Vorbereitung auf die Gleichwertigkeitsprüfung

Zugewanderte Zahnmediziner

Auf dem Papier sieht es klar und eindeutig aus: Wer langfristig und ohne Einschränkung in Deutschland als Zahnarzt tätig sein will, der braucht eine Approbation. Mediziner aus EU-Ländern bekommen ihren Abschluss in der Regel anerkannt.

Jene aus sogenannten Drittländern müssen die Gleichwertigkeit ihrer Berufsausbildung erst prüfen und anerkennen lassen. In den meisten Fällen führt der Weg in die staatlich zugelassene Zahnmedizin über die Gleichwertigkeitsprüfung. Und hier wird es kompliziert.

Nicht nur verläuft die Prüfung in jedem Bundesland anders. Die Bundeszahnärztekammer arbeitet nach wie vor an einer künftigen Einheitlichkeit, um den deutschen Föderalismus zu überwinden. Auch ist die Durchfallquote des Verfahrens, das aus einem mündlichen und einem praktischen Teil besteht, hoch. Olesya Spannheimer kam vor fast zehn Jahren aus dem russischen Samara nach München. „Ich habe bei null angefangen, Deutsch zu lernen“, erzählt die 37-Jährige, die einen Deutschen geheiratet hat.

„Nur Kassenpatienten durfte ich nicht behandeln“

„Dann habe ich mithilfe von Verwandtschaft und Freunden im ersten Jahr begonnen, meine Dokumente anerkennen zu lassen.“ Parallel war die Zahnärztin mit einer vor- läufigen Berufserlaubnis in verschiedenen Privatpraxen tätig. „Nur Kassenpatienten durfte ich nicht behandeln. Ich hätte sogar eine eigene private Praxis aufmachen dürfen. Aber für mich war es immer wichtig, die deutsche Approbation zu bekommen.“ Nach der langwierigen bürokratischen Anerkennung aller Papiere kam dann erst einmal der Rückschlag: Die Zahnmedizinerin wurde mit der Aussage konfrontiert: „Wir brauchen keine ausländischen Zahnärzte. Nicht, weil sie schlecht sind. Sondern, weil es keinen Bedarf gibt.“

Jetzt kann nur noch Frau Siba helfen

Siba Yazdanpanah von der Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen (GFBM) sieht das anders. Die GFBM bietet Akademiker-Sprachkurse für Mediziner und Zahnmediziner an. Yazdanpanah verweist auf den Fachkräftemangel im medizinischen Bereich: „Aufgrund des demografischen Wandels wird das irgendwann auch die Zahnärzteschaft betreffen. In ländlichen Gegenden gibt es jetzt schon einen Mangel.“ Unter der Leitung von Yazdanpanah, die intern alle „Frau Siba“ nennen, setzte sich die GFBM vor Jahren für den Aufbau eines Vorbereitungskurses auf die Gleichwertigkeitsprüfung ein. Das Angebot richtet sich an zugewanderte Zahnärzte, die ihre Chancen erhöhen wollen, die sprachlich und fachlich sehr anspruchsvollen Tests zu bestehen. 2012 startete die Maßnahme in Kooperation mit dem Philipp-Pfaff-Institut, dem gemeinsamen Fortbildungsinstitut der Zahnärztekammern Berlin und Brandenburg. Olesya Spannheimer war damals unter den ersten Teilnehmern. Mit ihrer Familie zog sie extra aus München nach Berlin.

Manushak Narimanyan ließ Mann und Kind in Köln zurück. Wie viele andere Teilnehmer des aktuellen Kurses nimmt die gebürtige Armenierin in Kauf, ihre Familie sechs Monate lang nur an den Wochenenden zu sehen. Dafür paukt Narimanyan, die gegenwärtig hochschwanger ist, rund um die Uhr die Feinheiten der deutschen Zahnmedizin, der deutschen Fach- und Umgangssprache und beschäftigt sich mit der Komplexität des hiesigen Versicherungswesens.

