Wer den Beipackzettel nicht lesen kann, ist klar im Nachteil
Rund zwölf Prozent der Erwerbsfähigen hierzulande können nicht richtig lesen und schreiben. Hochgerechnet entspricht dies bundesweit etwa 6,2 Millionen Menschen, deren Lese- und Schreibkompetenzen für eine volle berufliche, gesellschaftliche und politische Teilhabe nicht ausreichen. Um hier gegenzusteuern, geben der AOK-Bundesverband und die Stiftung Lesen jetzt Handlungsempfehlungen. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „HEAL – Health Literacy im Kontext von Alphabetisierung und Grundbildung“ zeigen sie auf, wie die Lese- und Schreibfähigkeit in der Gesundheitsversorgung gestärkt werden kann. Analog dem von der WHO postulierten Ansatz „Health in all Policies“ will das Projekt die literalen Fähigkeiten von Menschen auch in anderen Feldern wie Finanzen und Digitalisierung stärken – vor allem aber in den Bereichen Gesundheit und Ernährung.
Vier Handlungsbereiche werden identifiziert:
Vernetzung von Akteuren: Planung und Umsetzung von Grundbildungsangeboten durch Anbieter aus der Gesundheitsförderung und Alphabetisierung. Dazu können beispielsweise neue Akteure gehören – wie etwa Selbsthilfegruppen im Bereich der Gesundheit oder Blogger im Bereich der Ernährung. Es können auch bestehende Netzwerke genutzt werden, vor allem Online-Plattformen zum Austausch mit Multiplikatoren oder Betroffenen oder Akteuren aus anderen Disziplinen werden eingebunden, wie etwa Ernährungsberater in Kochkurse für gering literalisierte Erwachsene.
Gestaltung von Rahmenbedingungen: etwa die Entwicklung laienverständlicher Darstellungen auf Beipackzetteln oder laienverständliche Lebensmittelkennzeichnungen im Form von Ampelfarben.
Ansprache von Zielgruppen: etwa die Entwicklung von Screening-Instrumenten zur leichteren Identifikation der Zielgruppen.
Einbezug der Digitalisierung: wie die Förderung von Maßnahmen zur Steigerung der digital Health Literacy und digital Food Literacy.
Darüber hinaus empfehlen sie dem BMBF, einen Förderschwerpunkt zu diesem Themenfeld zu einzurichten.
Die Lesekompetenz ist entscheidend
„Wenn Menschen beispielsweise den Beipackzettel eines Medikaments nicht verstehen, weil sie nicht richtig lesen und schreiben können, so kann dies gesundheitsschädliche Folgen haben“, sagt Dr. Kai Kolpatzik, Präventionsexperte und Projektleiter im AOK-Bundesverband. „Für Allergiker, die die Nährwertangaben auf Lebensmitteln nicht richtig lesen können, wird das sogar lebensbedrohlich. Diese fehlende Lese- und Schreibkompetenz kann sich auch auf viele andere Lebensbereiche negativ auswirken. Unsere Empfehlungen verfolgen daher einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, der sich nicht nur an Akteure aus dem Bildungs- und Gesundheitssektor richtet, sondern auch viele weitere politische Ressorts in die Pflicht nimmt.“
Folgen der geringen Literalität
Quelle: HEAL
Ziel sei, Menschen in ihrem Alltag zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten, ergänzt Prof. Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung und Projektleiterin bei der Stiftung Lesen (siehe Interview). Gerade beim Thema Gesundheit könne eine gute Lesekompetenz darüber entscheiden, ob Vorsorge und Therapien optimal genutzt werden und erfolgreich sind.
Die BZÄK und die KZBV unterstützen Patienten bei der Stärkung ihrer Gesundheitskompetenz. So bietet die BZÄK Mundpflege-Praxistipps für Pflegende an, Videos mit Tipps zur Mundpflege für Hochbetagte und Pflegebedürftige sowie einen textfreien Comic zur Zahnpflege von Kleinkindern. Die KZBV informiert mit zahlreichen Informationsbroschüren Patienten, Angehörige und Fachkräfte (teils in mehreren Sprachen), einer Webseite über Zahnersatz, einem virtuellen Rundgang durch eine barrierearme Zahnarztpraxis oder einem Erklärvideo zum HKP. Außerdem haben BZÄK und KZBV mit Pflegeverbänden eine Broschüre zur Versorgung von Pflegebedürftigen erstellt, dazu ist ein Erklärvideo zur Verhütung von Zahnerkrankungen in Vorbereitung.
Das Problem beginnt mit dem Ausfüllen des Anamnesebogens
Warum Literalität auch in der Zahnmedizin eine wichtige Rolle spielt, erklärt Prof. Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung bei der Stiftung Lesen.
Gesundheitsinformationen leichter verständlich zu machen – inwieweit ist das auch in der Zahnmedizin relevant?
Prof. Simone Ehmig:
<image xmlns:ns5="http://www.w3.org/1999/xlink" seo-title="" alt-text="" aspect-ratio="16-9" ns5:href="censhare:///service/assets/asset/id/158880" ns5:role="censhare:///service/masterdata/asset_rel_typedef;key=actual."/>
Prof. Simone Ehmig |
Stiftung Lesen
Können Sie Beispiele nennen?
Und Beispiele aus der Medizin und Ernährung?
Wie kommt man aus Ihrer Sicht an die betroffenen Menschen heran?
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.