Gastkommentar

Auch nach Brüssel blicken

Die Frage der sogenannten Deregulierung von Freien Berufen wie Ärzten und Zahnärzten ist besorgniserregend, meint Thomas Grünert, Chefredakteur, Vincentz Network, Berlin.

In Berlin lief in diesen Tagen der Berlin- Marathon. Doch nicht nur auf den Straßen der Hauptstadt geht es in diesen Wochen recht sportlich zu. Auch hinter den Türen der Ministerien herrscht Marathon-Stimmung. Besonders im Gesundheitsministerium, wo in den vergangenen 15 Monaten nicht weniger als 15 Gesetze und Verordnungen auf den parlamentarischen Weg gebracht wurden.

Zur Zeit sind’s gar sieben wegweisende Gesetze auf einen Streich. Rekord! Der Gegenwind der Opposition erschöpft sich vorwiegend in Anträgen und Anfragen, die dann aber in der Diskussion kaum Wirkung haben. Selbst eine massive Protestaktion der Krankenhäuser gegen die geplante Strukturreform ging in der allgemeinen Diskussion unter, wie man denn nun in der Asylantenfrage verfahre.

Herrscht nun also ein weitgehender Konsens in der Gesundheitspolitik? Unbestreitbar ist, dass heftig an den Schrauben unseres Gesundheitswesens gedreht wird, ohne dass die massiven Interessen vieler Akteure lebhaft diskutiert werden. Die Entscheidungsmechanismen haben sich von einer Selbstverwaltung auf Augenhöhe auf eine institutionalisierte Verwaltung verschoben. Überraschend ist das nicht. Schon gar nicht, wenn man einmal den Blick auf europapolitische Entwicklungen richtet. Besonders die Frage der sogenannten Deregulierung von Freien Berufen wie Ärzten und Zahnärzten ist besorgniserregend. Sowohl die nationalen Entwicklungen als auch der Versuch, europäische Normen auf einen

Nenner zu bügeln, führen in der Konsequenz zu einem Gesundheitssystem unter staatlicher Lenkung. Staatsmedizin contra Freiberuflichkeit: Schneller als mancher Politiker sich das vielleicht vorstellen kann, würden sich die Strukturen des deutschen Gesundheitswesens zum Nachteil ändern, wenn man sich diesem Trend nicht entgegenstellt. Dabei reicht es nicht den Mund zu spitzen, es muss auch gepfiffen werden. Ein Abpfiff für gefährliche Gedankenspiele der EU-Kommission, unterschiedliche Systeme durch die Demontage funktionierender Berufsstrukturen zusammenzuführen, kann aber nur erfolgen, wenn die Politiker sich endlich um eine klare Linie auch zu europapolitischen Entwicklungen bemühen.

„Liberalisierung der Märkte“ und „Vereinheitlichung europäischer Normen“ – das klingt von der Begrifflichkeit zunächst positiv und erstrebenswert. Besonders im Gesundheitswesen hat aber die geregelte Berufsausübung für Kontinuität, Qualität und eine Kultur des Heilens gesorgt. Besonders bei Geheimnisträgern, zu denen Ärzte und Zahnärzte eindeutig zählen, ist das Basis für die Vertrauensbeziehung zum Patienten. Eben darauf fußt die besondere Rolle dieser Berufe in der Selbstverwaltung. Würde diese auch noch durch europäische Eingriffe entmachtet, bliebe an Ende nur ein staatliches System, dessen Entscheidungen stets dem politischen Kalkül folgen.

Doch nicht nur Politiker sind gefragt, solche Gefahren von unserem Gesundheitswesen abzuwenden. Auch die (Zahn)Ärzteschaft muss sich massiver in die Diskussion einschalten. Schleichende Kompetenzverschiebungen, die oft auch noch von vorgeschobenen ökonomischen Zwängen begleitet werden, dürfen nicht dazu führen, dass die freiberuflich getragenen medizinischen Professionen ihren Anspruch auf eine normgebende Rolle im deutschen Gesundheitswesen aufweichen lassen.

In diesen Tagen kommen viele Menschen aus anderen Ländern zu uns, die fasziniert sind von der hohen Qualität unseres Gesundheitswesens. Wenn überhaupt, kennen sie nur staatlich organisierte Versorgung. Sie wissen das zu schätzen, was unsere Politiker und die medizinische Profession auf jeden Fall schützen müssen, um ein wirklich zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu garantieren. Andernfalls wären wir bald an einem Punkt, der eine Versorgung und die Solidarität unter den Bürgern – erst recht zu Menschen, die bei uns Schutz suchen – zu einem schönen Märchen aus der Vergangenheit macht.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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