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Hauptsache man spricht deutsch

„In Deutschland spielt die Krankenkasse eine große Rolle“, bestätigt Kurskollege Mohamed Meawad, der in Alexandria studiert hat und seit zehn Monaten in Deutschland lebt. „Bei meinem Studium in Ägypten haben wir immer über optimale Behandlungspläne gesprochen. Aber hier müssen wir auch daran denken: Was bezahlt welche Krankenversicherung?“ Nach der wichtigsten Voraussetzung für das Bestehen der Gleichwertigkeitsprüfung gefragt, antworten alle Kursteilnehmer gleichzeitig: „die deutsche Sprache!“ „Die Prüfer wollen, dass wir genauso wie ein Deutscher sprechen“, sagt Narimanyan. „Wir müssen nicht nur gut behandeln, sondern den Patienten auch alles gut erklären können. Das ist hier sogar das Wichtigste.“

Doch nicht nur an der Sprache können die Approbationsanwärter scheitern. An manchen ihrer Heimatuniversitäten wurde ausschließlich an echten Zähnen gelehrt. Während der Assistenzzeit und danach wird ebenfalls nur auf dem Zahn gearbeitet. Die Gleichwertigkeitsprüfung findet in den meisten Bundesländern aber an künstlichen Zähnen statt. Wer das nicht übt, hat durch die unterschiedliche Materialbeschaffenheit eventuell ein Problem. Auch sonst gibt es länderspezifische Unterschiede in der vor-klinischen Ausbildung. Das betrifft zumeist nicht so sehr die technische Ausstattung, sondern die angewandten Methoden und den Fächerkanon – oder eben das Stundenvolumen von Übungen am Phantomkopf und am „lebenden“ Patienten.

Diese Unterschiede existieren allerdings auch innerhalb der EU, wie Sevcan Klotz betont. Klotz hat in Istanbul und Spanien studiert und an der Universität Kiel hospitiert. „Und ich kann sagen, dass eine Zahnärztin in der Türkei am Ende ihres Studiums mehr Erfahrung mit Patienten gesammelt hat als zum Beispiel in Spanien. Es stimmt also nicht, dass die fachliche Qualität in Nicht-EU-Ländern immer schlecht ist und innerhalb der EU automatisch gut.“

Stipendium oder die Liebe – keiner kommt einfach so

Noch ein Mythos wird schnell ausgeräumt, wenn man sich mit hierher migrierten jungen Zahnärzten unterhält: Sie kommen in den seltensten Fällen aus wirtschaftlichen Gründen. Manchmal gibt es einen politischen Hintergrund für die Lebensentscheidung. Meist ist aber die Liebe zu einem Deutschen oder einer Deutschen schuld. „Bei uns in Armenien ist die ganze Zahnmedizin privat und jeder Zahnarzt verdient dort sehr viel Geld. Keiner würde aus finanziellen Gründen nach Deutschland kommen“, so Manushak Narimanyan. „Das macht nur, wer geheiratet oder hier ein Stipendium bekommen hat.“ Viele im Kurs besitzen bereits die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei ihren Herkunftsländern ist die ganze Welt vertreten. Bis zu ein Dutzend verschiedener Nationen kommt manchmal in einer Gruppe aus maximal 20 Menschen zusammen. Die meisten von ihnen haben – teils langjährige – Berufserfahrung.

„Dies ist inzwischen unser siebter Vorbereitungskurs“, erklärt Prof. Dr. Bernd-Michael Kleber, der die wissenschaftliche Leitung des Intensivprogramms am Philipp-Pfaff-Institut übernommen hat. „Bisher hatten wir ungefähr 120 Teilnehmer. Deren Alter liegt im Durchschnitt zwischen 30 und 35 Jahren. Dabei sind etwas mehr Frauen als Männer vertreten.“ Kleber hat früher die Prüfungen für Nicht-EU-Zahnärzte abgenommen: „Und die Durchfallquoten waren fürchterlich. Das war für beide Seiten schrecklich.“ Aus der Überlegung heraus, wie das geändert werden könnte, entstand schließlich die Kooperation mit der GFBM. Zweimal jährlich starten inzwischen die Kurse: im Januar und im Juni. Auch die Zusammenarbeit mit dem Philipp-Pfaff-Institut betrachtet Kleber als glückliche Fügung.

