Studien der EU-Kommission zum Berufsrecht

Heilberufe rücken in den Fokus

Die EU-Kommission begleitet die aktuelle Diskussion zur Zukunft des Berufsrechts gezielt durch Studien: Sie sollen die Auswirkungen beruflicher Regeln auf den freien EU-Binnenmarkt prüfen. Laut Kommission tun sich hier Hindernisse auf. Deswegen geraten auch die Berufsregeln der Heilberufe immer mehr in den Fokus – und werden seit Kurzem mit der Qualität von Leistungen in Verbindung gebracht. Ist durch mehr Markt die Qualität in Gefahr? Und sind auch die Zahnärzte betroffen? Die BZÄK warnt vor einer Aufweichung des Berufsrechts.

Bei der EU-Kommission ist eine neue Strategie erkennbar, mit der sie der Mobilität in Europa mehr Auftrieb verschaffen will: Sie begleitet die aktuelle Diskussion über die Zukunft des Berufsrechts gezielt mit der Beauftragung wissenschaftlicher Studien und lässt untersuchen, inwieweit nationale Berufsregeln ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr in Europa darstellen.

Wurzel: die EU-Binnenmarktstrategie

Hintergrund dieses Vorgehens ist die Verabschiedung der EU-Binnenmarktstrategie im Oktober 2015 und die daraus folgende Vorbereitung des sogenannten Dienstleistungspakets (2017). Als Maßnahme aus dem Dienstleistungspaket wurde im Sommer 2018 die Richtlinie über die Verhältnismäßigkeitsprüfung verabschiedet, sie soll bis zum nächsten Jahr in nationales Recht umgesetzt werden. (Weitere Vorschläge des Dienstleistungspakets, etwa die Einführung einer EU-Dienstleistungskarte, die im Widerspruch zum Binnenmarkt gestanden hätten, waren zuvor am Widerstand des Rates gescheitert.)

Thematisch standen bei den bisher von der Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchungen zunächst ökonomische Folgen des Abbaus von beruflichen Regelungen im Mittelpunkt. Neu ist, dass die Kommission jetzt den Schwerpunkt auf die Zusammenhänge von Berufsrecht und Qualität bei den regulierten Dienstleistungen verschoben hat. Und dass die Gesundheitsberufe, die bisher von den Regelungen ausgenommen waren, immer mehr in den Fokus rücken. Folgende Untersuchungen liegen derzeit vor:

Fallstudien aus sechs Ländern:

Im Januar 2017 wurden zeitgleich zu den Vorschlägen des Dienstleistungspakets sechs Fallstudien veröffentlicht. Sie tragen den Titel: „The effects of reforms of regulatory requirements to access professions: country-based case studies“ (Die Auswirkungen der Reform der regulatorischen Anforderungen für den Zugang zu Berufen: Länderbasierte Fallstudien). Die Fallstudien beziehen sich auf Deutschland (Folgen der Novellierung der Handwerksordnung 2004), Griechenland (Folgen der Deregulierung aufgrund der Eurokrise bei elf Berufen einschließlich der Zahnärzte), Österreich (Folgen der Deregulierung bei den Freien Berufen), Polen (Folgen der Deregulierung bei verschiedenen Berufen inklusive Rechtsanwälte und Steuerberater), Italien (Untersuchung der Reformen von 2006 bei Apothekern) sowie Großbritannien (Untersuchung verschiedener Deregulierungsmaßnahmen). Als Tendenz der Fallstudien ist die Aussage feststellbar, dass weniger Regulierung den Markt vorantreibt.

Auswirkungen beruflicher Regulierung auf den Arbeitsmarkt:

Ebenfalls im Januar 2017 wurde die Studie „Measuring prevalence and labour market impacts of occupational regulation in the EU“ (Messung der Prävalenz und der Auswirkungen der beruflichen Regulierung in der EU auf den Arbeitsmarkt) veröffentlicht. Die beiden Autoren, Dr. Maria Koumenta (UK) und Dr. Mario Pagliero (IT), hatten bereits die genannten länderbasierten Fallstudien zu Großbritannien beziehungsweise Italien verfasst. Sie kommen zu der Einschätzung, dass 22 Prozent der Arbeitnehmer in der EU beruflicher Regulierung unterliegen, deren Löhne im Vergleich vier Prozent höher sind. In den regulierten Berufen findet sich ein Drittel weniger ausländische Arbeitnehmer. Durch weniger striktes Berufsrecht könnten bis zu 700.000 neue Arbeitsplätze in der EU geschaffen werden. Und je nach Beruf könnten zwischen drei und neun Prozent mehr Menschen dort arbeiten, wenn die Zulassungsvoraussetzungen gelockert würden. 

