Editorial

Arbeitszeiterfassung – die Bürokratielast wird weiter steigen

Frei nach Karl May: Hugh – der große EuGH hat mal wieder ein Urteil gesprochen! Erheblicher zusätzlicher Aufwand ist garantiert. Dieses Mal beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof mit der systematischen (objektiv, verlässlich, zugänglich) Erfassung der Arbeitszeit von Arbeitnehmern. Das Urteil, das auf die Klage einer spanischen Gewerkschaft gegen ein Tochterunternehmen der Deutschen Bank zurückgeht, hat allerdings Konsequenzen für die gesamte EU und damit auch für Deutschland. „Keine Angst vor der Stechuhr – Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte Arbeitszeiterfassung ist bei den meisten Arbeitgebern bereits gang und gäbe“ – so oder ähnlich titelten die meisten Zeitungen. Als wenn die deutsche Wirtschaft nur aus Großunternehmen à la BMW bestehen würde, bei denen angesichts der Beschäftigtenmassen Stechuhr und Zeiterfassungschip ja üblich sind. Ein kurzer Blick auf die Unternehmen in Deutschland – geordnet nach der Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter – zeigt da ein ganz anderes Bild. Von den rund 3,48 Millionen Unternehmen (Stand 9/2018) hatten 15.061 Unternehmen mehr als 250 Beschäftigte, 63.928 Unternehmen 50 bis 249 und 293.610 Unternehmen 10 bis 49. Die Majorität der Unternehmen, rund 3,11 Millionen, beschäftigen bis zu 9 Mitarbeiter. Da wird also erneut zusätzlicher „Verwaltungsaufwand“ auf viele der kleinen Unternehmen – zu denen auch die meisten Praxen gehören – zukommen.

Wie groß dieser werden wird, obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten und deren Lust auf kleinteilige Regelungen. Bei allein rund 2,8 Millionen Beschäftigten in Einkaufs-, Vertriebs-, Handels- und Verkaufsberufen werden wir uns daher auf ein unterhaltsames Gesetzgebungsverfahren einrichten dürfen, wenn die Politik die jeweiligen Tätigkeitsbereiche und ihre Eigenheiten in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und der Lobbystärke regeln wird. Denn wie man in der Bundesrepublik komplexe Märkte sinnhaft regelt, wissen wir ja seit den Zeiten der rotgrünen Koalition dank der mit teils absurden Ausnahmen gesegneten Pfandregelung (2003) von Jürgen Trittin. Ist Orangensaft in der Plastikflasche fällt kein Pfand an, bei Mineralwasser aber schon … Vielleicht erklärt das auch die lapidare Reaktion vieler Industrie- und Handelskammern, die mitteilten, erst dann reagieren und ihre Mitgliedsunternehmen informieren zu wollen, wenn das Urteil vom Gesetzgeber umgesetzt und konkrete Vorschriften absehbar seien. Doch zurück zur Arbeitszeiterfassung: Derzeit sieht das ArBZG in § 16 Abs. 2 nur für Überstunden eine Aufzeichnungspflicht vor, was logisch voraussetzt, dass die geregelte Arbeitszeit bekannt ist. Eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der vertraglichen Arbeitszeit existiert nicht.

Womit wir vor der Frage stehen, wie denn die Zeiterfassung derzeit in den Zahnarztpraxen überhaupt gehandhabt wird. Auf den Punkt gebracht: Niemand weiß nichts Genaues nicht! Um die Gegebenheiten ein wenig besser einschätzen zu können, habe ich daher eine große Praxisberatung nach ihren Beobachtungen gefragt. Hier die Einschätzung: Die Bandbreite reicht von gar keine Zeiterfassung (obwohl Überstunden anfallen!), manuell mit Zettel und Stift oder Excel-Liste (jeder Mitarbeiter notiert seine Über-/Minusstunden), elektronisch (Fingerscanner, Chip, Versichertenkarte), mittels Stechuhr oder aber es gilt die Vertrauensarbeitszeit. Aufgezeichnet werden entweder nur die Überstunden oder die gesamte Arbeitszeit. Es gibt aber auch Praxen, die weder Minus- noch Überstunden aufzeichnen, wohl aus der Erfahrung, dass sich diese über den Monat betrachtet ausgleichen. Wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst, dann mit einer eigenständigen oder ins PVS integrierten Software. Prozentual gesehen, so die Berater, nutzen mehr Praxen ein Zeiterfassungssystem, insbesondere die, die im Schichtsystem arbeiten. Allerdings erfordert die Pflege – Nachtragen von Zeiten, Erfassen von Urlaub, Krankheit, Fortbildung etc. – und die Genehmigung einen erheblichen Zeitaufwand. Nicht immer ist in den Praxen geregelt, welche Zeiten zur Arbeitszeit zählen (Umkleidezeit, Raucherpausen, etc.).

Sind denn die Mitarbeiter mit Zeiterfassung zufriedener? Die Antwort ist interessant. Zwar würden sich die Mitarbeiter zunächst freuen, wenn in die Praxis eine Zeiterfassung integriert wird. Vielen würde dann jedoch auffallen, dass sie viel öfter als früher bemerkt „Minusstunden machen dürfen“…

Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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