Gastkommentar

Zahnärzte und Ärzte werden es bezahlen

Die Koalitionäre sorgen mit ihrer Sozialpolitik für erheblichen Beitragsdruck. Es droht eine Politik der Kostendämpfung zulasten der Mediziner, meint Dr. Dorothea Siems, Chefkorrespondentin für Wirtschaft der Welt, Berlin.

In der EU gelten die Deutschen als Sparkommissare, die andere Länder gerne über solides Haushalten belehren. Dabei ist die Bundesrepublik zurzeit selbst alles andere als ein Vorbild. Denn die Große Koalition verteilt soziale Wohltaten, als gäbe es kein Morgen. Erst hat man ein Rentenpaket beschlossen, das die Ausgaben jahrzehntelang in die Höhe treibt. Dann folgte die erste Stufe einer teuren Pflegereform und im nächsten Jahr kommt die zweite Stufe, mit der die Leistungen einmal mehr kräftig ausgeweitet werden. In der GKV betreiben SPD und Union zwar keine derartige Leistungsausweitung. Doch die zahlreichen Gesetzesänderungen, die Gesundheitsminister Hermann Gröhe seit Amtsantritt umgesetzt hat, treiben allein 2016 die Kosten um 1,4 Milliarden Euro in die Höhe; bis 2019 könnten die Mehrkosten auf 3,4 Milliarden pro Jahr steigen. Gröhe kann sich gar rühmen, seit Jahrzehnten der erste Gesundheitsminister zu sein, der nur Reformen angeht, die Geld kosten.

Der sozialpolitische Kurs der Bundesregierung ist populär – aber angesichts der Alterung der Gesellschaft grob fahrlässig. Nur weil infolge der guten Konjunktur die Einnahmen der Sozial- versicherungen kräftig sprudeln, spüren die Beitragszahler die Folgen dieser Politik bisher noch nicht. Doch die Finanzreserven schmelzen bereits dahin. Die GKV meldete für das erste Quartal dieses Jahres ein Defizit von fast 170 Millionen Euro, obwohl schon nahezu jede Kasse neben dem regulären Einheitssatz einen Zusatzbeitrag erhebt, den nur die Versicherten, nicht aber die Arbeitgeber zahlen. Da die Ausgaben weitaus schneller steigen als die Einnahmen, wird das Gros der Kassen nicht darum herumkommen, schon bald an der Beitragsschraube zu drehen. Spätestens dann wird die Debatte über notwendige Sparprogramme losgehen. Zumal nicht nur die Opposition, sondern auch Union und SPD steigende Zusatzbeiträge sozialpolitisch für problematisch halten.

Letztlich haben die Koalitionäre die Wahl, entweder den allgemeinen Beitragssatz steigen zu lassen oder die Patienten stärker zu belasten. Eine dritte Möglichkeit wäre eine Kostendämpfung zulasten der Leistungserbringer. Da auch in der Renten- und Pflegeversicherung als Folge der massiven Leistungsausweitung steigende Beitragssätze drohen, wird man kaum zulassen, dass auch noch die GKV die Sozialabgabenquote weiter in die Höhe treibt. Einschnitte für die Patienten fallen gerade den Volksparteien besonders schwer. Das gilt umso mehr, je näher die nächste Bundestagswahl rückt. Die Sozialdemokraten erinnern sich schließlich noch gut daran, dass die Erhöhung der Zuzahlungen, die Einführung einer Praxisgebühr und die Streichung der rezeptfreien Medikamente aus dem Leistungskatalog wesentlichen Anteil daran hatten, dass die SPD 2005 abgewählt wurde.

Die Union hatte sieben Jahre zuvor Ähnliches erlebt: Der frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer belastete Ende der 90er-Jahre ebenfalls im Rahmen von Kostendämfpungsgesetzen die Patienten und zog sich damit den Unmut der Wähler zu. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb groß, dass sich SPD und Union bei ihrer Suche nach Einsparmöglichkeiten am ehesten auf Maßnahmen verständigen können, die die Leistungserbringer treffen werden. Besonders beliebt, zumal schnell wirksam, sind Einschnitte für die Pharmaindustrie, die in der Bevölkerung ohnehin kein sonderlich gutes Image hat. Fast kein Gesundheitsminister der letzten Jahre hat der Versuchung widerstanden, von den Arzneimittelherstellern ein Sonderopfer zu verlangen. Die Position von Zahnärzten und Ärzten ist stärker, zumal sie direkt mit Millionen von Patienten in Kontakt stehen. Doch die Interessen der Mediziner haben derzeit weder für SPD noch für Union eine hohe Priorität. Und so ist es absehbar, dass die Leistungserbringer am Ende erheblich zur Ader gelassen werden, um die Folgen der Spendierfreudigkeit der Großen Koalition auszugleichen.

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