Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin

Pappe statt Plastik? Das kann doch nicht alles sein!

Klimaschutz, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin – kein Thema in der Corona-Pandemie? Und ob. Die großen Zahnärzteverbände haben länderübergreifende Strategien vorgelegt. England und die USA zeigen, was Zahnarztpraxen machen können, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Und Deutschland?

Was hat Nachhaltigkeit mit Zahnmedizin zu tun? Für den Dental-Public-Health-Experten Dr. Brett Duane verbirgt sich dahinter mehr, als den Plastikbecher an der Behandlungseinheit gegen einen aus Pappe zu tauschen. Duane ist außerordentlicher Professor am Trinity College Dublin für öffentliche Gesundheit und Zahnmedizin und einer der wenigen Wissenschaftler weltweit, der mit seinem Team zum Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin forscht.

Wer hinterlässt denn den größten CO2-Fußabdruck?

Sein Credo: Zahnärzte tragen nicht nur eine Verantwortung für die Gesundheit ihrer Patienten, sondern auch für die Umwelt. Duane hat mit seinen Veröffentlichungen vielfach belegt, welche Bereiche rund um die Zahnmedizin den höchsten CO2-Fußabdruck hinterlassen: Energie- und Wasserverbrauch, Materialbeschaffung, Lieferketten und Abfallentsorgung. Der höchste Anteil entsteht aber durch Reiseverkehr – verursacht durch die An- und Abreise von Patienten und der Mitarbeiter von und zur Praxis.

Duane berät zahlreiche internationale Gremien, vor allem im angelsächsischen Raum. Dazu gehören der Weltzahnärzteverband FDI, der britische National Health Service (NHS), die British Dental Association (BDA) und die irische Gesundheitsbehörde, die sich alle seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin beschäftigen. Auch in Brüssel ist das Thema verankert – etwa im Council of European Dentists (CED) oder in der European Dental Students Association (EDSA), die Duanes Thesen intensiv diskutieren.

Viele Player sind in der Verantwortung

Der Weltzahnärzteverband FDI hat auf seiner Generalversammlung 2017 ein Strategiepapier zum Thema Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin verabschiedet, das einen weltweiten Diskurs anstoßen soll. Eine gute Mundgesundheit komme nicht nur den Patienten und Zahnarztpraxen zugute, sondern auch der Umwelt, ist man in der FDI überzeugt. Der Verband sieht bei dem Thema viele Player in der Verantwortung – von nationalen Regierungen, Wissenschaftlern, Verbänden, Pädagogen, Dentalherstellern und -händlern bis hin zur Abfallwirtschaft.

Ein Baustein im Rahmen dieser Strategie ist das FDI-Projekt „Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin (Sustainability in Dentistry)“: Eine optimale präventiv ausgerichtete Mundgesundheitsversorgung trägt danach dazu bei, den zahnärztlichen CO2-Fußabdruck zu verringern. Die Initiatoren verfolgen drei Hauptziele:

1. Den Berufsstand sensibilisieren, nachhaltige Maßnahmen in der Zahnmedizin umzusetzen

2. Zahnärzten und ihren Teams einen Leitfaden „Umweltverträgliche Maßnahmen“ an die Hand geben

3. Eine Literaturrecherche durchführen und neue Forschungsansätze finden

Die Briten machen vor, wie es geht

Wie es gehen kann, haben die Briten vorgemacht: Die British Dental Association (BDA) verpflichtet sich, ihren Beitrag zur Absenkung des CO2-Fußabdrucks des Landes zu leisten. Die Emissionen von zahnärztlicher Behandlungstätigkeit im Rahmen des National Health Service (NHS) machen drei Prozent des gesamten CO2-Fußabdrucks im NHS aus, hat der britische Zahnärzteverband ausgerechnet. Die Emissionen fallen besonders in den Bereichen Aufbereitung, Abfallentsorgung und Verwendung von Einwegkunststoffen an.

Klimaschutz nimmt in der britischen Gesundheitspolitik ohnehin einen hohen Stellenwert ein. So kündigte der NHS im vergangenen Herbst an, das weltweit erste Gesundheitssystem mit einer Energiebilanz von null zu werden. Dieser „Net Zero NHS“-Vision fühlt sich auch die BDA verpflichtet und hat Zahnärzte und ihre Teams in diesem Zuge aufgefordert, bis zum 22. März Fallstudien einzureichen, die neue Möglichkeiten zur Ökologisierung des Gesundheitssystems aufzeigen sollen. Auf der Webseite des British Dental Journal stellt die BDA außerdem als Service für ihre Mitglieder eine umfangreiche Sammlung an Veröffentlichungen rund um die Nachhaltigkeit in Zahnarztpraxen zur Verfügung.

Praktische Tipps

Energie einsparen

  • Jede Praxis kann ihren Energieverbrauch prüfen und so Einsparpotenziale auftun. Weder nachts noch am Wochenende oder in den Ferien muss dauerhaft das Licht brennen. Es kostet auch unnötig Energie, wenn Geräte im Stand-by-Modus schlummern. LED-Lampen sind viel sparsamer als andere Leuchtmittel. Strom kann aus erneuerbaren Ressourcen bezogen werden, der Wechsel zu grünem Strom ist denkbar einfach.

Austauschen oder reparieren?