Auswirkung der Regulierung auf  die Dienstleistungsqualität:

Im Januar 2019 wurde die Studie „Effects of regulation on service quality – Evidence from six European cases“ (Auswirkungen der Regulierung auf die Dienstleistungsqualität – Belege aus sechs europäischen Fällen) veröffentlicht. Die Autoren sind erneut Dr. Koumenta (UK) und Dr. Pagliero (IT) sowie Dr. Davud Rostam-Afschar (DE), der die oben genannte Fallstudie zur Reform der deutschen Handwerksordnung verfasst hatte.

Mit dieser Studie wird erstmals der Zusammenhang zwischen berufsrechtlicher Regulierung und Qualität in den Fokus gerückt. Diese Studie hatte das Ziel, das Verständnis der Beziehung zwischen Berufsregulierung und Dienstleistungsqualität zu vertiefen und zur Entwicklung empirischer Forschungsmethoden und -strategien zur Analyse dieser komplexen Beziehung beizutragen. Dazu wurden unter anderem die Ergebnisse der sechs Fallstudien von 2017 analysiert. Als Referenzberufe wurden Rechtsanwälte in Polen, Architekten und Ingenieure in Deutschland, Apotheker in Italien, Fremdenführer in Griechenland, Fahrlehrer in Großbritannien und Fahrdienstanbieter in London und Dublin untersucht. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Qualität nicht nur schwer zu messen ist, sondern auch multidimensional zu sein scheint.

Verhaltensökonomische Analyse mit Fokus auf Qualität:

Für Anfang 2020 ist mit der – aus Sicht der Gesundheitsberufe vorerst wichtigsten – Studie zu rechnen. Sie trägt den Titel „Behavioural economic analysis of professionals‘ incentives in health and business services professions“ (Verhaltensökonomische Analyse der Anreize von Fachkräften in Gesundheits- und Unternehmensdienstleistungsberufen). Die Gesundheitsberufe sind direkt angesprochen. Geplant ist, bei den Gesundheitsberufen auf empirische Weise die Beziehungen zwischen beruflicher Regulierung und der daraus resultierenden Dienstleistungsqualität zu untersuchen.

Dabei soll der Kernfrage nachgegangen werden, inwieweit die berufsrechtliche Regulierung einen Beitrag zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit leistet und ob sie das Vertrauensverhältnis mit dem Patienten fördert. Den Zuschlag für den Gesundheitsteil der Studie erhielten Ende Dezember 2018 die Mailänder Niederlassung der Beratungsgesellschaft Ernst & Young sowie eine spanische Beratungsfirma mit Namen „Open Evidence“.

Interne Dienste der Kommission

Parallel zu externen Studien nutzt die Europäische Kommission auch eigene Dienste, um Aussagen zu den Auswirkungen des Berufsrechts treffen zu können. Hier ist vor allem die kommissionseigene Publikationsreihe „Economic Papers“ zu nennen, die von Mitarbeitern der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen (GD ECFIN) verfasst wird.

2014 wurde ein Economic Paper zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Liberalisierung der freiberuflichen Dienstleistungen veröffentlicht. Das Papier analysiert die Wachstumseffekte einer Liberalisierung freiberuflicher Dienstleistungen. 2015 wurde ein Economic Paper zu den Preisaufschlägen im Dienstleistungssektor publiziert. Es geht unter anderem der Frage nach, wodurch sich die im Vergleich zum Warensektor höheren Preisaufschläge im Dienstleistungssektor erklären lassen.

Wissenschaftliche Rechtfertigung der EU-Strategie

Die Bundeszahnärztekammer hat die Studien analysiert und festgestellt: Alle Studien dienen demselben Ziel, nämlich der Vorbereitung und wissenschaftlichen Rechtfertigung der verschiedenen Initiativen der Europäischen Kommission zum Berufsrecht. Die Untersuchungen werden in Brüssel im politischen Diskurs strategisch als Mittel eingesetzt, um die Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie die EU-Mitgliedstaaten von der Position der Kommission zu überzeugen.

Zu beobachten ist, wie die „Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU“ Schritt für Schritt die Zusammenhänge von Berufsrecht und Wirtschaftswachstum beziehungsweise Qualität und Berufsrecht untersuchen lässt. Die Arbeiten bauen aufeinander auf. Seit 2015 werden dabei Studien vermehrt extern ausgeschrieben, um die Glaubwürdigkeit der Kommissionsposition zu erhöhen.

Schwerpunkt der Untersuchungen sind auf den ersten Blick die sogenannten unternehmensbezogen Dienstleistungen, das heißt, insbesondere planerische und (rechts-)beratende Tätigkeiten. Bei genauer Betrachtung ist jedoch festzustellen, dass der Gesundheitssektor nie wirklich ausgenommen war. Wiederholt wurde in diversen Studien das nationale Berufsrecht einzelner Gesundheitsberufe, insbesondere der Apotheker, untersucht.

