Berufsschule in der Pandemie

Wenn sich Azubis digital tot stellen, ist nichts zu machen

Etwa 1.000 ZFA und 1.100 MFA in spe absolvieren derzeit am OSZ Gesundheit I in Berlin-Wedding den schulischen Teil ihrer dualen Ausbildung. Wegen der Pandemie und dem damit verbundenen zweiten Lockdown ist die Schule seit Dezember erneut weitgehend geschlossen, Unterricht findet ausschließlich digital statt. Für manche Azubis ist das ein Ansporn, andere fallen nun völlig durchs Raster.

Digitale Lehr- und Lernkonzepte gibt es am OSZ seit 20 Jahren. Allerdings hatten die Lehrer vor der Pandemie die Möglichkeit, ihre Schüler step by step mit den Techniken vertraut zu machen. Obendrein wurden einzelne Projektklassen zusätzlich mit einer eigens von der Schule eingesetzten Lernplattform begleitet. Einführung ins Digitale in Präsenz.

Mit dem zweiten Lockdown fällt der Präsenzunterricht aber nun erneut weg, und damit auch die stufenweise Einführung in Programme wie Word, Excel, Powerpoint und die PVS-Software. Alle neuen Azubis müssen von null auf hundert digital lernen – und irgendwie klarkommen. Die Folgen sind schon jetzt absehbar, sagt Studiendirektor Karsten Sieweke, Abteilungskoordinator für die ZFA am OSZ: Die digitale Grundkompetenz bleibt häufig auf der Strecke.

„Die zweite Schließung innerhalb weniger Monate war wieder ein großer Eingriff ins Unterrichtsgeschehen, der auch uns Lehrerinnen und Lehrer vor große Herausforderungen stellt, speziell in den Klassen mit Berufseinsteigern“, macht Sieweke klar. „Schülerinnen und Schüler, die schon vorher recht kompetent waren, sind in der Regel auch digital erfolgreich unterwegs, einige fühlen sich dadurch sogar noch extra motiviert.“

Dagegen seien die Hürden, dem digitalen Unterricht zu folgen, für etwa zehn Prozent nur schwer überwindbar – unter anderem weil sie keine geeigneten Endgeräte besitzen, kein WLAN haben, die Räumlichkeiten zum Lernen zu Hause fehlen oder es schlicht an Ausbildungsreife beziehungsweise Eigenverantwortlichkeit mangelt.

TikTok? Kein Problem, aber Word ...

„Gerade daran krankt es häufig bei den Azubis. Sie wissen zwar, wie WhatsApp oder TikTok funktioniert, scheitern aber oft schon daran, sich Passwörter zu merken, zielgerichtet eine konkrete Webseite aufzusuchen oder auch nur ein Worddokument zu öffnen“, berichtet Sieweke. „Da müssen wir als Schule natürlich ran und diese Probleme, soweit sie durch uns beeinflussbar sind, angehen.“

Mit einer Art „Generalangriff“ will das OSZ daher gerade zum Einstieg in die Ausbildung verstärkt die erforderlichen digitalen Grundkenntnisse vermitteln. Denn während die höheren Semester meist eine gute digitale Grundbildung im Unterricht aufgebaut hätten und effizient und zielgerichtet mit den Tools der Lernplattform arbeiteten, könne man einige Schüler der unteren Stufen über ausschließlich digitale Formate gar nicht oder nur sehr schwer ansprechen – auch weil es teils an der Bereitschaft und/oder der Fähigkeit zum selbstständigen Lernen fehle.

Nicoletta, 17 Jahre

Jetzt im zweiten Lockdown läuft es besser, im ersten Lockdown mussten wir auch arbeiten gehen, wenn wir Schule hatten. Jetzt bin ich an den zwei Tagen, an denen Unterricht stattfindet auch zu Hause und kann daran teilnehmen.

Mit den Hausaufgaben ist das so eine Sache, man muss schon aufpassen und dranbleiben. Meine Chefin lässt sich meine Berichte regelmäßig vorlegen und kontrolliert meine Aufgaben. Wenn ich Fragen habe, kann ich aber auch alle anderen Kolleginnen ansprechen.

Ich habe nur ein Handy. Die Aufgabenblätter für den Unterricht darf ich in der Praxis ausdrucken, aber auf der Arbeit ist manchmal gar keine Zeit dafür. Es ist schon okay, man kommt halt so klar ...

Neben dem Messenger der Lernplattform hat die Schule deshalb mittlerweile eine Cloud-Lösung installiert, über die die Lehrer Push-Nachrichten direkt auf die Handys der Azubis senden können. „Das ist wie WhatsApp für Schule in sicher“, erklärt Sieweke. „Aber selbst hier scheitert der Kontakt in einigen Fällen an den fehlenden Endgeräten.“ Per Smartphone könne man zwar auf die Plattform zugreifen, in größerem Umfang Aufgaben zu bearbeiten, sei aber zäh. „Und wenn sich Auszubildende digital tot stellen, ist einfach nichts zu machen. Trotz hohem Einsatz dringt die Schule dann nicht durch. In Kombination mit Betrieben, die nicht wollen, ist die Lage dann fast aussichtslos“, bilanziert der Pädagoge.

