Aligner-Behandlung

Patientensicherheit muss auch bei gewerblichen Anbietern ganz oben stehen

Auf einer Bundestagsanhörung am 17. Mai haben Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) einen Antrag der FDP unterstützt: Danach sollte die Patientensicherheit bei allen Aligner-Behandlungen Vorrang haben – insbesondere gewerbliche Anbieter sollten stärker reguliert werden, damit sie nicht länger das Zahnheilkundegesetz (ZHK) umgehen und zahnmedizinische Standards unterlaufen können.

Die FDP hatte die Regierung zuvor aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Aligner-Behandlung patientensicher durchgeführt wird: Diese sollte ausschließlich Zahnärzten oder Kieferorthopäden vorbehalten sein. „Im Internet werden inzwischen immer mehr Behandlungen angeboten, die keine vollumfängliche Betreuung durch einen Zahnarzt oder Kieferorthopäden sicherstellen“, heißt es in dem FDP-Antrag. 

Das ZHG gilt nicht für justische Personen

Zahnmedizinische Behandlungen seien zum Schutz von Patienten und zur Garantie einer hohen Qualität ausschließlich Zahnärztinnen und Zahnärzten vorbehalten, unterstrichen auch KZBV und BZÄK in einer gemeinsamen Mitteilung. Dies sei im ZHG und den Berufsordnungen festgehalten: „Gerade bei der sensiblen Behandlung von Zahnfehlstellungen mit sogenannten Alignern muss die Verantwortung und engmaschige Begleitung durch Zahnärzte oder Kieferorthopäden bei jedem Behandlungsschritt sichergestellt sein.“

Patientensicherheit muss durchgesetzt werden! 

„Es hat im Gesundheitsausschuss selten eine Anhörung gegeben, bei der sich die Sachverständigen so einig waren. Bei Aligner-Behandlungen muss dringend die Patientensicherheit durchgesetzt werden, eine vollumfängliche zahnärztliche oder kieferorthopädische Behandlung muss gewährleistet sein. Insbesondere bei vielen Internet-Anbietern ist dies nicht der Fall. Ich fordere Union und SPD auf, dem FDP-Antrag zuzustimmen, damit noch in dieser Legislaturperiode Verbesserungen der Patientensicherheit angestoßen werden können.“

Dr. Wieland Schinnenburg, 
Mitglied im Ausschuss für Gesundheit für die FDP-Bundestagsfraktion
und federführender Antragssteller

Allerdings könnten gewerbliche Anbieter als juristische Personen bei von ihnen angebotenen oder erbrachten Behandlungen das ZHG unterlaufen, da sie – anders als Zahnärzte und Kieferorthopäden – nicht der Aufsicht und Überwachung der Zahnärztekammern unterliegen. Hierfür müssten gesetzliche Regelungen geschaffen werden.

„Die Zeiten, in denen man bei Zahnschmerzen den Barbier aufsuchte, sind vorbei. Zahnheilkunde obliegt den Zahnärzten. Das ist das geltende Recht, dieses gilt auch für die Korrektur von Zahnfehlstellungen durch Aligner. Das heißt nicht, dass es keine privaten Anbieter auf dem Markt geben darf, die Aligner herstellen und vertreiben. Die fachgerechte Anwendung muss jedoch gewährleistet und gesetzlich durchgesetzt werden. Die Erstellung eines Behandlungsplans, die Anpassung und insbesondere die fortlaufende Betreuung der Behandlung muss durch oder zumindest in Kooperation mit einem approbierten Zahnarzt und in dessen Verantwortung erfolgen. Nur so kann den möglicherweise gravierenden Folgen einer unsachgemäßen Behandlung vorgebeugt werden.“

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M., Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Denn in den vergangenen Jahren sind demzufolge verstärkt gewerbliche Anbieter aufgetreten, bei denen eine Aligner-Behandlung entgegen zahnmedizinischer Standards ausschließlich per Fernbehandlung oder nur mit eingeschränktem Zahnarzt-Patienten-Kontakt erfolgt. Die Unternehmen agieren dabei in der Rechtsform von GmbHs, Zahnärzte sind weder in der Geschäftsführung noch als Mehrheitsgesellschafter vertreten.

