Die Sammlung Proskauer/Witt

„Nehmen Sie das Erbe an?“

Gisela Tascher
Über 40.000 Fachbücher, Zeitschriftenbände, Dissertationen, Fotos, Grafiken aus dem 16. und Archivalien aus dem 19. Jahrhundert: Die Sammlung Proskauer/Witt ist Teil des historischen Gedächtnisses der Zahnärzteschaft. Das hat die Sichtung der vergangenen Jahre eindrücklich bestätigt, doch die Bestände sind verstreut und eingelagert – wie soll es jetzt weitergehen?

Es ist rund 20 Jahre her, dass Aleida Assmann und Ute Frevert mit ihrem Buch „Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit“ eine neue Schablone auf den Umgang mit der deutschen Vergangenheit gelegt haben. Sie beschrieben damals, dass der Blick auf das historische Erbe (immer) bestimmten Konjunkturen und politischen Instrumentalisierungen unterworfen ist. Wir wollen selten gleich und zugleich erinnern – der eine schuldig und schamvoll, der andere mit Schlussstrich und normalisierend, ein dritter beschönigend und instrumentalisierend.

Mit derselben Schablone lässt sich auch die Geschichte der Sammlung Proskauer/Witt erzählen. Die jüngere Historie – der Aufarbeitung, der Dokumentation und der Bemühungen um den Erhalt – beginnt 2009 mit dem Auftrag des Arbeitskreises Geschichte der Zahnheilkunde, die Geschichte der kulturhistorischen Sammlung Proskauer/Witt, der Bücherei und des Forschungsinstituts sowie die Beweggründe für deren Auflösung aufzuarbeiten. Verbunden damit war das Ziel, den Restbestand zu sichern, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und wichtige Dokumente dem Bundesarchiv zu übergeben.

Was bisher geschah

Die ältere Geschichte – der Gründung und der Rettung der Sammlung – ist schon häufiger erzählt worden, auch in den zm, zuletzt in Heft 19/2012 unter dem Titel „Das historische Gedächtnis der Zahnärzte“ [zu finden auf zm-online.de/Archiv/2012]. Verkürzt geht sie so:

Der jüdische Zahnarzt Curt Proskauer, auf dessen Initiative 1927 das Reichsinstitut für Geschichte der Zahnheilkunde gegründet wurde, verkauft 1927 seine auf 50.000 Reichsmark geschätzte umfangreiche Bibliothek und Privatsammlung dem Reichsverband der Zahnärzte Deutschlands. 1931 inthronisiert die Fédération Dentaire Internationale (FDI) das Reichsinstitut für Geschichte der Zahnheilkunde, als „Internationale Zentralstelle für die Katalogisierung historischer Objekte aus der Zahnheilkunde“. Proskauer leitet dieses weltweit einmalige Institut wie auch die Bibliothek bis 1933 – nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wird er als Jude entlassen, ausgegrenzt und verfolgt, 1938 ins KZ Buchenwald deportiert, kommt aber nach fünf Wochen frei und emigriert mit seiner Familie 1939 (mit Unterstützung des Vatikans) über Italien in die USA.

Fritz H. Witt, Kommilitone Proskauers in Jena und Geschäftsführer des Reichsverbands, übernimmt die Betreuung der Sammlung und Bücherei und baut sie aus. 1937 folgt der Berliner NS-konforme Medizinhistoriker Walter Artelt als Leiter des Reichsinstituts – Geschichte soll nun nach den ideologischen Grundsätzen der NSDAP umgedeutet werden.

Den Krieg überstehen Sammlung und Bibliothek nicht unbeschädigt, bleiben aber im Kern – vor allem durch den Einsatz von Witt – erhalten. 1954 finden beide ein neues Zuhause im neu erbauten Zahnärztehaus in Köln, wo sie mit Unterstützung des damaligen Vorstands des Bundesverbandes Deutscher Zahnärzte (BDZ) und der Zahnärztekammern der Länder sowie der KZBV erhalten, katalogisiert und erweitert werden. 1965 folgt in Köln die Neugründung des Forschungsinstituts für Geschichte der Zahnheilkunde.

Witt, bis 1956 Geschäftsführer des BDZ, leitet und betreut die Sammlung, das Institut und die Bücherei bis zu seinem Tod 1969. Von 1968 bis 1977 ist dann Robert Venter Leiter des Forschungsinstituts mit der Sammlung und der Bücherei. Der Jurist und zahnärztliche Multifunktionär war während der NS-Diktatur Geschäftsführer der Deutschen Zahnärzteschaft, Geschäftsführer der 1933 gegründeten und in den Reichsverband integrierten Kassenzahnärztlichen Vereinigung Deutschlands (KZVD) und von 1951 bis 1966 Geschäftsführer des BDZ. Venter ist mit verantwortlich für die Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen der zahnärztlichen Berufsausübung des NS-Staats – wie dafür, dass nach 1945 Teile dieser gesetzlichen Bestimmungen in Kraft blieben. Dabei agiert er in einem Netzwerk aus ehemaligen Funktionsträgern des NS-Staates, auch aus den 1933 gegründeten zahnärztlichen Körperschaften und Verbänden, die nach 1945 teilweise reaktiviert wurden. 1974 veröffentlicht Venter mit Kurt Maretzky im Auftrag des BDZ die „Geschichte des deutschen Zahnärztestandes“, worin er die Zeit der NS-Diktatur umdeutet und verharmlost. Oder wie der Historiker Magnus Brechtken sagen würde: Er entwickelte sich wie Witt zu einem „Distanzierungs- und Ablenkungserzähler“, der trotz seines nationalsozialistischen Handelns wie viele NS-Funktionsträger nicht beteiligt gewesen sein wollte. Dieses Buch wurde noch vor wenigen Jahren von vielen Vertretern der zahnärztlichen Körperschaften als Standardwerk betrachtet.

