Interview mit Zahnärztin Petra Volz

„Wir fühlen uns als Chefs und Unternehmer gereift“

Petra Volz aus Garmisch-Partenkirchen war mit ihrer Praxis in allen Medien. Auf den Namen [fotzn‘spanglerei] muss man auch erstmal kommen. Die Corona-Krise kostete auch sie Nerven. Jetzt geht es zum Glück wieder bergauf.

Frau Volz, ist Corona in Ihrem Arbeitsalltag schon Schnee von gestern oder gibt die Pandemie immer noch den Ton an?

Petra Volz:

Wir sind wieder bei knapp 90 Prozent des ursprünglichen Volumens angekommen. Trotzdem bleibt sichtbar, dass die Situation noch nicht wieder normal ist. Daran erinnert uns täglich die Mundschutzpflicht für die Patienten im Wartebereich und an der Rezeption. Statt unseren Patienten – wie sonst üblich – eine Tasse Kaffee anzubieten, blicken wir in bedeckte Gesichter mit angelaufenen Brillengläsern. Die sonst durchaus lustige Stimmung in unserer Praxis ist zurzeit leider nicht möglich.

Welche Folgen hatte der Lockdown für Ihre Praxis?

Glücklicherweise nur vergleichsweise geringe. Unsere Entscheidung, die Praxis offen zu halten und mit schärferen Hygienemaßnahmen weiterzuarbeiten hat die wirtschaftlichen Auswirkungen in Grenzen gehalten. Wir sind sowieso durch eine strikte Basishygiene sauber aufgestellt und haben nur wenige Anpassungen gebraucht, um uns schnell auf die Situation einzustellen. Zum Beispiel haben wir Schutzvisiere angeschafft, Mitarbeiterkontakte eingeschränkt und Termine entzerrt, um die Kontakte so gut es geht zu reduzieren.

Wir haben jeden Tag engen Kontakt zu den Patienten gehalten, um anstehende Termine zu bestätigen beziehungsweise zu verschieben. Es war ein Arbeiten von Tag zu Tag, Entscheidungen haben wir nur extrem kurzfristig getroffen. Auch, was die Arbeitseinteilung der Mannschaft anging. Darüber, dass diese Entscheidung nicht nach hinten losgegangen ist, sind wir sehr froh.

Wie haben Sie sich im Hinblick auf Ihre Verantwortung als Praxisinhaberin und Arbeitgeberin in den ersten Wochen gefühlt?

Angespannt, aber gut! Ich war heilfroh, aus eigenem Entschluss Entscheidungen treffen zu können, und kann bis heute nicht verstehen, wie manche Kollegen und Kolleginnen die Schließung der Praxen von Amtswegen gefordert haben. Die vermeintliche Last der Verantwortung war aus meiner Sicht die Freiheit zur Entscheidung – eine Freiheit, die vielen anderen Selbstständigen genommen war.

Worauf haben Sie sich als Chefin in den ersten Wochen der Krise besonders konzentriert?

Ganz wichtig war für meinen Mann als Praxismanager und mich, das Team in unsere Entscheidungen einzubinden. Unser Entschluss, die Praxis nicht zu schließen, war anfangs durchaus umstritten. Umso wichtiger war für uns die Kommunikation mit dem Team, dem wir unsere Beweggründe und Maßnahmen genau erklärt haben. Es war von Anfang an klar, dass wegen dieser Krise niemand Angst um seinen Arbeitsplatz haben und auch im Gehalt keine Einbußen hinnehmen muss. Wir hatten zwar auch ab April Kurzarbeit angemeldet, mussten diesen Sicherungsmechanismus unterm Strich aber nicht nutzen.

Garmisch-Partenkirchen liegt in der Nähe vieler Nachbarländer Deutschlands. Wie hat das die Stimmung beeinflusst?

Wir haben viele Patienten aus Österreich. Mit ihnen war eine extra gute Kommunikation gefragt. Wir haben regelmäßig Terminbescheinigungen ausgestellt, die bei den Grenzkontrollen vorgezeigt werden mussten, um den Besuch bei uns und die Rückreise zu gewährleisten. Das war aber okay. Tatsächlich auf die Stimmung gedrückt hat etwas anderes: Der Lockdown führte einem plötzlich vor Augen, wie selbstverständlich wir die innereuropäische Reisefreiheit nutzen. Wir sind von hier schneller in Innsbruck als in München. Diese Freiheit hat uns in dieser Zeit gefehlt.

