Repetitorium Mikrobiom

Individuelles bakterielles Getümmel

Christine Vetter
Es gibt kaum noch ein chronisches Krankheitsbild, das nicht mit der Zusammensetzung der bakteriellen Besiedlung des Darmtrakts in Zusammenhang gebracht wird. Das gesicherte Wissen darüber, welche Konsequenzen eine Dysbalance der Darmflora haben kann, ist jedoch begrenzt.

Das Mikrobiom – die Gesamtzahl der Bakterien in Mund und Rachen, auf der Haut, im Vaginalbereich und im Darm – enthält etwa fünf bis acht Millionen unterschiedliche Gene. Das ist weitaus mehr genetisches Material als im menschlichen Genom mit seinen schätzungsweise 100.000 Genen überhaupt enthalten ist. Die bakterielle Vielfalt ist vor allem im Mund und im Darm sehr hoch, allein rund 1.000 verschiedene Bakterienspezies können unseren Darm besiedeln. 

Ökosystem Darm 

Gesunde Menschen tragen in aller Regel 160 Spezies in ihrem Darm spazieren. Sie helfen dem Menschen beim Aufschluss der Nahrung – insbesondere der Ballaststoffe –, fördern die Aufnahme von Nährstoffen ins Blut und haben Einfluss auf den Fett- und auf den Gallensäure-Stoffwechsel. Das Mikrobiom kann außerdem Giftstoffe abbauen und hat Auswirkungen auf das Immunsystem, was den Zusammenhang zu den unterschiedlichsten Krankheitsbildern erklären kann. Die Darmflora leistet folglich einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit, wenn auch nach wie vor die optimale bakterielle Zusammensetzung nicht genau bekannt ist. Es scheint sich vielmehr um ein regelrechtes Ökosystem im Darm zu handeln, das gesundheitliche Aspekte über das Zusammenspiel der verschiedenen Organismen steuert. 

Die Darmflora ist dabei Teil der gesamten Mikrobiota, also der Gesamtheit aller Mikroorganismen und somit aller Bakterien, Pilze und Viren, die den menschlichen Organismus von der Haut über die Mundhöhle bis zum Enddarm besiedeln. 

Vor allem die Darm-Mikrobiota steht derzeit im Fokus der Forschung. Das bakterielle Getümmel im Darm entwickelt sich bereits in utero über das Fruchtwasser. Die Zusammensetzung des späteren Mikrobioms ist unter anderem abhängig davon, mit welchen Bakterien ein Neugeborenes in Kontakt kommt. Damit spielt auch die Frage eine Rolle, ob die Geburt auf normalem Weg erfolgte. Die Zusammensetzung des Mikrobioms kann vermutlich sogar eine Frühgeburt begünstigen. Sie kann auch mitverantwortlich sein für das erhöhte Risiko von Kaiserschnitt-Kindern für die spätere Entwicklung von Krankheiten wie Asthma, Fettleibigkeit oder einem Typ-1-Diabetes. Wie sich die Darmflora zusammensetzt, hängt auch davon ab, ob der Säugling gestillt wurde und wie er weiter ernährt wird. Auch hygienische Faktoren sowie Impfungen können die konkrete Zusammensetzung beeinflussen. Die „normale“ Darmflora entwickelt sich bis zum zweiten bis dritten Lebensjahr – mit dem jeweils individuellen Bakterienspektrum – und bleibt während des weiteren Lebens weitestgehend stabil. 

Die Zahl der Bakterien im Darm übersteigt die Zahl der Körperzellen bei Weitem, und die Menge des genetischen Materials der Bakterien ist generell um ein Vielfaches höher als die Zahl des gesamten Genoms eines Menschen. 

Was ist eine gute Bakterien-Balance?

Die Darmflora wird zur Hauptsache aus vier Bakterienstämmen gebildet – Bacteroidetes, Firmicutes, Actinobacteria und Proteobacteria. Die Bacteroidetes können anaerob oder aerob existieren. Sie gelten als schlechte Nahrungsverwerter, ihr Anteil ist im Darm von adipösen Menschen eher klein. Dagegen sind die Firmicutes sehr gute Nahrungsverwerter und im Darm von fettleibigen Menschen überproportional reichlich vertreten. Es ist somit kein Wunder, dass zunächst eine enge Assoziation der Darmflora mit Übergewicht und Adipositas gesehen wurde.

