Resolution des Council of European Dentists

Wie Dentalketten die Versorgung zerschlagen

Angestellte Zahnärzte kriegen Quoten für eingesetzte Implantate, Patienten erhalten minderwertige Behandlungen und bleiben geschädigt zurück: Der Council of European Dentists begründet, warum von Fremdinvestoren betriebene Dentalketten die zahnmedizinische Versorgung zerstören.

Die Expansion der Dentalketten in Europa ist von großer Tragweite im Hinblick auf die Erbringung von zahnärztlicher Versorgung und Behandlung: Auf ihrer Vollversammlung in Brüssel im November kommen die europäischen Zahnärzte zu dem Schluss, dass sich die profitgetriebenen Interessen hinter dem Geschäftsmodell solcher Organisationen durch die Arzt-Patienten-Beziehung, die Behandlung und die Arbeitsbedingungen negativ auf die Patientensicherheit auswirken können. 

Der Council of European Dentists ist ein nicht gewinnorientierter Verband, der über 340.000 praktizierende Zahnärzte in ganz Europa vertritt. Der Verband wurde 1961 gegründet und setzt sich heute aus 32 nationalen Zahnarztverbänden aus 30 europäischen Ländern zusammen.

Dem CED geht es vor allem um die Sicherheit der Patienten und die Kontinuität der Behandlung, die ihnen geboten wird. Diesbezüglich befürchtet der CED, dass die kommerziellen Interessen, die dem Geschäftsmodell von Dentalketten zugrunde liegen, der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Patienten abträglich sein können.

Unzulässiger Druck auf Zahnärzte: Quoten für eingesetzte Implantate

Berichte über geschlossene Zahnarztketten in Frankreich und Spanien dokumentieren demzufolge die unethischen Praktiken und den unzulässigen Druck auf Zahnärzte, bestimmte klinische Ziele zu erreichen, etwa mit Quoten für eingesetzte Implantate. Die laufenden Gerichtsverfahren enthüllen das dadurch verursachte große Leid bei den Patienten, die falsch behandelt und getäuscht wurden.

Frankreichs Aufstand der Zahnlosen

„Zuhause bin ich den ganzen Tag zahnlos“, erzählt die 60-jährige Christine Teihol. Die Französin zahlte Dentexia 12.000 Euro für Implantate und Kronen, um die durch Zahnfleischerkrankungen verlorenen Zähne zu ersetzen. Nachdem das Zentrum in diesem Frühjahr pleite ging, bleib sie zurück - nur mit den Schrauben, die aus ihrem Zahnfleisch ragen - schwarze Stiele für die weißen Keramikkronen, die sie nie bekam. „Vertrauen Sie mir: Auch nach vielen Jahren Ehe ist das sehr hart für Ihr Privatleben.“

Natalie Huet, aus: Politico vom 26.7.2016

Anmerkung der Redaktion: Der Gründer von Dentexia, Pascal Steichen, sitzt seit November 2018 in Paris in Untersuchungshaft. Die rund 3.000 geschädigten Patienten hoffen immer noch auf finanzielle Unterstützung.

Diese Fallbeispiele zeigen laut CED auf besorgniserregende Weise, wie die Sicherheit der Patienten missachtet wird, die am Ende ohne eine angemessene Versorgung - und teils verschuldet - zurückgelassen werden. 

1. Risiken für Patienten

Behandlungsentscheidungen werden in diesen Gesellschaften auf der Grundlage von profitorientierten Erwägungen getroffen, rügt der CED, vielleicht sogar von Personen, die nicht im Besitz der erforderlichen beruflichen Qualifikationen sind.

Die Marktmacht der Dentalketten in Europa

Der Begriff Dentalketten bezieht sich meist auf Organisationen, die Zahnarztpraxen an mehreren Orten in einem oder mehreren Ländern errichten, Zahnärzte rekrutieren und verpflichten und normalerweise von Investmentgesellschaften betrieben werden, deren Hauptinteresse auf der Erzielung von Rendite statt auf der Erbringung hochwertiger zahnmedizinischer Leistungen für Patienten liegt. Häufig werden diese Organisationen nicht von einem Zahnarzt, sondern von einer fachfremden Führungskraft geleitet. Zu diesen Organisationen gehören unter anderem zahnärztliche Praxisketten, gemeinnützige Organisationen, Wohltätigkeitsorganisationen, soziale Unternehmen und gewinnorientierte soziale Unternehmen.

Private-Equity-Gesellschaften haben den Dentalmarkt als Investitionsmöglichkeit entdeckt und damit begonnen, Einzelpraxen und kleinere Gruppenpraxen aufzukaufen, um in einer Reihe von Ländern Ketten zu bilden. Als Folge expandieren Dentalunternehmen und eröffnen Praxen in vielen Ländern der EU. Einige beschäftigen bis zu 1.000 Zahnärzte.

Solche Unternehmen unterhalten Filialen in der Schweiz, in Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Italien, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Frankreich und dem Vereinigten Königreich mit dem Ziel, große Zahnarztketten in Europa zu errichten.

In Europa sind Dentalunternehmen am weitesten in Finnland verbreitet: Bezogen auf die Anzahl der Zahnärzte beträgt ihr Marktanteil 35 Prozent. Danach kommen Spanien (25 Prozent) und Großbritannien (24 Prozent).

Quelle: CED

In einigen Ländern haben Patienten bereits die negativen Folgen der von Zahnarztketten angewandten Methoden zu spüren bekommen: So untersuchte die spanische Zahnärztekammer (Consejo General de Colegios de Odontólogos y Estomatólogos de España) 2017 alle Patientenbeschwerden, die bei offiziellen spanischen Zahnärzteverbänden eingegangen waren und kam zu dem Schluss, dass die Hälfte davon zwischen 2013 und 2015 auf Dentalketten entfielen, obwohl diese lediglich 4 Prozent aller Zahnarztpraxen in Spanien ausmachen. 