  • Wenn eine Reparatur möglich ist, spart man den Neukauf und die Entsorgung des alten Geräts.

Material: Qualität statt Quantität

  • Naturmaterialien können Alternativen zu Plastik sein, Latex-Handschuhe zum Beispiel. Außerdem können Bestellungen in Großpackungen gebündelt statt in mehreren kleinen Packungen verschickt werden. Digitale Kommunikation spart Papier, und in der Personalküche können ökologische Reinigungsmittel zum Einsatz kommen. Kaffeekapseln aus Aluminium sind wirklich von gestern. Es gibt längst kompostierbare Varianten.

Zulieferer prüfen

  • Kleine, leichte Teile müssen nicht überdimensioniert verpackt sein. Wie steht es sonst um die Ethik des Unternehmens hinsichtlich der Produktions- und Lieferketten, der Einhaltung von Arbeitsschutz und Umweltschutz?

Mülltrennung und Entsorgung

  • Weil sich Abfall nicht komplett vermeiden lässt, sind Mülltrennung und die sachgerechte Entsorgung ein wichtiger Schritt für die Weiterverwertung. Nichts wird wieder ganz verschwinden, aber einige Stoffe können korrekt kompostiert besser oder schneller abgebaut werden.

Die BDA stützt mit diesen Maßnahmen die globalen Ziele der FDI für mehr Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin. Auf nationaler Ebene führt sie eine Kampagne zusammen mit dem Centre for Sustainable Healtcare, einer Charity-Organisation, die den NHS bei seinen ökologischen Zielsetzungen unterstützt. Die Organisation, der Duane auch beratend zur Seite steht, hat einen Leitfaden herausgegeben, der speziell Zahnarztpraxen in ihrem Bestreben um mehr Nachhaltigkeit unterstützen soll. Das Papier umfasst auf rund 100 Seiten eine Vielzahl von Ratschlägen und Handreichungen, die weit über das Praxisgeschehen hinausgehen und auch die persönliche Lebensführung von Zahnärzten und Patienten betreffen. Es geht um Reisen und Transport, Praxisausstattung und Versorgung, Energie und Abfall oder auch die Bewahrung der Artenvielfalt.

Auch in den USA ist die Zahnärzteschaft aktiv. So hat die American Dental Association (ADA) in ihrem Papier „80 Ways to Make Your Dental Practice Green“ konkrete Tipps für das Alltagsgeschäft zusammengestellt. Dazu gehören die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern, die nach nachhaltigen Prinzipien arbeiten (Bank, Architekt, Praxisgestaltung), der Einsatz energieeffizienter Produkte (Dimmer bei Beleuchtung, programmierbare Thermostate, wassersparende Toiletten), ökologisch abbaubare Einwegbecher statt Plastikbecher, ungebleichte Papierprodukte und das Recycling von Aluminium, Glas, Plastik, Papier und Stahl. Auch Patienten und das Praxisteam sollten zu nachhaltigem Verhalten angeregt werden, fordert die ADA.

Deutschland steht noch am Anfang

In Deutschland steht das Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen zwar auf der politischen Tagesordnung, ist aber wegen der Pandemie in den Hintergrund gerückt. 2019 hatte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI (Fraunhofer ISI) im Auftrag des Bundesumweltministeriums das Projekt „Ressourcenschonung im Gesundheitssektor“ auf den Weg gebracht. Ein Teil war eine Umfrage unter Stakeholdern. Die Forscher wollten wissen, wo die Hemmnisse und Treiber in Sachen Ressourcenschonung im Gesundheitssystem liegen. Daran beteiligt hatte sich auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK).

Das Ergebnis war, dass sich größere Einheiten wie Krankenhäuser eher mit Ressourcenschonung befassen als kleinere (zum Beispiel Arztpraxen). Als wichtigsten Grund für die Nicht-Befassung nannten die Befragten fehlenden Handlungsbedarf, gefolgt von Zeit- und Personalmangel. Kosteneinsparungen und neue gesetzliche Vorgaben wiederum wurden als Treiber für erhöhte Aktivität identifiziert. Der Rat der Wissenschaftler an die Politik: das Thema Ressourcenschonung im Gesundheitssektor stärker auf die Agenda zu setzen und strategisch besser zu verorten. Genau das hat die BZÄK vor: Sie wird über die strategische Ausrichtung und konkrete Schritte auf der nächsten Vorstandssitzung beraten.

Webseiten

Veröffentlichungen im British Dental Journal zur Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin: https://www.nature.com/collections/djidaaddgi

Leitfaden des Centre for Sustainble Healthcare „Sustainable Dentistry: How-to Guide for Dental Practices“: sustainablehealthcare.org.uk/dental-guide

American Dental Association: „80 Ways to Make Your Dental Practice Green“: success.ada.org/en/practice-management/office-design/80-ways-to-make-your-dental-practice-green

Beitrag zur Arbeit von Dr. Brett Duane: bda.org/events/Documents/LDCOD19%20-%20Environmental%20sustainability%20-%20practical%20advice%20and%20sources%20of%20support%20-%20Brett%20Duane.pdf

Film zu Plastik in der Zahnarztpraxis: <link url="https://www.youtube.com/" target="new-window" url-fragment="" seo-title="" follow="follow">www.youtube.com/watch/

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