Der externe Sinuslift ohne Knochenersatzmaterial
Der Ersatz verloren gegangener Dentition durch osseointegrierte Implantate stellt bei der Versorgung teilbezahnter und unbezahnter Patienten eine wissenschaftlich akzeptierte und fundierte Maßnahme dar [Penerrocha-Diago et al., 2004]. Wegen schlechter Knochenqualität und oft unzureichender Kieferkammhöhe ist die Rehabilitation der posterioren Maxilla aber häufig eine Herausforderung [Al-Dajani, 2016; Sogo et al., 2012]. Das durch die Kieferkammatrophie und die Pneumatisation der Kieferhöhle bedingte unzureichende Knochenangebot muss dabei durch augmentative Maßnahmen ausgeglichen werden. Dabei gilt die Sinusbodenelevation als eine der vorhersagbarsten Operationsmethoden.
Im Wesentlichen etablierten sich dabei im Laufe der Zeit zwei Techniken als Methoden der Wahl zur Augmentation der posterioren Maxilla:
die klassische Technik nach Tatum über einen lateralen Zugang mit Fenestrierung des bukkalen Knochens [Boyne und James, 1980].
der krestale Zugang: Osteotomie nach Summers [Summers, 1994], bei der mittels geeigneter Osteotomie der Sinusboden über den Implantat-Bohrstollen eleviert wird
Die gewählte Sinusbodenelevationstechnik hängt im Wesentlichen von der Restknochenhöhe zwischen Alveolarkamm und Sinusboden ab. Die Summers-Osteotomietechnik wird auch als interner Sinuslift bezeichnet und ist indiziert, wenn mindestens 5 bis 6 mm Restknochenhöhe vorhanden sind und das Knochenangebot ausreichend ist, um das Implantat zu stabilisieren [Stern und Green, 2012]. Die klassische Technik nach Tatum wird auch als externer Sinuslift bezeichnet. Diese ist indiziert, wenn ein größerer Knochengewinn in stark atrophierten Oberkiefern benötigt wird. Die Implantate können bei Erreichen der notwendigen Primärstabilität sofort oder nach Abschluss der Knochenheilung inseriert werden [Zitzmann und Schärer, 1989].
Unter der Annahme, dass der bei der externen Sinusbodenelevation neu geschaffene subantrale Hohlraum aufgrund der Pneumatisation einen volumenstabilen Füller zur Augmentation der Kieferhöhle braucht, beinhaltet das klassische Protokoll der externen Sinusbodenelevation immer die Verwendung eines geeigneten Augmentationsmaterials, um den durch die Sinusbodenelevation gebildeten Hohlraum aufzufüllen und zu stabilisieren. In zahlreichen Studien wurden allogene, xenogene oder alloplastische Knochenersatzmaterialien mit autolog gewonnenen Knochenchips kombiniert [Ardekian et al., 2006; Chiapasco et al., 2009; Merli et al., 2013].
Die Kombination von Eigenknochen und Knochenersatzmaterialien soll die osteogenen und osteoinduktiven Eigenschaften des autologen Knochens mit den osteokonduktiven Eigenschaften des Knochenersatzmaterials kombinieren und gleichzeitig ein zweites OP-Gebiet für die Gewinnung einer ausreichenden Menge an Eigenknochen überflüssig machen. Jedoch bleibt nach wie vor die Frage offen, ob überhaupt ein volumenstabiler Füller zur Stabilisierung für die Augmentation des Subantralraums notwendig ist.
Bereits im Jahr 1998 konnten Hämmerle und Karring zeigen, dass sich mit dem sogenannten Memfix®-System große Volumina an neuem Knochen bilden lassen, ohne dass ein Knochenblock oder Knochenersatzmaterial Anwendung finden muss. Das Periost wurde dabei durch eine Art „Zeltstange“ (Memfix®-Schraube) auf Abstand gehalten. Lediglich ein Blutkoagel füllte den so gebildeten Hohlraum, der während der Abheilungsphase ossifizierte. Auch Lundgren et al. zeigten in ihrer 2003 veröffentlichten Arbeit, dass sich nach Entfernung einer zystischen Veränderung in der Kieferhöhle auf Basis eines Blutkoagels spontan neuer Knochen bilden kann. Mit der Publikation dieser Studien wurde eine neue Perspektive gewonnen und in der Folge zeigten auch andere Forschungsgruppen das Knochenneubildungspotenzial des Blutkoagulums in der Kieferhöhle [Altintas et al., 2013; Bassi et al., 2015; Chen et al., 2007; Thor et al., 2007].