Von 1985 bis 1995 folgte als Leiterin des Forschungsinstituts die Kölner Medizinhistorikerin Marielene Putscher, die ebenfalls die NS-Zeit verharmloste und sogar deren Aufarbeitung behinderte.

In der Folge wird das Forschungsinstitut mit der Sammlung und der Bücherei von der KZBV und der BZÄK aufgelöst. Im Rahmen des Umzugs der BZÄK von Köln nach Berlin im Jahr 1999/2000 wird dann die Sammlung in Containern in Berlin eingelagert.

Zum Zeitpunkt der Auflösung im Jahr 2000 umfasst die Deutsche Zahnärzte-Bücherei etwa 40.000 Fachbücher, Zeitschriftenbände und Dissertationen, darunter viele wertvolle historische Schriften. Viele Persönlichkeiten aus (dem Umfeld) der Zahnheilkunde hatten den Bestand durch die treuhändige Überlassung ihrer Bibliotheken und Sammlungen berufsspezifischer Schriften vergrößert – auch die Erben von Curt Proskauer aus New York. Heute lagert in den Räumen der BZÄK nur noch ein Restbestand aus historischen Büchern und Akten aus dem Bestand des ehemaligen Forschungsinstituts und der Zahnärztebücherei.

Was jetzt geschieht oder was geschieht jetzt?

Seit 2013 sind die Bestände gesichert und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich – vor allem auf Betreiben unseres Arbeitskreises und mit der engagierten Unterstützung des derzeitigen Vorstands der BZÄK. Wichtige Dokumente wurden 2013 von der BZÄK dem Bundesarchiv in Berlin übergeben.

Frühjahr 2017 sahen Mitglieder des Forschungsprojekts „Zahnheilkunde im Nationalsozialismus“ auf Initiative des Arbeitskreises das Historische Archiv der BZÄK ein und erfassten die eingelagerten Archivalien provisorisch. Dabei stellten sie fest, dass diese Archivalien eine zentrale Überlieferung für die Erforschung der Geschichte der deutschen Zahnmedizin in den vergangenen drei Jahrhunderten und (in Verbindung mit den Beständen des ehemaligen Museums) ein wichtiges Zeugnis der fachkulturellen Identität des Berufsstands darstellen.

Die Archivalien stammen größtenteils aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er-Jahre. Einige Grafiken sind aufs 16. bis 18. Jahrhundert datiert. Die Archivalien umfassen sehr verschiedene Quellengattungen: Fotos, diverses Schriftgut, Grafiken und Objekte. Aufgrund dieses heterogenen Bestands ist eine differenzierte Lagerung notwendig. Die BZÄK hat daher beschlossen, diesen Bestand von einem Medizinhistoriker fachgerecht katalogisieren, einlagern und ein Findbuch erstellen zu lassen. Ziel war es auch, Mitarbeiter der BZÄK in die Archivarbeit einzuführen und zu beraten.

Parallel dazu ist die BZÄK dabei, für die fachgerechte Sichtung und Unterbringung der Sammlung eine neue Bleibe zu finden. Erste Kontakte gab es diesbezüglich mit dem Dentalhistorischen Museum in Zschadraß wegen der räumlichen Unterbringung und mit dem Medizinhistorischen Museum in Berlin wegen der fachkompetenten Unterstützung. Im August 2018 fand deshalb eine Vorstandssitzung der BZÄK in Zschadraß statt, wo die Präsidenten der Landeszahnärztekammern Räume und die ebenfalls gefährdete Sammlung des Dentalhistorischen Museums besichtigten und ihnen das Projekt vorgestellt wurde. Die endgültige Entscheidung steht noch aus, fest steht das Bekenntnis der BZÄK, alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu tun, um das historische Gedächtnis der Zahnärzteschaft zu sichern und zu erhalten.

Dr. Gisela Tascher
Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde der DGZMK

Arbeitskreis und Sammlung

Der „Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde“ wurde 2001 in Frankfurt am Main nach einem Aufruf in den zm gegründet. 2003 folgte die Eingliederung in die DGZMK. Die Gründung war eng verbunden mit dem Umzug der BZÄK von Köln nach Berlin 1999/2000, was die Auflösung der „Deutschen Zahnärzte-Bücherei“ und der „Forschungsstelle für die Geschichte und Zeitgeschichte der Zahnheilkunde“ mit ihrer kulturhistorischen Sammlung Proskauer/Witt nach sich zog.

Dr. Gisela Tascher

Arbeitskreis Geschichte der Zahnheilkunde der DGZMK

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