Editorial

Die normative Kraft der Algorythmen

Stellen Sie sich vor, ich käme von einem Marktforschungsinstitut und würde Sie Folgendes fragen: Wie viel Zeit verbringen Sie durchschnittlich jeden Tag online für private Zwecke? Und welche Geräte nutzen Sie dafür?

Falls Sie diese Fragen für Unsinn halten, kurz das Ergebnis der jüngsten diesbezüglichen Umfrage, dem TNS Convergence Monitor: 106 Minuten täglich verbringen wir 14- bis 64-jährigen Konsumenten inzwischen online – und zwar für die private Nutzung! 67 Prozent der Befragten besitzen ein Smartphone, 33 Prozent der gesamten Online-Zeit werden mittlerweile beim Surfen mit den neudeutsch „mobile devices“ genannten Endgeräten verbracht. Stetig und ständig dabei: Apps und Co und mindestens ein freundlicher Datensammler …

Richten wir an dieser Stelle den Blick auf eine brandneue Trendstudie des „2bahead think tanks“ zum Thema personalisierte Medizin. Die Studie „legt ein Verständnis von personalisierter Medizin zugrunde, das vom umfassenden Streben nach den besten persönlichen Chancen auf Vermeidung und Heilung von Krankheit und auf Verbesserung der Gesundheit gerichtet ist“. Treiber sind, so die Autoren, „die stark in Quantität und Qualität wachsende Datenmenge, die breite – und nicht mehr auf Heilberufe beschränkte – Verfügbarkeit von Analytik und Expertenwissen, die steigende Leistungsfähigkeit medizinischer Technologie sowie das Eindringen nationaler und internationaler Unternehmen in den Gesundheitssektor und die dadurch ausgelösten Veränderungen der Patienten und Kundenerwartungen“.

Die wesentliche Prämisse sind demnach die Gesundheitsdaten und folgerichtig deren Leadfunktion im Behandlungsgeschehen. Wohlgemerkt die Daten über den Patienten und eben nicht mehr der Patient. Und so werden aus Heilberuflern flugs Interpretierer der Patientendaten. Ob man das gut oder schlecht finden mag und welche Konsequenzen das für Patienten und deren Ärzte und Zahnärzte hat, sei an dieser Stelle hinten angestellt.

Denn da war doch was: „… sowie das Eindringen nationaler und internationaler Unternehmen in den Gesundheitssektor …“. Hierzu führen die Studienautoren aus, dass „die individuelle Datenerhebung und deren Korrelation die Identifizierung sehr kleiner Patientengruppen und deren Adressierung durch spezialisierte Anbieter erlaubt. Dies verändert die Rahmenbedingungen für Pharmaunternehmen, Labore und Technologieanbieter“.

If you can not measure it, you can not manage it!

Wohl nicht nur für die Krankenkassen, allen voran die Privatversicherer, haben ebenfalls ein originäres Bedürfnis nach Daten ihrer Versicherten. Frei nach der alten Managementregel „If you can not measure it, you can not manage it!“ sind viele Daten über und von den Versicherten gut, noch mehr Daten aber besser. Und Apps oder die sogenannten Wearables (Datenarmbänder) für Fitness, Abnehmen, Kaloriencheck, Schlafqualität, Blutdruckkontrolle und wer weiß was noch liefern jede Menge Daten. Sogar frei Haus für den, der die App an die Versicherten ausgereicht hat. Da ist Risikostratifizierung von Versicherungskontrakten fast in Echtzeit.

In Deutschland kann mit all diesen Daten natürlich nichts passieren. Hier gibt es ja den Datenschutz. Aber seitdem bekannt wurde, das Krankenkassen schon das Briefgeheimnis nicht allzu ernst nehmen und vertraulich an den MDK adressierte Unterlagen einfach mal so „geprüft haben“, würde ich auf die vollmundigen Versprechungen nicht viel geben.

Denn, so die Schlussfolgerung der zitierten Studie: „Das digitale Know-how der neuen Marktteilnehmer und die Ausweitung der Gesundheitsbranche steigern das Veränderungstempo erheblich. Die Leadfunktion der Daten verstärkt diesen Effekt zusätzlich: Der Umgang mit Daten schafft eine neue Durchlässigkeit und Internetplattformen machen Diagnostik und Therapie vergleichbar. Medizinische Fachurteile stehen in einem offenen Wettbewerb.“

Wie war das nochmal mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten? Es ist an der Zeit, dass die Berufs- und Standesvertretungen der Zahnmedizin und der Medizin sich den Konsequenzen stellen und handeln.

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