Bacteroidetes und Firmicutes machen in aller Regel mehr als 95 Prozent der Darmflora aus. Zu diesen Stämmen gehören die Gattungen Bacteroides, Clostridium, Lactobacillus, Enterococcus und Streptococcus. Zu den Actinobacteria zählen das Bifidobacterium und zu den Proteobacteria der Keim Escherichia coli. 

Während die Genetik der Menschen weitgehend ähnlich ist, weicht die Zusammensetzung der Bakterienstämme im Darm von Mensch zu Mensch stark ab. Das Mikrobiom scheint ein eigener Mikrokosmos zu sein, der Folgen für viele Körperfunktionen hat. Eine hohe Diversität der Bakterien ist dabei offenbar günstig. Das lässt sich zumindest aus Befunden schließen, wonach Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie dem Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa, aber auch adipöse Menschen eine verringerte bakterielle Diversität aufweisen. Außerdem wird eine Assoziation der Dysbiose zum Reizdarm und zur Entstehung von Darmkrebs gesehen. Auch Lebererkrankungen wie die Fettleber, die alkoholische und die nicht alkoholische Steatohepatitis und auch die Leberzirrhose sind mit einer veränderten Darmflora assoziiert. 

Eine erhöhte mikrobielle Diversität in der Darmflora wie auch in der Umwelt, wie sie beispielsweise bei Kindern gegeben ist, die auf einem Bauernhof groß werden, geht hingegen mit einem geringeren Risiko für allergische Erkrankungen einher.

Schon lange ist der Zusammenhang zwischen Darmflora und der Entwicklung einer Adipositas bekannt. Als Beweis gelten hier unter anderem Versuche der Stuhlübertragung von genetisch veränderten fettleibigen Mäusen auf normale Mäuse, die daraufhin ebenfalls eine Fettleibigkeit entwickelten. Bei adipösen Menschen zeigt sich außerdem ein verringerter Anteil an fäkalen Bacteroidetes und ein erhöhter Anteil an Firmicutes, zwei Parameter, die offenbar für eine besonders effiziente Aufnahme von Kalorien aus der Nahrung verantwortlich zeichnen.

Durch eine fett- und zuckerreiche Kost, üblich bei der westlichen Ernährung, wird die bei der Adipositas zu beobachtende verringerte Diversität der Darmflora weiter vermindert. Dagegen kann eine langfristig ballaststoffreiche Kost, also der Verzehr von viel Obst und Gemüse, die Diversität offenbar steigern. Kurzfristige Ernährungsumstellungen scheinen allerdings kaum einen Effekt auf die Zusammensetzung des Mikrobioms zu haben. Die veränderte mikrobielle Besiedlung des Darms kann direkt krankheitsauslösend wirken: Dann „verschiebt“ sich das Gleichgewicht der Bakterien im Darm, was sich auf die Durchlässigkeit der Darmwand auswirken kann. Resultieren kann eine erhöhte Permeabilität und damit eine Störung der normalen Barrierefunktion des Darms. Damit können vermehrt bakterielle Komponenten und allgemeine Antigene die Darmwand passieren und im Organismus Entzündungsreaktionen auslösen, die ihrerseits Immunreaktionen und möglicherweise Autoimmunphänomene triggern. 

Geringe Diversität macht krank

Auch im Darm von Patienten mit einer Herzschwäche finden sich signifikant weniger unterschiedliche Bakterien als bei gesunden Kontrollpersonen, wie das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung mitteilt. So sind bei den Patienten einzelne wichtige Bakterienfamilien stark reduziert. Noch ist allerdings unklar, ob die Darmflora als Folge der Herzschwäche verändert ist oder ob sie auch ein Auslöser sein könnte. 

Lässt sich die Darmflora therapeutisch modulieren?

Das beobachtete Muster der reduzierten Bakteriengattungen und -familien scheint nach Angaben der Wissenschaftler allerdings charakteristisch für die Herzschwäche zu sein, was Hoffnungen auf Ansatzpunkte für neue Therapien nährt. So kamen die Abweichungen zwischen gesunden und Personen mit Herzschwäche hauptsächlich durch den Verlust von Bakterien der Gattungen Blautia und Collinsella zustande sowie durch zwei bislang unbekannte Gattungen, die zu den Familien Erysipelotrichaceae und Ruminococcaceae gehören. Andere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Blautia und ebenso die Gattung Faecalibacterium entzündungshemmend wirken. Beide Gattungen sind bei Patienten mit Herzinsuffizienz vermindert, so dass vermutet wird, dass die veränderte Darmflora ihrerseits für die mit der Herzschwäche assoziierten Entzündungsreaktionen verantwortlich zeichnet. 