Und mit der jüngsten, extern in Auftrag gegebenen Studie der Kommission zum Zusammenhang von Berufsrecht und Qualität rücken die Gesundheitsberufe vollends in den Mittelpunkt der Betrachtungen.

Reglementierte/Regulierte Berufe

Die Berufsausübung in bestimmten Berufen in Deutschland ist an eine Anerkennung der beruflichen Qualifikation gebunden. Diese Berufe werden reglementierte Berufe genannt. Reglementiert sind beispielsweise Medizinberufe, Rechtsberufe, das Lehramt an staatlichen Schulen sowie Berufe im öffentlichen Dienst. Für im Ausland erworbene berufliche Qualifikationen ist eine Anerkennung erforderlich, die durch Gesetze oder Verwaltungsvorschriften des Bundes oder der Bundesländer geregelt wird. Die meisten Berufe in Deutschland sind nicht reglementiert.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Weiterentwicklung des Binnenmarkts

Die Beratungsfirma Copenhagen Economics fordert den europäischen Gesetzgeber vor diesem Hintergrund dazu auf, eine ambitioniertere Politik der Weiterentwicklung des Dienstleistungssektors im Binnenmarkt zu forcieren. Sie wurde Ende November 2018 mit dem Titel „Making EU trade in services work for all“ (Damit der EU-Dienstleistungsverkehr für alle funktioniert) veröffentlicht. Die Analyse war zehn Jahre nach Inkrafttreten der EU-Dienstleistungsrichtlinie vom tschechischen, dänischen, finnischen und irischen Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben worden. Die Studie wird derzeit im politischen Diskurs in Brüssel intensiv verwendet, um für einen weiteren Ausbau des Binnenmarkts zu werben.

Die beiden dänischen Autoren, Eva Rytter Sunesen und Martin Hvidt Thelle, kommen darin zu dem Ergebnis, dass das Potenzial des Binnenmarkts für Dienstleistungen in der vergangenen Dekade nicht ausgeschöpft wurde. So hätten sich die Kosten für Waren seit 2006 um 20 Prozent reduziert, während die Kosten für Dienstleistungen im Vergleich nur um sieben Prozent zurückgegangen seien. Der Dienstleistungsmarkt sei ferner noch immer zu stark fragmentiert, wodurch die EU als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb, insbesondere mit den USA und China, an Boden verliere. Die vollständige Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie könne ein EU-weites Wirtschaftswachstum von zwei Prozent generieren, führen die Autoren an.

Sonderrolle der Heilberufler bewahren

Die Autoren mahnen daher von der Politik verschiedene Schritte an: Dazu gehört, dass dem Dienstleistungsbinnenmarkt mehr politische Priorität eingeräumt wird, er besser an die Anforderungen der Digitalisierung angepasst wird und seine Entwicklung kontinuierlich gemessen und bewertet wird.

Bezugspunkt der Analyse ist die 2006 verabschiedete Dienstleistungsrichtlinie, von der der Gesundheitssektor ausgenommen ist. Vor diesem Hintergrund untersuchen die Autoren vor allem die sogenannten unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Die regulierten Berufe und deren Berufsrecht werden zwar nicht explizit erwähnt. Allerdings stellen die Autoren fest, dass eine Regulierung von Dienstleistungen generell erforderlich sein kann, um ein bestimmtes Qualitätsniveau für den Verbraucher- und Umweltschutz zu gewährleisten. Das Regulierungsniveau sollte jedoch stets in einem angemessenen Verhältnis zu den objektiven Bedürfnissen stehen, in Einklang mit den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung der EU. Es sollte nicht dazu führen, dass Anbieter von einem bestimmten Standort aus ungerechtfertigt bevorzugt werden, heißt es in der Studie.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, in welche Richtung die politische Diskussion in Brüssel über die Zukunft der regulierten Berufe und speziell der Gesundheitsberufe gehen wird. Stellt das Berufsrecht für die EU-Kommission ein Hindernis dar? Wird die Deregulierung im Markt weiter vorangetrieben? Und welche Rolle spielt die Qualität dabei? Die Bundeszahnärztekammer warnt eindringlich vor den Folgen einer Aufweichung des Berufsrechts für die Heilberufe. Und setzt sich zusammen mit den anderen europäischen Heilberufen vehement dafür ein, dass die EU-Politik der Sonderrolle der Heilberufler im Sinne des Patientenschutzes gerecht wird.

Dr. Alfred Büttner

Bundeszahnärztekammer
Leiter der Abteilung Europa/Internationales
Avenue de la Renaissance 1B-1000 Brüssel

Gabriele Prchalazm-Redaktion

Dr. Alfred Büttner

Leiter der Abteilung Europa/Internationales der BZÄK
1, Avenue de la Renaissance
B-1000 Brüssel

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