An der zahnmedizinischen Fortbildungseinrichtung mit Angliederung an die Charité kommen Know-how und technische Ausstattung zusammen. Ein Team von Professoren und Dozenten der Charité unterrichtet die Kursteilnehmer. Die Räume und ausreichend Phantomeinheiten stellt das Pfaff-Institut zur Verfügung. Jeder Teilnehmer erhält einen Koffer mit allen Instrumenten und Materialien, die er benötigt. Für den Sprachteil und für alles Organisatorische wiederum ist die GFBM zuständig.

Die Zahnärztekammern Berlin und Brandenburg haben sich von Anfang an hinter die Initiative gestellt. Deren Präsidenten begrüßen die Teilnehmer jedes neuen Jahrgangs persönlich. Dr. Wolfgang Schmiedel sagt über diese explizite Willkommenskultur: „Berlin ist eine weltoffene Stadt, in der Menschen aus über 180 Nationen friedlich neben- und miteinander wohnen und arbeiten. So lag es nahe, Kolleginnen und Kollegen, die aus nichteuropäischen Ländern zu uns gekommen sind und hier nun ihren erlernten Beruf ausüben wollen, unsere Unterstützung anzubieten.“ Die Resonanz auf die Gleichwertigkeitskurse sei auch bei anderen Landeszahnärztekammern überwiegend positiv, berichtet der Berliner Kammerpräsident.

„Wir setzen auch ein Signal der Integration“

Viele Länder seien froh, auf das Angebot verweisen zu können, das in seiner Intensität und Qualität bundesweit einmalig ist. Nur einige seltene Misstöne gibt es: „Leider hören wir, wenn auch ganz vereinzelt, Stimmen anderer hier arbeitender Zahnärztinnen und Zahnärzte, die sich kritisch zum ’Zuzug’ der zahnärztlichen ’Ausländer’ äußern. Da Berlin die höchste Zahnarzt-dichte der Welt pro Kopf der Bevölkerung hat, bringt dies automatisch ’Verteilungskämpfe’ mit sich, die bei einigen wenigen Kollegen zu einem ablehnenden Verhalten gegenüber unserem Angebot führen. Wir lassen uns davon jedoch nicht beirren und setzen mit unserem ’Eingliederungskurs’ auch ein bewusstes Signal der Integration.“

Bewusste Signale wünscht sich auch Siba Yazdanpanah. Sie hilft den zugezogenen Zahnmedizinern, sich um einen Bildungsgutschein zu bewerben, der die Kurs- gebühren finanziert. „Ich merke immer noch, dass die Ausstellung der Bildungsgutscheine nicht leicht ist. Viele Sachbearbeiter und Jobvermittler tun sich sehr schwer damit, diese Maßnahme zu fördern. Ich denke, das ist auch eine Herausforderung für die Politik und die Ämter: besser zu vermitteln, warum wir diesen Leuten eine Chance geben sollten. Auf der einen Seite wird der Mangel an Fachkräften behoben, auf der anderen die deutsche Wirtschaft angetrieben.“ Sie möchte nicht um jeden Bildungsgutschein für ein derart hochwertiges Angebot kämpfen müssen, sagt Yazdanpanah, die sich mit Herz und Seele für die nach Deutschland eingewanderten Zahnärzte einsetzt. „Das sind Akademiker. Für ihre Heimatländer sind sie ein Verlust, dort wurde jahrelang in ihre Qualifikation investiert. Wenn wir diese Menschen nicht wollen, welchen Teil der Gesellschaft wollen wir dann?“

Diskriminierungen im Alltag schildern die Teilnehmer des aktuellen Vorbereitungskurses nicht. „Nur einen unhöflichen Beamten haben wir, glaube ich, alle schon einmal erlebt“, so Sevcan Klotz. „Aber wir haben auch alle noch keine Arbeitserfahrung mit der deutschen Approbation.“ Die jungen Zahnmediziner wissen, dass der Besuch des Kurses noch lange kein Garant für eine bestandene Gleichwertigkeitsprüfung ist. Dass er für sie trotzdem die einzige realistische Möglichkeit auf dem Weg zur Approbation ist, wissen sie auch. „Eigentlich wollte ich die Prüfung direkt nach dem Ende des Kurses machen“, erzählt Hana Haraqia. „Aber weil so viele durchfallen, möchte ich jetzt doch lieber etwas länger warten. Man hat nur zweimal die Chance, es zu versuchen.“ Viele machen es wie die kosovarische Zahnärztin und wollen erst noch mehr Arbeitserfahrung in Deutschland sammeln.

