Fortpflanzungsmedizin

Frauen wollen mehr Selbstbestimmung

Die Debatte über Firmenangebote an Mitarbeiterinnen für das Einfrieren ihrer Eizellen – ausgelöst durch Geschäftsmodelle der US-Konzerne Facebook und Apple – hat eines verdeutlicht: In der Welt der Fortpflanzungsmedizin gibt es kaum noch Grenzen.

Zunächst waren viele geschockt: Bis zu 20 000 Dollar, hieß es aus US-Medien, bieten Apple und Facebook ihren Angestellten für das Einfrieren ihrer Eizellen an. Dadurch, so lautete die Begründung der Konzerne, könnten sich die Frauen zunächst auf ihre Karriere und später dann auf das Kinderkriegen konzentrieren. „Social Freezing“ – also die Entnahme unbefruchteter Eizellen und deren Schockfrostung, Kühlung und Einlagerung – bliebe allein der Frau und ihren Wünschen überlassen, hieß es von deutscher Arbeit-eberseite. Und überhaupt sei Familienpolitik völlig anders anzugehen, beschwerte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Später Mutter sein

So kritisch viele den Vorstoß von Apple und Facebook auch bewerteten, dem Einfrieren von Eizellen stehen viele Deutsche an sich recht offen gegenüber. So ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der Zeit, dass insbesondere 14- bis 29-Jährige diese Form der Schwangerschaftsplanung keineswegs ablehnen. Im Gegenteil: 53 Prozent sprachen sich sogar dafür aus. Auch von den 40- bis 49-Jährigen zeigten sich 51 Prozent offen dafür, ging aus der Erhebung hervor.

Das Gesetz ist veraltet

Deutschland, so scheint es, geht generell toleranter mit den neuen Wegen der Fortpflanzungsmedizin um. Neue Lebensentwürfe werden im Zuge des gewandelten Verständnisses von Selbstbestimmung, Familie und Gesellschaft immer offener diskutiert. Auf der einen Seite geht es dabei immer wieder um das erlaubte Ausmaß an assistierten Reproduktionstechniken zur Erfüllung eines Kinderwunsches. Diskutiert werden die künstliche Befruchtung, die In-vitro-Fertilisation oder die Spermieninjektion. Auch die Debatte um das Einfrieren von Eizellen und um die Leihmutterschaft lässt sich darunter fassen. Auf der anderen Seite geht es um diagnostische Möglichkeiten, insbesondere die Methoden und Auswirkungen der Pränatal- und der Präimplantationsdiagnostik.

Aus Sicht von Prof. Jochen Taupitz gibt es trotz all der Fortschritte ein Problem: Die Rechtslage wird dem gewandelten Verständnis von Fortpflanzungsmedizin nicht gerecht. „Das Embryonenschutzgesetz von 1991 ist völlig veraltet“, findet der stell- vertretende Vorsitzende des 2008 konstituierten Deutschen Ethikrates. Viele Dinge, die vor mehr als 20 Jahren als gefährlich angesehen wurden, hätten sich als überholt herausgestellt, glaubt der Jurist vom Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht an der Universität Mannheim. Das für die rechtlichen Rahmenbedingungen der Fortpflanzungsmedizin einschlägige Gesetz verbietet zum Beispiel die Leih- beziehungsweise Ersatzmutterschaft sowie Eingriffe in die Keimbahn und die Eizellspende. Da allerdings in absehbarer Zeit kein politischer Druck bei brisanten Themen wie der Leihmutterschaft zu erwarten sei, werde sich an der Rechtslage erst einmal nichts ändern, vermutet Taupitz.

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Strafgesetz ist ungeeignet

Der Deutsche Ethikrat hatte sich in der Vergangenheit – hauptsächlich aus Kapazitätsgründen – nicht in aller Gänze mit der Fortpflanzungsmedizin beschäftigen können. Allerdings griff das 26-köpfige Sachverständigengremium immer wieder einzelne Aspekte der komplexen und umfassenden Thematik auf, erläutert Taupitz, beispielsweise die Praxis der Präimplantationsdiagnostik im europäischen Vergleich.

Nach Ansicht von Prof. Georg Griesinger vom Universitären Kinderwunschzentrum Lübeck lässt sich ein ethisch so komplexes Thema nicht über das Strafgesetz regeln. „Deshalb fordern wir sozialrechtliche Wege über ein Fortpflanzungsmedizingesetz“, betont Griesinger. Dabei zeigt sich der Arzt durchaus offen für neue Wege im Bereich der Leihmutterschaft.

Die verbotene Leihmutter

Anders als in vielen Ländern der Welt ist die Leihmutterschaft als Methode zur Überwindung der ungewollten Kinderlosigkeit in Deutschland – ebenso in Österreich und in der Schweiz – aus Sorge vor Kommerzialisierung verboten. In den USA und in vielen EU-Ländern, so in Großbritannien, Frankreich, Belgien, Griechenland, Spanien und den Niederlanden, ist sie dagegen erlaubt. Darüber hinaus erlauben Israel, Australien, Russland und auch Indien die Austragung eines Kindes über eine andere Mutter. „Unter sehr begrenzten Regularien könnte man die Leihmutterschaft auch in Deutschland zulassen“, sagt Griesinger. Wichtig seien vor allem eine intensive psychologische Beratung aller involvierten Parteien und eine begleitende Evaluation.

Es gebe derzeit keine Hinweise darauf, dass sich eine Leihmutterschaft auf nach teilige Weise für die beteiligten Parteien, insbesondere für die Leihmutter selbst und für das Kind, auswirkt. „Wenn sich bei uns allerdings auf diesem Gebiet etwas bewegt, dann nur auf Zwang“, befürchtet der Direktor der Sektion für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Lübecker Zentrum.

Sehr offen steht Griesinger auch dem Einfrieren von Eizellen gegenüber – mit einer Ausnahme: „Wenn eine Frau ihre Eizellen noch im hohen Alter nutzen will, habe ich Bauchschmerzen.“

Freiheit ist willkommen

Pro Monat kommen Griesinger zufolge etwa zwei bis vier Frauen in sein Zentrum, um sich über eine Entnahme und das Einfrieren von Eizellen beraten zu lassen. Insgesamt gebe es bei der Konservierung von unbefruchteten Eizellen mithilfe von Schnellgefrierverfahren zunehmend Fortschritte, die Risiken für Frau und Kind seien gering.

Wichtig ist dem Reproduktionsmediziner in allen Fällen eine sorgfältige Aufklärung, insbesondere bei Frauen im fortgeschrittenen Alter. Ansonsten, sagt Griesinger, ist „alles, was den Freiheitsgrad erweitert, willkommen“.

Martina Merten M.A.Fachjournalistin für Gesundheitspolitik /healthcare journalistinfo@martina-merten.de

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