Während ein Zusammenhang des Darm-Mikrobioms mit Darmerkrankungen und auch mit Lebererkrankungen relativ einsichtig ist, macht es mehr Schwierigkeiten, die zu beobachtende Assoziation zu neurodegenerativen Erkrankungen wie dem Morbus Parkinson und der Multiplen Sklerose nachzuvollziehen. Dennoch mehren sich die Befunde für eine Beteiligung einer Dysbiota bei diesen Erkrankungen. 

Dafür sprechen zum Beispiel Befunde am Mausmodell, die vermuten lassen, dass bestimmte Darmflora-Risikoprofile die Manifestation von Autoimmunerkrankungen wie einer MS begünstigen können. Die Forscher hoffen daher, durch eine Beeinflussung der Zusammensetzung des Mikrobioms neue Therapiestrategien bei der Multiplen Sklerose und auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen entwickeln zu können.

Inwieweit sich das Mikrobiom quasi therapeutisch modulieren lässt, ist derzeit aber noch unklar. Zweifelsohne kann beispielsweise die Einnahme von Antibiotika die bakterielle Zusammensetzung im Darm ändern, danach bildet sich das Mikrobiom aber in aller Regel wieder in den ursprünglichen Zustand zurück. Es wird auch postuliert, dass die Gabe von Prä- und Probiotika die Darmflora positiv beeinflussen kann. Wissenschaftliche Belege hierfür fehlen allerdings bislang.

Die große Hoffnung: Stuhltransplantation

Eine viel diskutierte Maßnahme ist die Stuhltransplantation, bei der der Stuhl eines gesunden „Spenders“ auf Menschen mit Dysbiota-assoziierten Erkrankungen wie dem Morbus Crohn übertragen wird. Auch Patienten mit schweren rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen wurden bereits mittels eines Fäkalen Mikrobiotatransfers (FMT) behandelt. Dabei erhalten die Patienten eine in Kochsalzlösung oder Milch aufgeschwemmte Stuhlsuspension eines gesunden Spenders über eine Magensonde oder per Einlauf. Ziel dabei ist, eine Modulation des Mikrobioms zu induzieren und über diesen Mechanismus eine neue immunologische Prägung zu vermitteln.

In Kasuistiken wird zum Teil eine erfolgreiche Therapie berichtet. Die Beobachtungen sind allerdings widersprüchlich – und es kommt offenbar in den meisten Fälle nach einer gewissen Zeit zu einer Rekonstituierung des ursprünglichen Mikrobioms. Zudem fehlen bislang wissenschaftlich valide Daten, die das Verfahren als evidenzbasiert ausweisen. Außerdem wird intensiv nach Alternativen zur peroralen Verabreichung beim Stuhltransfer gesucht.

Christine VetterMedizinische Fachjournalistin

Aus Sicht der Zahnmedizin

Pseudomembranöse Colitis

Bei der pseudomembranösen Colitis handelt es sich um eine Entzündung des Dickdarms nach vorangegangener oder laufender systemischer Antibiotikatherapie. Insbesondere bedingt durch eine zeitlich prolongierte Antibiose kommt es zu einer Störung der physiologischen Darmflora und zu einer Reduktion Antibiotika-sensibler Darmbakterien, so dass sich mit zunehmender Dauer der Therapie vermehrt Antibiotika-resistente Bakterien, zum Beispiel Clostridium difficile, vermehren [1]. Clostridium difficile findet sich unter anderem in der Darmflora von Neugeborenen. Dabei handelt es sich um einen der wichtigsten Erreger nosokomialer Infektionen, die beispielsweise im Rahmen von Krankenhausaufenthalten auftreten können. Diese grampositiven, sporenbildenden, anaeroben Stäbchenbakterien sezernieren Enterotoxine vom Typ A und Zytotoxine vom Typ B, die eine Entzündungsreaktion der lokalen Darmmukosa über eine Schädigung der Intestinalzellen hervorrufen. 