Unternehmen drängen Patienten zu Behandlungen, die medizinisch nicht notwendig sind

Einige Ketten lancierten aggressive Marketingkampagnen, um den Patienten mithilfe irreführender Nachlässe Versorgungen zu überhöhten Preisen anzudrehen. Die Zwangsschließung dieser Ketten aufgrund von unethischem Verhalten und finanziellem Fehlverhalten hatte zur Folge, dass Behandlungen - obwohl bereits bezahlt - nicht zu Ende geführt wurden

Durch Werbung und Druck in der Praxis können solche Unternehmen Patienten auch zu Behandlungen drängen, die medizinisch gar nicht notwendig sind und damit zusätzliche Kosten für die jeweiligen Gesundheitssysteme verursachen.

"Derzeit betreiben wir mehr als 260 Kliniken mit über 1.000 Zahnärzten in Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien, der Schweiz, Italien und Deutschland. Der Umsatz beläuft sich auf 450 Millionen Euro. Wir sind weiterhin bestrebt, das Unternehmen sowohl organisch als auch durch Akquisitionen weiter auszubauen.“

Patrick De Maeseneire, Vorsitzender der Colosseum Dental Group und CEO der Jacobs Holding AG, am 28. Mai 2018

2. Risiken für die Beschäftigten

Es ist für den CED offensichtlich, dass ein Geschäftsmodell, das nur auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist, die ethischen Grenzen in Bezug auf Patienten, aber auch in Bezug auf den Umgang mit den Beschäftigten stetig verschiebt und auch überschreitet.

So gingen Beschwerden von in Zahnarztketten angestellten Zahnärzten ein, die täglich mehr als 12 Stunden arbeiteten, mitunter unbezahlt. Die gesetzlichen Regelungen zu Ruhepausen und arbeitsfreien Zeiten wurden nicht eingehalten. Wegen Angst und Überlastung fielen  überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten an. Klinische Ziele wurden auch den angestellten Zahnärzten auferlegt.

Standpunkt des CED

„Wir sind uns bewusst, dass die Art der Organisation von Zahnarztpraxen in Zukunft Änderungen unterliegen kann und dass in Bezug auf Dentalketten belastbarere Daten benötigt werden; allerdings ist es unabdingbar, dass der Patientenschutz jederzeit sichergestellt wird. Daher muss die primäre Beziehung bei der Erbringung zahnmedizinischer Leistungen stets zwischen Zahnarzt und Patient bestehen, die bei der Entwicklung von Strategien zusammenarbeiten, um positive Gesundheitsergebnisse sicherstellen. Profitgetriebene Überlegungen dürfen die in einem solchen Rahmen getroffenen Behandlungsentscheidungen nicht beeinflussen.“

Aus der CED-Resolution vom 16. November 2018

3. Risiken für das Gesundheitssystem

Dem CED zufolge besteht ein inhärentes Systemrisiko für die Erbringung von zahnärztlicher Versorgung, wenn Ketten oder Kapitalgesellschaften, die die zahnmedizinische Versorgung einer Region oder eines großen Anteils der Bevölkerung erbringen, ihre Tätigkeit - warum auch immer - einstellen. Dann nämlich besteht die Gefahr, das Patienten ohne Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung zurückbleiben. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Anwesenheit der Kette zuvor zu einem Rückgang der Zahl anderer Zahnarztpraxen in der betreffenden Region geführt hat.

Investoren verfolgen häufig die sogenannte Buy-and-Build-Strategien, das heißt, sie kaufen Unternehmen - in diesem Fall Praxen - (häufig, indem sie 'reguläre' Zahnärzte überbieten) und versuchen anschließend, das Geschäft auszubauen und nach einigen Jahren mit Gewinn zu veräußern. Dies steht im Widerspruch zum langfristigen Planungsbedarf der Gesundheitssysteme.  

Der CED fordert

1. Sind privatrechtlich organisierte juristische Personen zur Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt, dürfen diese nur von Zahnärzten gegründet und betrieben werden
2. Zahnärzte, die Gesellschafter sind, müssen als Zahnärzte in dem Unternehmen praktizieren.
3. Es muss sichergestellt sein, dass: a) das Unternehmen hauptverantwortlich von einem Zahnarzt geführt wird - die Geschäftsführer müssen Zahnärzte sein; b) die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte in den Händen von Zahnärzten liegen; c) das Hauptinteresse des Unternehmens nicht in der Gewinnmaximierung, sondern in der ordentlichen Versorgung der Patienten besteht.
4. Kapitalgesellschaften oder Investoren dürfen Zahnärzte nicht von der Erfüllung der in dem geltenden Berufskodex und in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Pflichten abhalten.
5. Unternehmen dürfen ihren rechtlichen Status nicht dafür einsetzen, Patienten das Recht auf Wiedergutmachung zu nehmen, wenn diese Bedenken hinsichtlich ihrer Behandlung äußern.
6. Kapitalgesellschaften oder Investoren dürfen keinen Einfluss auf die vom Zahnarzt mit Einwilligung des Patienten getroffenen Behandlungsentscheidungen nehmen, sie dürfen keine klinischen Zielgrößen formulieren.
7. Kapitalgesellschaften oder Investoren dürfen Patienten nicht durch falsche Werbung und Preise oder irreführende Finanzpläne täuschen. Unternehmen dürfen Patienten nicht über die Besitzverhältnisse einer Praxis irreleiten.

Diese Forderungen wurden einstimmig von der CED-Vollversammlung  am 16. November 2018 in Brüssel angenommen.

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