Der besondere Fall

Ektoper und dysplastischer 28er

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Eine 71-jährige Patientin stellte sich in der oralchirurgischen Ambulanz des Einsatzlazaretts in Afghanistan mit Zahnschmerzen an Zahn 15 vor.

Die Patientin arbeitet als Lehrerin an der Universität von Mazar-e-Sharif für eine Nichtregierungsorganisation (non-governmental organisation, NGO). Im Rahmen der medizinischen Unterstützung werden nach enger Absprache auch NGO-Mitarbeiter gegen eine Pauschalzahlung behandelt.

Befundung und klinische Untersuchung

Die Patientin zeigte sich in einem guten Allgemeinzustand. Es lagen keine Allgemeinerkrankungen vor, die Medikamentenanamnese war unauffällig, allerdings gab die Patientin an, seit Jahren nicht beim Arzt gewesen zu sein.

Intraoral zeigte sich bei guter Mundhygiene folgende Situation: Dem klinischen Befund schloss sich ein OPG (Orthopanthomogramm) als zusätzliche diagnostische Maßnahme an. Auf dem OPG sieht man eine ringförmige Struktur in der Kieferhöhle links mit einer zystischen Formation um die ringförmige Struktur (Abbildung 1).

Laut Eigenangaben hatte die Patientin in dem Bereich kein Trauma, keine Operation oder Infektion, allerdings zeigte sie deut- liche Symptome einer linksseitigen Sinusitis, vor allem beim Bücken. Zur weiteren Diagnostik wurde eine Computertomografie (CT) in der radiologischen Abteilung des Einsatzlazaretts durchgeführt (Abbildungen 2 und 3). Im CT zeigt sich ein malrotierter, verplumpter 28er. Zahnwurzeln lassen sich nicht abgrenzen. Um die Zahnkrone herum zeigt sich eine 3,9 cm x 2,4 cm x 3,5 cm große, zystische, rand- ständig verkalkte Formation. Diese füllt subtotal die linke Kieferhöhle aus. Der Zysteninhalt zeigt sich homogen ohne Septierungen. Die Dichte ist mit etwa 30 HE angehoben. Leicht expansives, jedoch kein infiltratives Wachstum. Kein Hinweis auf ein malignes Geschehen.

Therapie

Nachdem der Befund ausführlich mit der Patientin besprochen worden war, erfolgte die Entfernung des dysplastischen Zahnes sowie die Zystektomie in Intubationsnarkose. Dafür wurde der Zugang durch die faziale Kieferhöhlenwand links gewählt, um eine möglichst gute Übersicht über den Situs zu bekommen.

Bei der Zystektomie entleerte sich ein brauner, klebriger Inhalt. Von diesem wurde ein Abstrich genommen und der Zystenbalg wurde zur histopathologischen Untersuchung an das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz geschickt.

Die Zyste stellte sich in dieser histopathologischen Untersuchung als ein keratozystisch odontogener Tumor dar. Der dysplastische Zahn 28 ließ sich relativ leicht aus der lateralen Wand der Kieferhöhle luxieren. Nach Spülung der Kieferhöhle mit physiologischer Kochsalzlösung erfolgten die Reposition des Knochendeckels und die Fixierung mittels Osteosynthese (Abbildung 4).

Abschließend erfolgte der Verschluss der Wunde, und die Patientin wurde für eine Nacht stationär zur Überwachung aufgenommen. Mit stadiengerechten Wundverhältnissen konnte die Patientin am nächsten Tag nach Hause entlassen werden.

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Diskussion

Ektopische Zähne findet man in den Kieferknochen oder in Regionen außerhalb des Kieferbogens. Weisheitszähne sind oft in einer ektopen Position. Eine eher ungewöhnliche Lage ist die laterale Wand der Kieferhöhle. In die Kieferhöhle verlagerte Zähne weisen recht häufig Zysten auf, von denen die häufigste Zyste die follikuläre Zyste darstellt [Amin ZA, Amran M, 2008; Srinivasa Prasad T, Sujatha G, Niazi TM, Rajesh P., 2007]

Die follikuläre Zyste ist die häufigste aller Follikelzysten. Sie findet sich häufiger bei Männern im zweiten oder im dritten Lebensjahrzehnt. Etwa 70 Prozent der follikulären Zysten entstehen im Unterkiefer, 30 Prozent im Oberkiefer [Srinivasa Prasad T, Sujatha G, Niazi TM, Rajesh P., 2007; Wang Chih-Jen et al., 2009]. Die Zähne, die am häufigsten mit einer follikulären Zyste verbunden sind, sind die unteren Weisheitszähne, Eckzähne im Oberkiefer und Unterkiefer-Prämolaren. Sehr selten finden sich follikuläre Zysten bei oberen Weisheitszähnen [Ebhardt H, Reichart P, 2009].

Differenzialdiagnostisch sollten das unizystische Ameloblastom, der adenomatoide odontogene Tumor (AOT), frühe Stadien der Gorlin-Zyste, ameloblastische Fibrome, das ameloblastische Fibroodontom und die odontogene Keratozyste bedacht werden.

Das unizystische Ameloblastom tritt meistens bei Menschen im Alter von unter 30 Jahren auf und ist bei beiden Geschlechtern gleichermaßen zu sehen [Mahesh KR et al., 2010]. Der AOT zeigt sich üblicherweise in der zweiten Lebensdekade und betrifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Er tritt meistens in der Oberkieferfront auf und ist in etwa 74 Prozent der Fälle mit der Krone eines retinierten Eckzahns und/oder eines überzähligen Zahnes verbunden. In der Kieferhöhle ist der AOT extrem selten.

Gorlin-Zysten findet man in etwa zu 65 Prozent im Bereich der Schneidezähne und Eckzähne. Das ameloblastische Fibrom ist ein seltener Tumor. Er tritt in den ersten zwei Jahr- zehnten häufiger bei Männern im unteren Seitenzahnbereich auf und ist in über 75 Prozent der Fälle mit einem nicht durch- gebrochenen Zahn verbunden.

Das ameloblastische Fibroodontom tritt häufig im Oberkiefer auf und ist mit einem retinierten Zahn verbunden. Allerdings ist das ameloblastische Fibroodontom selten in der Kieferhöhle zu finden, und wenn, dann meistens bei jungen Erwachsenen im Alter von 20 Jahren.

Odontogene Keratozysten zeigen sich bei Patienten in allen Altersgruppen, allerdings häufig im aufsteigenden Ast des Unter- kiefers und in 25 bis 40 Prozent der Fälle mit Beteiligung eines nicht durchgebrochenen Zahnes [Frerich B et al., 2008].

Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von odontogenen Zysten-Läsionen ist sehr wichtig, um die Morbidität zu vermeiden. Daher wurde die Zyste inklusive des ektopen, dysplastischen Zahnes in diesem Fall entfernt [Jundt G, Remagen W, Prein J, 1997]. Dass es sich wie in diesem Fall – trotz des hohen Alters der Patientin – nach der histopathologischen Untersuchung um einen keratozystischen odontogenen Tumor handelte, ist grundsätzlich eher selten. Gerade bei dieser Zystenart ist jedoch die Entfernung indiziert. Die Patientin wurde über das Ergebnis der Histologie aufgeklärt und kommt alle drei Monate zum Recall.

Oberfeldarzt Dr. Marcus StoetzerSanitätsversorgungszentrum SeedorfFallschirmjäger-KaserneTwistenberg 120,27404 Seedorfmarcus_stoetzer@web.de

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