„Die wirtschaftlichen Interessen des Patienten sind weiter dadurch beeinträchtigt, dass bei einer Behandlung durch gewerbliche Anbieter häufig eine unklare Haftungslage bei fehlerhaften Behandlungen vorliegt und der Patient im Übrigen das – bei Start-ups üblicherweise höhere – Insolvenzrisiko trägt.“

Stephan Gierthmühlen, Fachanwalt für Medizinrecht 

Abdrucksets werden laut BDK per Post versendet, woraufhin auf Grundlage dieser Eigenabdrücke Behandlungspläne erstellt werden, die der Patient online bestätigt und dann die Aligner auf dem Postweg erhält. Behandlungskontrollen erfolgten – wenn überhaupt – rein telemedizinisch. Andere Anbieter binden demnach „Partnerzahnärzte“ ein, um dem Arztvorbehalt zu genügen. Teilweise beschränke sich die „Partnerschaft“ allerdings darauf, das Räume zur Verfügung gestellt werden, teilweise werde nur der 3-D-Scan durch den Partnerzahnarzt durchgeführt. Regelmäßige Behandlungskontrollen durch den „Partnerzahnarzt“ finden in der Regel nicht statt, kritisiert der BDK in seiner Stellungnahme.

Beispiele Gescheiterter Behandlungen

Der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) hat in einer Stellungnahme zum FDP-Antrag beispielhaft folgende Fälle angeführt, in denen eine Behandlung bei gewerblichen Anbietern gescheitert ist. Es handelt sich hierbei laut BDK „um geradezu typische Folgen von Zahnbewegungen ohne adäquate Diagnostik und mit unzureichenden Behandlungskontrollen“. Bei all diesen Patienten sei eine neuerliche kieferorthopädische Behandlung notwendig, um die Funktionalität des Gebisses wiederherzustellen. 

  • Bei einer 49 Jahre alten Frau wurde durch fehlende Röntgendiagnostik eine Entzündung des Zahnhalteapparats mit horizontalem Knochenabbau übersehen, die zu einer erheblichen Zahnlockerung und der Gefahr des Zahnverlusts führte 

  • Bei einer 34-jährigen Patientin wurde ohne Röntgendiagnostik das Knochenangebot falsch eingeschätzt. Zähne wurden deshalb aus dem Knochen herausbewegt und es kam zu einem irreversiblem Verlust des Gingivaattachments. Voraussichtlich ist eine Gingiva-Transplantation nötig. 

  • Bei einem 23 Jahre alten Patienten wurden aufgrund einer Behandlungsplanung mit zu großen Steps je Aligner Wurzelresorptionen in der Front hervorgerufen, die aufgrund der fehlenden Behandlungskontrollen nicht entdeckt wurden. Darüber hinaus verblieben Frühkontakte in der Front und eine unvollständige Nivellierung. 

  • Eine 21-Jährige brach die Behandlung nach extrem starken Schmerzen ab. Bei dem Nachbehandler wurde ein Frontaler Kopf- und Zwangsbiss festgestellt. Eine habituelle Okklusion war nicht mehr möglich. Es zeigten sich massive Kiefergelenksbeschwerden mit ausstrahlenden Schmerzen. Der vorliegende anteriore Zwangsbiss wurde offenbar wegen fehlender Behandlungskontrollen und funktioneller Diagnostik übersehen. 

  • Bei einer 22-jährigen Patientin kam es nach der Behandlung, bei der zwar die Zahnbögen ausgeformt wurden, zur Entwicklung eines Kopfbisses. Okklusionskontakte bestanden nur noch auf den 7ern und am Zahn 24. 

  • Bei einer 24-jährigen Frau wurden wegen der schlechten Passform die Aligner im Bereich der Zähne 37, 47 gekürzt. Es kam – vom Anbieter unbemerkt – zu einer Elongation dieser Zähne. Bei Abschluss der Behandlung lag ein zirkulär offener Biss mit Abstützung nur auf den Zähnen 37, 47 vor. Es lag ein vollständiger Funktionsverlust vor. Die Patientin gab an, nicht einmal mehr Nudeln essen zu können. 