Diese Entzündung der Darmmukosa wird häufig im Verlauf von Fibrin belegt, so dass das klinische Vollbild einer pseudomembranösen Colitis auf Basis einer Clostridium-difficile-Infektion (CDI) entsteht, die häufig im Sigma und im Rektum lokalisiert ist [1]. 

2012 betrug die Inzidenz der CDI und der pseudomembranösen Colitis etwa 82 Fälle je 100.000 Einwohner [2]. Neben einer allgemeinen Beschwerdesymptomatik – wie starken Bauchschmerzen – kann eine pseudomembranöse Colitis mit einer hochfrequenten Diarrhoe von über zehn meist wässrig-breiigen Durchfällen pro Tag einhergehen und sich unter Umständen zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild entwickeln. Die Therapie besteht neben einem Stopp der Antibiotikatherapie (falls dies mit der Grunderkrankung zu vereinbaren ist) in supportiven Maßnahmen (wie Rehydrierung), sowie in einer Behandlung mit Metronidazol, Vancomycin oder Fidaxomicin, wobei nur Metronidazol (zum Beispiel Clont®) auch intravenös appliziert werden kann [1]. 

Als besonders schwerwiegende Komplikationen gelten neben der Exsikkose nach langer Diarrhoe unter anderem das toxische Megakolon, der Ileus und die Darmperforation. Die Sterblichkeit der CDI beziehungsweise der pseudomembranösen Colitis liegt je nach Schweregrad zwischen 3 und 14 Prozent [1].

Die unterstützende Rolle des Zahnarztes 

Die Antibiotikatherapie spielt nach wie vor eine entscheidende und nicht wegzudenkende Rolle in der zahnärztlichen Praxis. Es gilt dabei nicht mehr als gesichert, dass die pseudomembranöse Colitis nur durch bestimmte Antibiotika mit vermeintlich hoher kolitogener Potenz, zum Beispiel Clindamycin, Ampicillin/Clavulansäure, Chinolone oder Cephalosporine, hervorgerufen wird. Vielmehr ist mittlerweile wahrscheinlich, dass nahezu jedes Antibiotikum eine pseudomembranöse Colitis hervorrufen kann. Als zusätzliche Risikofaktoren gelten eine Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren oder eine Therapie mit H2-Antagonisten, die bei Komedikation das Risiko um das Zwei bis Dreifache erhöhen (Quelle: RKI). 

Wie bereits angesprochen, gilt besonders die langandauernde Antibiotikatherapie als ein entscheidender Risikofaktor. Antibiotikatherapien sollten daher so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich erfolgen. Neben dem Grundsatz „hit hard, but short“ sind Antibiotikatherapien auch nicht an eine „Mindesttherapiedauer“ gebunden und sollten individuell stets schnellstmöglich beendet werden. Daneben sollte die Indikation zur Antibiotikatherapie stets kritisch gestellt und reevaluiert werden. Bei klinischem Verdacht auf eine pseudomembranöse Colitis, wie neu aufgetretene, hoch-frequentierte Durchfälle unter laufender Antibiotikatherapie, sollte der Patient umgehend zum Hausarzt zur weiteren Diagnostik und Therapie überwiesen werden. Im Rahmen der Durchfälle sollten keinesfalls Motilitätshemmer verordnet werden. In etwa 20 Prozent der Fälle führt alleine schon das Beenden einer Antibiotikatherapie zu einem Ende der Durchfälle nach etwa zwei bis drei Tagen (Quelle: RKI).

Literatur:[1] Lübbert C, John E, Müller L: Clostridium-difficile-Infektion. Leitliniengerechte Diagnostik und Behandlungsoptionen. Dtsch Ärztebl Int. 111:723–31, 2014.[2] Straussberg J: Epidemiologie der Clostridium-difficile-Infektion. Dtsch Ärztebl Int. 112:345, 2015.

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer M. A., FEBOMFSLeitender Oberarzt/Stellvertr. KlinikdirektorKlinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie der Universitätsmedizin MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainzpeer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Oberstabsarzt Dr. Dr. Andreas PabstKlinik für Mund-, Kiefer- und Plastische GesichtschirurgieBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzRübenacherstr. 170, 56072 Koblenz

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