Gastkommentar

Fakten, Fakten, Fakten?

Es gibt es keine absolute Wahrheit und Sicherheit, wie sie – scheinbar – objektive Statistiken im Gesundheitswesen vorgaukeln, meint Hans Glatzl, dgd-Redakteur Vincentz-Network, Berlin.

Es gibt es keine absolute Wahrheit und Sicherheit, wie sie – scheinbar – objektive Statistiken im Gesundheitswesen vorgaukeln, meint Hans Glatzl, dgd-Redakteur Vincentz-Network, Berlin. Trau keiner Statistik, die du nicht selbst erstellt hast! Jeder, der sich jemals mit Gesundheitsthemen infiziert hat, weiß um die Anziehungs- und Überzeugungskraft vermeintlich harter Zahlen und Fakten in diesem Minenfeld kaum messbarer persönlicher Befindlichkeiten. Gerade für Medienschaffende liegt die Versuchung nahe, hier zuzufassen. Ein einprägsames Schaubild sagt mehr als tausend Worte. Doch bei näherer Betrachtung löst sich manch eindeutige Aussage in nichts auf. Als klassisches Beispiel gilt das Versprechen, mit der Prostatakrebs-Vorsorge per PSA-Test das Sterberisiko um mehr als ein Fünftel zu senken. Die Leitmedien der Republik berichteten vor nicht allzu langer Zeit unreflektiert über diese europaweite Studie mit über 162 000 Männern im Alter von 55 bis 69 Jahren. Doch die dort getroffene Aussage ist dreifach unscharf. So ist die Zahl eine relative. Sie sagt nichts über die tatsächliche Reduktion. Absolut gesehen starben in der Kontrollgruppe ohne PSA-Test nach 13 Jahren etwas mehr als 0,6 Prozent der Männer, in der Screeninggruppe mit PSA-Test etwas weniger als 0,5 Prozent. Die absolute Reduktion vermindert sich somit auf 0,1 Prozentpunkte. Die zweite irreführende Botschaft ist, dass sich diese Zahl scheinbar auf das „Sterberisiko“ bezieht. Das ist aber nicht der Fall. Sie benennt nur das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, nicht aber das allgemeine Sterberisiko. Der dritte Stolperer: Es handelt sich nicht um „Prostatakrebs-Vorsorge“, sondern um „Prostatakrebs-Früherkennung“.

Das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherer (WIP) hat sich dieser Tage in Zusammenhang mit der Frage der Glaubwürdigkeit ebenfalls vermeintlich harter Fakten des gern zitierten OECD-Rankings angenommen. Landauf, landab wird daraus von politisch interessierter Seite abgeleitet, dass das deutsche Gesundheitssystem als OP-Weltmeister Überversorgung produziert und damit hohe Gesundheitskosten verursacht. Doch hier wird zu kurz gesprungen. Gemessen am Brutto sozialprodukt beträgt der Gesundheitskostenanteil zwar fast das Doppelte, mit 11,4 Prozent im Vergleich zum OECD-Land Mexiko mit 6,2 Prozent. In der Praxis erfolgt aber unter Patienten eine Abstimmung mit dem ADAC-Heimholservice. Im mittelamerikanischen Urlaubsparadies wollen wohl nur Abenteurer ins örtliche Krankenhaus. Auch der deutsche Weltmeistertitel für Hüftersatz relativiert sich. Unter Beachtung der Altersstandardisierung für Gesundheitsausgaben fällt Deutschland hinter Norwegen, Österreich und Luxemburg zurück. Die Schweiz baut ihren Fallzahl-Überschuss sogar auf 24,2 Prozent aus verglichen mit der Bundesrepublik. Ähnliches gilt für ebenfalls stark altersbedingte Operationsfelder bei Leistenbruch, brust- erhaltender Chirurgie oder Prostataentfernung. Selbst bei der ebenfalls heftig diskutierten, weil zu häufig vorgenommenen Knieersatzoperation vervierfacht sich der Abstand zum Spitzenreiter USA laut WIP- Berechnungen schlagartig von 9,9 auf 48 Prozent. Dass Mexiko mit - 92,6 Prozent hier dem deutschen Gesundheitssystem hinterherhinkt, überrascht nicht.

Unter Einbeziehung des Demografiefaktors lässt sich die Behauptung, Deutschlands Chirurgen würden zu schnell zum Skalpell greifen, nicht aufrechterhalten. Genauso wenig wie der gebetsmühlenhaft wiederholte Vorwurf von zu hohen Gesundheitskosten. Diese sind per se nicht schlecht, sondern müssen immer in den Kontext der individuellen Entscheidung mittels Kommunikation auf Augenhöhe gesetzt werden. Demut gegenüber der eigenen Allmacht einerseits und Bescheidenheit gegenüber den eigenen Ansprüchen der Patienten ist der Maßstab. Gesundheit ist kein Konsumgut, sondern ein Geschenk mit allen Unwägbarkeiten im Ergebnis. Wissenschaft ist nie fertig und es bleibt immer die Frage hinter der Frage. Patienten wollen einfache plakative Antworten. Die gestellte Aufgabe bleibt eine Gratwanderung für die Übersetzer, Journalisten wie Ärzte.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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