Quelle: BDK

Die Patienten seien sich der möglichen Komplikationen, die sich daraus ergeben können, oft aber gar nicht bewusst.

KZBV, BZÄK und der BDK befürworten daher unisono Bestrebungen, die Tätigkeit gewerblicher Anbieter von zahnärztlichen Leistungen stärker zu regulieren. 

Stärkere Kontrollen für gewerbliche Anbieter

„Ausschließliche Fernbehandlung oder Anleitung zur Selbstbehandlung werden der Komplexität einer Heilbehandlung in keiner Weise gerecht und können die Gesundheit von Patientinnen und Patienten gefährden“, betonen KZBV und BZÄK. „Nur die Behandlung bei Zahnärztinnen und Zahnärzten garantiert die Sicherheit einer qualitativ hochwertigen Versorgung.“

Mit dem Antrag „Patientensicherheit bei Aligner-Behandlungen durchsetzen“ forderte die FDP-Fraktion die Bundesregierung auf, mit den Gremien der Zahnärzteschaft Maßnahmen zu ergreifen, damit Aligner-Behandlungen nicht mehr von gewerblichen Unternehmen ohne vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung durch approbierte Kieferorthopäden oder Zahnärzte angeboten werden können. 

Fernbehandlungen in Großbritannien

Beispiel SmileDirectClub

In Großbritannien haben der General Dental Council (GDC) und die Care Quality Commission (CQC) als Aufsichtsbehörden nun auch Fernbehandlungen unter die „Ausübung der Zahnheilkunde“ gefasst. Den neuen Patientenrichtlinien zufolge müssen kieferorthopädische Maßnahmen künftig vollständig von einem Zahnarzt beurteilt werden. Außerdem ist eine direkte Interaktion zwischen Zahnarzt und Patient unerlässlich. Der Patient muss darüber hinaus den Namen und die Registrierungsnummer des für seine Behandlung verantwortlichen Zahnarztes kennen.

Die British Dental Association (BDA) hat diesen Schritt begrüßt, hält die Regelungen aber für nicht weitreichend genug. Fernversorgungen mit Kunststoff-Alignern auf der Basis eines 3-D-Scans oder per Abdruck aus einem Set könnten zu grundlegenden und möglicherweise irreversiblen Zahnverschiebungen führen, warnt die BDA: „Die BDA hat Patienten mit fortgeschrittener Zahnfleischerkrankung gesehen, die mit dem Tragen dieser Zahnspangen in Verbindung gebracht wurden, was möglicherweise zu Zahnverlust führte.“ Sie fordert daher, dass gewerbliche Aligner-Anbieter – wie jede Zahnarztpraxis – ihre Räumlichkeiten registrieren müssen und den üblichen Qualitätsprüfungen unterliegen. Bei Verstößen sollte zudem klar sein, welche Sanktionen dann zum Tragen kommen.

„Richtlinien sind eine Sache, aber was wirklich gebraucht wird, sind Regeln und Vorschriften zum Schutz der Patienten“, sagte der BDA-Vorsitzende Eddie Crouch. „Die Regulierungsbehörden haben erkannt, dass bei Alignern eine fundierte Diagnose auf der Grundlage einer informierten Zustimmung entscheidend ist. Sie können sich aber der Tatsache nicht entziehen, dass das Direct-to-Patient-Modell mit vielen Grundprinzipien, die eine anständige Versorgung untermauern, nicht vereinbar ist. Solange es keine angemessenen Sicherheitsvorkehrungen gibt, werden wir Zahnärzte die Scherben dieser unsachgemäßen Behandlungen aufsammeln müssen.“

Die BDA verweist in ihrem Statement auf eine Untersuchung des US-Senders NBC bei SmileDirectClub – einem führenden Anbieter von Aligner-Sets. Die Recherche der Reporter ergab, dass es durch die Behandlungen in vielen Fällen zu Fehlstellungen, Kreuzbissen und Zahnverlusten kam. Beschwerden – wie Migräne und Nervenschäden – waren die Folge. Die Patienten mussten sich nicht persönlich von einem Zahnarzt untersuchen lassen, unzufriedene Kunden eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben.

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