Durch die simultane Insertion der Implantate bei der externen Sinusbodenelevation wurde nach dem „Zeltstangenprinzip“ ein künstlicher Hohlraum geschaffen, in dem eine rein autologe und über das Blutkoagel initiierte Knochenneubildung abläuft. Die in mehreren Reviewartikeln veröffentlichten durchschnittlichen Erfolgsquoten dieses OP-Protokolls liegen bei 97 Prozent [Duan et al., 2017; Moraschini et al., 2017; Dongo et al, 2018]. Der physiologische Heilungsprozess kann zusätzlich durch die Verwendung von Thrombozytenkonzentraten beschleunigt und die Gefäß- und Geweberegeneration verbessert werden [Martinez et al., 2015].
Diskussion
Der bei dieser OP-Methode erzielte Knochengewinn kann mit dem PASS-Prinzip der gesteuerten Knochenregeneration erklärt werden [Duan et al., 2017]. Dabei steht PASS für „primary wound closure, angiogenesis, space creation and maintenance and wound stability”. Die Heilung in einem transplantatfrei augmentierten Sinus ist eine zeitliche Abfolge von Blutstillung, Entzündung, Proliferation und Reifungs- und Umbauprozessen. Raum- und Wundstabilität sind dabei entscheidend für die undifferenzierten mesenchymalen Stammzellen oder Vorläuferzellen im Sinus, um Knochen zu bilden. Eine klinisch-mechanische Instabilität im augmentierten Sinus tritt hauptsächlich aufgrund des durch die Atmung bedingten Luftdrucks in der Kieferhöhle auf. Wenn die Schneider‘sche Membran durch das hervorstehende Implantat abgehalten wird, ist der unter der Membran erzeugte Raum relativ stabil, was die Knochenregeneration innerhalb des Raums begünstigt. Dementsprechend wird die Menge des vertikalen Knochengewinns durch die in den Sinus hineinragende Implantatlänge bestimmt. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass sich in einer Metaanalyse beim Vergleich einer Sinusbodenelevation mit und ohne Knochenersatzmaterial kein signifikanter Unterschied bei der Zunahme der Knochenhöhe zeigte [Moraschini et al., 2017]. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen de Silva et al., die beim Vergleich der prä- und postoperativen Knochenhöhe keinen signifikanten Unterschied zwischen Operationen mit und ohne die Verwendung von Knochenersatzmaterial bei der Sinusbodenelevation feststellten [de Silva et al., 2016].
Wie wichtig die Raum- und Wundstabilität ist, zeigt sich darin, dass die in der Literatur am häufigsten beschriebene Ursache für den Implantatverlust bei der Implantation mit simultaner Sinusbodenelevation eine fehlende Primärstabilität der Implantate ist [Testori et al., 2012; Zitzmann et al., 1998; Thor et al., 2007]. Um auch bei geringer Restknochenhöhe eine ausreichende Primärstabilität zu erzielen, wurde daher in den meisten untersuchten Arbeiten eine „Unterpräparation“ des Bohrstollens vorgenommen. Dabei hatte die finale Implantatbohrung einen geringeren Durchmesser als das vom Hersteller empfohlene Bohrprotokoll. In einer von Turkyilmaz et al. veröffentlichten Studie konnte gezeigt werden, dass durch dieses Verfahren ein im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant höherer mittlerer maximaler Insertionstorque und höhere RFA-Werte gefunden wurden [Turkyilmaz et al., 2008]. Die Verwendung dünnerer Bohrer für die Implantatinsertion im hinteren Bereich des Oberkiefers, wo die Knochenqualität schlecht ist, kann somit die Primärstabilität des Implantats verbessern. Dies scheint vor allem dann sinnvoll, wenn eine geringe Restknochenhöhe vorhanden ist [Borges et al., 2011; Chricchio et al., 2010; Falah et al., 2016].
Auf die Verwendung von Knochenersatzmaterialien zur Stabilisierung des Implantats kann dabei vollständig verzichtet werden. So konnten Starch-Jensen et al. in ihrem 2017 veröffentlichten Review zeigen, dass sich der Implantatstabilitätsquotient nach einer Sinusbodenelevation ohne die Verwendung von Knochenersatzmaterialien nach einer sechsmonatigen Einheilzeit nicht signifikant von dem einer Sinusbodenelevation mit autogenem mandibulärem Knochentransplantat unterscheidet. Außerdem zeigte sich, dass die sechs Monate postoperativ gemessene Knochendichte bei Augmentationen mit alleinigem Blutkoagel im Vergleich zu Augmentationen mit allogenem Ersatzmaterial statistisch signifikant höher war.
Um das Risiko einer Membranperforation weitgehend zu reduzieren, erfolgte die Anlage des Knochenfensters piezochirurgisch. So konnten Stacchi et al. in ihrem Review zeigen, dass die Piezochirurgie mit 10,9 Prozent eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit der Membranperforation im Vergleich zu rotierenden Instrumenten mit einer Wahrscheinlichkeit von 20,1 Prozent hat [Stacchi et al., 2017].