Für die betroffenen Azubis sei es am Ende dramatisch, wenn sie dem Unterricht fernbleiben, die Aufgaben nicht fristgemäß abgeben und schließlich schlechte Noten kassieren, weil sich natürlich so auch keine Lernerfolge einstellen.

Belgin, 21 Jahre

Ich bin 21 Jahre alt und im dritten Ausbildungsjahr, im April finden die Abschlussprüfungen statt.

Meine Praxis gibt mir schon den nötigen Freiraum zum Lernen: Berufsschule ist immer dienstags und freitags, an diesen Tagen darf ich zu Hause bleiben, um am Unterricht teilzunehmen. Arbeiten muss ich dann nur in Notfällen. Es gab beispielsweise einen Corona-Fall im Team, da musste ich zwei Dienstage kommen, aber das ist die Ausnahme.

Eine Kollegin ist zuständig für mich. Sie fragt regelmäßig nach, ob ich das Berichtsheft aktuell halte und ob ich meine Hausaufgaben mache. Es wird schon kontrolliert, dass ich lerne und mitkomme. Alles ist sehr gut organisiert.

Wir haben fünf Behandlungsräume und sind zehn Personen im Team.

Ob Praxen den digitalen Unterricht und somit die Ausbildung begleiten und fördern, hängt häufig stark davon ab, wie sie selbst digital aufgestellt sind, betont Sieweke. „Betriebe mit hoher digitaler Affinität tun sich erfahrungsgemäß deutlich leichter. Viele Praxen kontrollieren regelmäßig den Lernerfolg, erkundigen sich an der Schule nach ihren Azubis und informieren sich über die Inhalte und Methoden.“ Es gebe allerdings auch solche, die die Kontaktaufnahme zur Schule regelrecht blockieren und jegliche Mitarbeit verweigern: „Sie zeigen wenig Interesse am Lernerfolg ihrer Azubis, wichtig ist für sie, dass die Praxis läuft und ihnen eine günstige Arbeitskraft zur Verfügung steht.“ Insgesamt sei es für alle Azubis momentan eine große Belastung, den Druck auszuhalten – einerseits im Betrieb funktionieren zu müssen und andererseits in der Schule fristgerecht Leistungen zu erbringen.

Der Druck in Betrieb und Schule ist extrem hoch

„Einige finden es gut, zu Hause am Küchentisch zu lernen. Das sind aber eben die, die auch vorher in der Schule gut zurechtkamen, bei anderen schlägt sich das in den Noten nieder“, führt Sieweke aus.

Meredith, 18 Jahre

Ich bin 18 Jahre alt und im zweiten Ausbildungsjahr zur ZFA. In unserer Praxis sind wir mit den Ärzten insgesamt 80 Beschäftigte, es gibt 20 Behandlungszimmer.

Seit Corona herrscht in der Praxis schon ein ziemliches Durcheinander. Wir haben mehr Patienten als vor der Pandemie, das heißt, gegenwärtig kommen zu uns 400 Patienten pro Tag. Wir ZFA müssen dann immer durch zwei bis drei Zimmer laufen und parallel assistieren. Das ist sehr anstrengend.

Im ersten Lockdown durfte ich in der Praxis nicht die Aufgabenblätter aus der Schule ausdrucken, das darf ich jetzt. Unterstützung beim Lernen bekomme ich aber nicht. Die Hausaufgaben mache ich meist am Wochenende mit meinem Handy.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass wir weniger Patienten annehmen.

„Hinzu kommt, dass die meisten alternativen oder ergänzenden Angebote zum schulischen Lernen, beispielsweise die ausbildungsbegleitenden Hilfen als eine Art ‚Nachhilfe für Azubis‘, jetzt wegfallen – und die Bibliotheken sind ja auch geschlossen. Die flankierende Unterstützung durch Sozialpädagogen, die sich um Azubis mit schulischen Problemen kümmern und dabei auch nach links und rechts schauen, ist ebenfalls fast vollständig zusammengebrochen.“ Vonseiten der Schule wünsche er sich, dass die Betriebe ihren Azubis, wo es nötig ist, ein Notebook zur Verfügung stellen, damit jene überhaupt die Möglichkeit haben, digital zu arbeiten und dem Unterricht folgen können – gerne auch ein gebrauchtes.

Neben den statischen Angeboten auf der Lernplattform läuft der Unterricht an den Schultagen auch in Form von Videokonferenzen. „Eine Freistellung der Auszubildenden während der Schulzeit ist daher ein grundlegender Faktor für den Lernerfolg“, sagt Sieweke.

„Hier können die Betriebe auch die Wochenpläne in der Praxis aufhängen und die von den Azubis erledigten Aufgaben abhaken“, empfiehlt er. „So haben sie Arbeitspensum und Lernkompetenz im Auge.“ 

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