Und mehr Erfahrungen mit der deutschen Sprache. Denn das freie Sprechen bereite vielen immer noch die größten Schwierigkeiten, wie Kleber betont. „Es ist auch für die Prüfer hochkompliziert, weil sie beurteilen müssen: Hat derjenige etwas nicht gewusst oder bringt er es nur nicht richtig rüber, weil er die Fachsprache nicht beherrscht?“ Der Geschäftsführer des Philipp-Pfaff-Instituts, Dr. Thilo Schmidt-Rogge, schildert: „In der Gleichwertigkeitsprüfung hat der Prüfer die Prüflinge zwei Stunden mündlich und fünf Stunden praktisch. In sieben Stunden muss er sich ein Urteil darüber bilden, ob der Mensch vor ihm dauerhaft und bis ans Ende seiner Tage Patienten behandeln darf. Denn die Approbation ist nicht auf Zeit. Wenn der Prüfer das ernst nimmt, drückt er nicht mal ein Auge zu, falls er sich unsicher ist. Die Prüfer sind alle sehr erfahren, aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.“

Wenn es denn klappt mit der Approbation, haben viele der Kursteilnehmer schon ein Jobangebot in Aussicht. Claudia Moctezuma Méndez wurde von der Zahnarztpraxis am Flughafen Frankfurt eingeladen: „Weil ich spanisch und englisch sprechen kann und – wenn ich es schaffe – später hoffentlich auch gut deutsch.“ Ihre Vielsprachigkeit wäre für die Mexikanerin dann ein klarer Vorteil. An Manushak Narimanyan waren Praxen mit viel russischstämmiger Klientel interessiert. Mohamed Meawad hat bereits eine Zusage aus Kiel in der Tasche. Mit ihren ehemaligen Schützlingen freut sich Siba Yazdanpanah über jede neu erteilte Approbation: „Einer der Zahnärzte hat kürzlich in einer Kleinstadt, sehr weit draußen, eine Praxis aufgemacht. Er wurde vom Bürgermeister und dem gesamten Dorf mit Süßigkeiten empfangen. Und mit den Worten: ’Danke, dass Sie da sind!’“

Auch Olesya Spannheimers Weg war weit: vom russischen Samara über München nach Berlin. „Das waren 4 027 Kilometer“, sagt sie. An den Tag ihrer Gleichwertigkeitsprüfung hat sie gute Erinnerungen: „Eigentlich verläuft alles sehr kollegial. Man wird vor der Kommission nicht wie ein Student behandelt, sondern wie ein Kollege. Das hat mich persönlich sehr berührt.“

„Nach zehn Jahren habe ich es jetzt geschafft“

Richtig anstrengend war es trotzdem, vor allem der praktische Teil. Unter Zeitdruck müssen die Prüflinge verschiedene Aufgaben erledigen: „Und da beginnen dann die Hände zu zittern, da beginnt man, Fehler zu machen. Obwohl das Pfaff-Institut für die Praxis eine sehr hervorragende Grundlage bietet, muss man parallel noch – sagen wir als Hausaufgabe – die Schnelligkeit üben. Ob bei der Kronenpräparation oder bei der Herstellung von Provisorien: Ich wusste bei jeder Arbeit genau, wie viele Minuten ich dafür zur Verfügung habe.“ Der Aufwand hat sich gelohnt. „Als die Kommission nach der praktischen Prüfung wiederkam, war ich sehr aufgeregt. Dann sagten sie: Wir haben keinen einzigen Fehler gefunden. Ich habe vor Glück geweint. Nach zehn Jahren in Deutschland habe ich es jetzt geschafft.“ Am 1. April 2015 ist Olesya Spannheimer in ihre erste komplett eigene Praxis in Berlin-Friedrichshain eingezogen.

Sonja Schultz

Freie Journalistin und Autorin

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