Unter Klinikern ist die Verwendung von Membranen zur Abdeckung des geschaffenen Subantralraums weit verbreitet [García-Denche et al., 2013]. Begründet wird diese operative Maßnahme mit den allgemein gültigen Regeln der Guided Bone Regeneration. Dabei soll die Abdeckung des lateralen Fensters zum einen den Verlust von Transplantatmaterial durch das Zugangsfenster und zum anderen das Eindringen von Weichgewebe in den Sinus verhindern, um die Knochenregeneration in der Nasennebenhöhle zu fördern. Auch Starch-Jensen et al. kommen in ihrer 2019 veröffentlichten Metaanalyse zu dem Schluss, dass eine Barrieremembranabdeckung des lateralen Fensters vorteilhaft zu sein scheint, da eine Membranabdeckung den Prozentsatz des neu gebildeten Knochens erhöht, die Proliferation von nicht mineralisiertem Gewebe in den Sinus verringert und die Verschiebung des Transplantatmaterials verhindert. Jedoch ergab genau diese systematische Überprüfung und Metaanalyse keinen statistisch signifikanten Unterschied in den Behandlungsergebnissen nach Augmentation des Sinus maxillaris mit oder ohne Barrieremembranabdeckung des lateralen Fensters. Die Autoren sprechen somit lediglich von statistisch nicht signifikanten Tendenzen und weisen darauf hin, dass die aus den Ergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen mit äußerster Vorsicht interpretiert werden sollen. Am Ende fehlt auch in diesem Bereich eine klare und eindeutige Evidenz für die Empfehlung einer OP-Variante.
In einer von Garcìa-Denche et al. 2013 veröffentlichten Studie lag die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts von Transplantatmaterial über das Zugangsfenster bei 5,8 Prozent und hatte keinen Einfluss auf den Behandlungserfolg. Somit scheint diese Begründung für die Verwendung einer zusätzlichen Membran eher fragwürdig, zumal beim hier untersuchten OP-Protokoll kein Knochenersatzmaterial Anwendung findet. Auch die Aussage, dass durch die zusätzliche Abdeckung des lateralen Fensters ein Einwachsen von Bindegewebe in den Subantralraum verhindert werden kann, sollte kritisch hinterfragt werden. Das Periost enthält undifferenzierte mesenchymale Zellen und osteogene Vorläuferzellen und kann somit die Knochenbildung unterstützen [Colnot et al., 2012]. Die Abdeckung des lateralen Fensters mit einer Barrieremembran würde genau diesen positiven Effekt verhindern. Zudem wäre es hinsichtlich des OP-Protokolls inkonsequent, im Subantralraum auf Fremdmaterial zu verzichten, dieses dann aber für die Abdeckung des lateralen Fensters zu verwenden. So gesehen bleibt entweder die Möglichkeit der Reposition des Knochendeckels oder aber der Verzicht auf operative Maßnahmen zum barrieredichten Verschluss des lateralen Knochenfensters.
Erfolgt der Zugang zum Subantralraum über die Präparation eines Knochendeckels, kann dieser entweder für den Verschluss des lateralen Fensters verwendet oder aber belassen und mit der Membran in die Kieferhöhle eingeschlagen werden. Das Einschlagen des Knochendeckels könnte sich positiv auf den vertikalen Knochengewinn ausüben, indem dieser als eine Art Dach des neu geschaffenen Subantralraums fungiert. Die durch die Implantate lediglich zeltstangenartige und damit inadäquate Abstützung des Subantralraums würde durch den zusätzlichen Knochendeckel verbessert und könnte somit der Knochenresorption durch den Luftdruck im Sinus maxillaris besser entgegenwirken [Borges et al., 2011]. Bei der Verwendung von Thrombozytenkonzentraten kann eine daraus gewonnene Fibrinmembran zur Abdeckung des lateralen Fensters benutzt werden. Diese hat jedoch aufgrund der schnellen Resorption keine Barrierefunktion, könnte sich aber stimulierend auf die Angiogenese des Gewebes auswirken [Miron und Pikos, 2018].
Patientenfall
Mögliches operatives Vorgehen für die externe Sinusbodenelevation mit simultaner Implantation ohne Verwendung von Knochenersatzmaterialien (Abbildungen 1 bis 12): Der Patient wurde mit der Bitte um operative Entfernung des Zahnes 25 und implantologische Versorgung der resultierenden Schaltlücke 025/026 an unsere Praxis überwiesen. Das Röntgenbild der Ausgangssituation zeigt schon die fortgeschrittene Kieferkammatrophie vor allem in Regio 026. Nach eingehender Beratung erfolgte zunächst die operative Entfernung des Zahnes 25.
Abb. 1: Radiologischer Ausgangsbefund | Benjamin Engelke