshalb, den Maßnahmenkatalog der GKV um zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen für Kinder ab dem sechstem Lebensmonat zu erweitern. Diese Untersuchungen sollten im gelben Heft (das vom G-BA herausgegeben wird, und das alle Eltern bekommen,) verankert werden. Dazu sei eine enge Vernetzung und Zusammenarbeit mit den Kinderärzten angestrebt. Es sei auch wünschenswert, dass die Kinderärzte die Eltern künftig auf die zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen hinweisen und im gelben Heft prüfen, ob die Eltern mit ihrem Kind beim Zahnarzt waren.

Mögliche Lösungswege aufzeigen

Mit dem neuen Konzept setze die Zahnärzteschaft getreu dem Motto der BZÄK „Prophylaxe ein Leben lang“ einen weiteren Schwerpunkt bei der Zielgruppe der Kleinkinder, erklärte BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich vor den Journalisten. Darüber hinaus biete das Konzept mögliche Lösungswege für das dargestellte Problem an. Nahezu die Hälfte aller kariösen Defekte, die bei der Einschulung festgestellt werden, seien bereits in den ersten drei Lebensjahren entstanden, erklärte Oesterreich mit Verweis auf oral-epidemiologische Studien. Bei Familien in sozial schwierigen Lebenslagen wie auch bei bildungsfernen Schichten sei das Kariesaufkommen besonders hoch.

Milchzähne seien nicht nur wichtig für die Entwicklung des Kauorgans, der Sprache und der Physiognomie, sondern auch für die psychosoziale und allgemeingesundheitliche Entwicklung des Kindes. Diese Gesichtspunkte würden häufig unterschätzt und bagatellisiert. Frühkindliche Karies könnte auch einen Hinweis auf Kindesvernachlässigung geben. Eine schlechte Mundgesundheit von Kleinkindern sei ein wichtiger Prädiktor zur Einschätzung der psychosozialen Entwicklung und zur Beurteilung von Interventionsstrategien. Präventionsmaßnahmen mit Bezug auf den Setting- Ansatz, also auf das Lebensumfeld der Kinder in Kindertageseinrichtungen, Kindergärten und Schulen, seien besonders effektiv. Gesundheits- und Mundgesundheits- erziehung sollte fester Bestandteil des pädagogischen Lehrplans sein. Für die Mundgesundheit der Kleinkinder sei die Verzahnung des Setting-Ansatzes und der Früherkennungsuntersuchungen von entscheidender Bedeutung. Oesterreich verwies auf die von der BZÄK definierten Mundgesundheitsziele. Hinsichtlich der Karies bei den seSechsjährigen verfolge die BZÄK das ambitionierte Ziel, dass im Jahr 2020 insgesamt 80 Prozent dieser Altersgruppe kariesfreie Milchgebisse besitzen solle. Die letzten vorliegenden Daten aus dem Jahr 2009 zeigten, dass der Anteil naturgesunder Gebisse bei den Sechs- bis Siebenjährigen lediglich bei durchschnittlich 54 Prozent liege.

Hebammen geben jungen Eltern Rat

Susanne Steppat, Beirätin für den Angestelltenbereich im Deutschen Hebammenverband (DHV), stellte die Rolle der Hebammen bei der zahnärztlichen Präventionsarbeit heraus. Als Ansprechpartnerinnen für junge Eltern seien sie Botschafterinnen für alle Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt und die erste Lebensphase des Kindes, da sie junge Familien vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit betreuen.

Nach der Geburt seien Mütter besonders interessiert an Informationen, die die Gesundheit des Kindes betreffen. Die Mundhygiene sprächen sie allerdings nur selten an. Zahnärztliche Kinderuntersuchungspässe ausgeben, auf ungesundes Verhalten wie Ablecken von Schnullern und Löffeln oder Dauernuckeln hinweisen, zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen erklären – es gebe vieles, das die Hebammen zur Zahngesundheit von Kindern beitragen können, erklärte sie. Hebammen sollten die ersten Untersuchungen beim Zahnarzt erklären und vor allem auf die Gefahren des Ableckens von Löffeln und Schnullern durch andere Personen, des Dauernuckelns und der Gabe von kariogenen Flüssigkeiten hinweisen. Da Hebammen bereits in vielen weiteren Bereichen präventiv tätig seien, und da deren Leistungen auch im Sozialgesetzbuch verankert seien, könnte die Beratung zu Zahngesundheitsthemen einen weiteren Baustein ihrer Präventionsarbeit darstellen. Steppat verwies auf die Zusammenarbeit des DHV mit der BZÄK und der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung. So habe man einen Comic ohne Worte zur Kariesprophylaxe-Anleitung gemeinsam mit der Verbandszeitschrift HebammenForum erarbeitet (Die zm berichteten. Siehe auch:www.bzaek.de/comic-ecc).

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