Gastkommentar

Quatsch mit Sauce

pr
Die Krankenkassen werden darauf achten, dass mögliche Zusatzbeiträge im Gleichschritt erhoben werden, um einen Wettbewerb über Preise verdeckt zu halten, prognostiziert Andreas Mihm, Wirtschaftskorrespondent der FAZ, Berlin.

Politik ist oft widersprüchlich. Belege dafür gibt es viele. Einen aktuellen bietet wieder einmal die Gesundheitspolitik. Hier hat die Koalition im Frühjahr neue Regeln zur Finanzierung der Krankenkassen aufgestellt. Mehr Wettbewerb soll es geben, aber um die Qualität, nicht um den Preis. Preiswettbewerb hatten wir vor ein paar Jahren, als die Leute Kassen wie der DAK und der KKH zu Tausenden davongelaufen sind, weil sie einen Zusatzbeitrag von acht Euro zahlen mussten. Deshalb steht im Gesetz, dass das falsch war. Künftig gibt es zwar weiter einen Zusatzbeitrag, den die Kasse nach eigenem Ermessen (und Finanznöten) festlegt. Der Unterschied aber ist: Der neue Zusatzbeitrag wird als zusätzlicher Beitragssatz direkt an der Zahlstelle, also beim Arbeitgeber, erhoben. Die flotte Behauptung, das sei kein Preiswettbewerb, ist natürlich Quatsch mit Sauce. Die Politik weiß das. Sonst hätte sie den Kassen nicht ausdrücklich vorgeschrieben, ihre Mitglieder über Beitragssatzerhöhungen zu informieren, ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen und dann auch noch gezwungen, auf preiswertere Kassen hinzuweisen.

Zwar kommt der neue Preiswettbewerb nicht mehr so scharf daher wie der alte. Dennoch haben viele Kassen die Hosen gehörig voll. Deshalb haben sie beschlossen, die im Internet beim Spitzenverband der Kassen zu veröffentlichende Liste mit den Beitragssätzen streng nach dem Alphabet zu ordnen. Die Liste kann der Internetnutzer zwar auf unterschiedliche Weise sortieren lassen, nicht aber nach des Höhe des Beitragssatzes. Die Preiswerten zuerst – so viel Transparenz ist doch nicht gewollt.

Wie hoch der Zusatzbeitrag ausfällt, um nächstes Jahr über die Runden zu kommen, entscheiden die Kassen im Dezember. Die Vorentscheidung aber fällt Mitte Oktober im Schätzerkreis der Krankenversicherung. Experten von Bund, Bundesversicherungsamt und Kassen beraten darüber, wie sich Ausgaben und Einnahmen entwickeln werden. Das ist eine komplexe Sache. Am Ende läuft es auf drei Zahlen hinaus: Wie hoch sind die Gesamtausgaben? Wie viel kann davon mit dem auf 14,6 Prozent reduzierten Beitragssatz bezahlt werden? Wie hoch ist die verbleibende Differenz, für die ein Zusatzbeitrag verlangt werden muss? Dieser durchschnittliche Zusatzbeitrag, aktuell sind es 0,9 Prozentpunkte, ist die Marke, an der sich die Kassen orientieren. Brauchen sie mehr, um ihre Ausgaben zu decken, laufen sie Gefahr, dass ihnen die Mitglieder weglaufen. Deshalb wollen die Kassen, dass der Schätzerkreis den durchschnittlichen Zusatzbeitrag möglichst hoch, vielleicht auf 1,0 Prozent, festlegt. Der Gesundheitsminister indes, der versprochen hat, dass 20 Millionen Versicherte in den Genuss niedriger Beitragssätze kommen könnten, hat das entgegengesetzte Interesse. Setzt der den durchschnittlichen Beitragssatz zum Beispiel auf 0,85 Prozent, wäre das ein Signal für einen (wenn auch nur marginal) niedrigeren Beitragssatz. Denn das Gros der Kassen wird sich an diesem neuen Satz orientieren. Zwar verfügt das System über hohe Rücklagen, die sind aber unterschiedlich verteilt. Nicht jede Kasse hat Rücklagen von einigen Milliarden Euro wie die TK oder die AOK Plus. Sie werden mit leicht unterdurchschnittlichen Sätzen ins Rennen gehen, ohne ihre Reserven zu gefährden. Die meisten anderen, darunter viele große Kassen aus dem Lager der AOK oder der Ersatzkassen, werden sich das nicht leisten können. Allerdings werden sie ihre Rücklagen bis zum Anspannen nutzen, um jetzt einen überdurchschnittlich hohen Zusatzbeitrag zu vermeiden. Doch werden sich das die meisten nur ein Jahr leisten können. 2016 wird es deshalb höhere Zusatzbeiträge auf breiter Front geben. Die Kassen werden darauf achten, dass dies möglichst im Gleichschritt passiert. Von wegen Wettbewerb.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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