Was war die größte Herausforderung?

Einen ruhigen und kühlen Kopf zu bewahren, war in der ersten Zeit eine echte Nervensache. Die Nachrichten waren beherrscht von düstersten Szenarien, und in den sozialen Medien wurden abwechselnd der Untergang der Zahnarztpraxen und abstruse Verschwörungstheorien zum Besten gegeben. Es hat viel mentale Stabilität erfordert, die relevanten Informationen zu sortieren, zu bewerten und darauf basierend – hoffentlich – richtige Entscheidung für die Praxis, die Mitarbeiter und die Patienten zu treffen.

Gab es einen Tiefpunkt für Sie?

Oh ja. Das war Ende März. Die gesamte Welt bestand gefühlt nur noch aus Virus. Es gab immer strengere Einschränkungen im Alltag, zunehmende Terminabsagen und keinen Anhaltspunkt, wie sich alles weiterentwickeln würde. Da kam der Punkt, an dem die Ungewissheit ein zu hohes Maß erreicht hatte und für einen Moment auch keine rationale Überlegung mehr geholfen hat. Die gesamte angestaute emotionale Überforderung hat sich dann an einem Abend bei mir schlicht ihren Weg gebahnt. Das war aber gut, der Stress musste einfach raus. Ich war innerlich total ausgelaugt.

Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen?

Die überwiegend nüchterne Art und Weise, mit der mein Mann die Welt betrachtet. Die wusste ich in diesem Moment zum ersten Mal wirklich zu schätzen. Das hat mir Halt gegeben. Und der Stolz auf unser Team. Wir haben einen inneren Zusammenhalt, der in der Krise entscheidend geholfen hat. Zudem haben wir auf Instagram ein starkes Netzwerk an Kollegen, mit denen wir uns auf Augenhöhe gut austauschen konnten.

Wie war und ist die Stimmung bei Ihren Patienten?

Da gab es ganz verschiedene Phasen. In der ersten Zeit waren viele teilweise besorgt, zu uns zu kommen. Als die Ausgangsbeschränkungen jedoch länger andauerten, gab es zunehmend Menschen, die gerne den Weg zum Zahnarzt antraten, um mal rauszukommen. Wir erinnern uns an eine Mutter, die seit Wochen nonstop ihr Kind daheim betreut hatte und sich tatsächlich über ihre Zahnschmerzen freute, weil sie in der Praxis einen Moment zum Verschnaufen hatte. Eine ältere Dame, die eigentlich zur Risikogruppe zählt, wollte zur Zahnreinigung und Kontrolle kommen, weil sie mittlerweile jeden Grashalm im Garten ihres Seniorenheims mit Vornamen kannte.

Seit Mitte Mai ist ganz deutlich der Drang bei den meisten Patienten zu spüren, wieder normal Termine zu vereinbaren.

Wie würden Sie die Lage der Praxis insgesamt beschreiben?

Stabil. Man darf nicht vergessen, dass wir erst Anfang 2019 eröffnet haben und eine Pandemie im zweiten Jahr schnell wirtschaftlich brandgefährlich werden kann. Wir sind einfach nur dankbar, dass wir bislang so glimpflich davongekommen sind. Die vergleichsweise geringen Fallzahlen im Landkreis haben da ganz klar geholfen.

Wie fühlen Sie sich?

Super! Im Ernst, wir haben durch die Krise gelernt, dass wir die Praxis auch durch so etwas navigieren können, solange wir als Führungskräfte nicht den Kopf in den Sand stecken. Der Job war für acht Wochen richtig fordernd, manchmal auch überfordernd, aber wir fühlen uns als Chefs und Unternehmer gereift.

Die Fragen stellte Susanne Theisen.

Details zur Praxis: Schwerpunkt: Allgemeine Zahnheilkunde, Prothetik, Endodontologie, Implantologie; Größe: 4 Behandlungszimmer, 208 qm, Eigenlabor mit ZT; gegründet: 1/2019; Mitarbeiter: 14 Gehälter

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