Editorial

Mehr Gelassenheit bitte!

Am Thema Corona-Impfung kommt man in diesen Tagen kaum vorbei. In Gesprächen mit Freunden, Bekannten und Kollegen dreht es sich meist schnell um die Frage, wer wann wo womit in welcher Prio-Gruppe geimpft wird. Das nimmt schon stellenweise bizarre Züge an. Denn wir haben inzwischen geimpfte und ungeimpfte Genesene, Vollgeimpfte, Teilgeimpfte, Ungeimpfte (mit und ohne Impftermin), Impfunwillige, Impfgegner sowie leicht und schwer COVID-Erkrankte – diese Aufzählung ist mit Sicherheit nicht vollständig. 

Die Situation ist paradox: Je mehr Impfstoff zur Verfügung steht, umso zersplitterter wird die Gesellschaft. Befeuert durch die Frage, ob die Rückgabe der eingeschränkten Freiheitsrechte an Genesene und Geimpfte ethisch und sozial vertretbar ist. Demgegenüber steht das Lager derjenigen, die es als unsolidarisch empfinden, dass Geimpfte wieder mehr dürfen sollen und zum Warten auffordern. Ein sehr deutsches Bedürfnis nach Gerechtigkeit, das aber angesichts der rasanten Entwicklungen des Impfgeschehens nicht lange Bestand haben dürfte. Zumal auf allen Ebenen die Gerichte mitentscheiden werden. Und zwischendrin unser rührend altertümlicher gelber Impfausweis, der in unserer digitalisierten Welt wie ein Relikt aus einer fernen Zeit wirkt. Inzwischen kursieren gefälschte Impfausweise zum Verkauf. Wer hätte sich vor zwei Jahren vorstellen können, dass ein Impfausweis mal zur Fälscherware wird?!

Die Stimmung ist also ziemlich aufgeheizt, was nach knapp eineinhalb Jahren Corona und Lockdown-Hopping durchaus nachvollziehbar ist. Nichtsdestotrotz sollten wir vielleicht auch mal etwas Demut walten lassen. Es gibt gute Anzeichen dafür, dass wir die Pandemie langsam in den Griff bekommen: Die Inzidenzen sinken, die Zahl der freien Intensivbetten steigt. Unser Gesundheitssystem scheint – mit all seinen häufig heiß diskutierten Schwächen – zu funktionieren.

Was passiert, wenn ein Gesundheitssystem kollabiert, zeigen dieser Tage die furchtbaren Bilder aus dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat Indien. Mit diesen Bildern im Kopf täten uns etwas mehr Optimismus und Gelassenheit doch vielleicht ganz gut. Und nach dem kältesten April seit 40 Jahren wird es jetzt mit Sicherheit endlich wieder wärmer. Das soll auch nicht ganz schlecht fürs Gemüt sein.

In diesem Heft beschäftigen wir uns mit dem neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG), das umfassende Regelungen vorsieht, um Kinder und Jugendliche in Heimen und Pflegefamilien oder in schwierigen Lebensverhältnissen besser zu schützen und zu unterstützen. Danach sind jetzt auch Zahnärztinnen und Zahnärzte befugt, das Jugendamt zu informieren, wenn es Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung gibt. Dr. Reinhard Schilke, der maßgeblich an der Erstellung des zahnmedizinischen Teils der AWMF-Kinderschutzleitlinie beteiligt war, erläutert die Neuregelung.

Wie es um das psychische Befinden von Zahnärztinnen und Zahnärzten steht, haben wir mit Dr. Bettina Kanzlivius besprochen. Sie ist zahnmedizinische Leiterin der Berliner Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“. Obwohl normalerweise die Belange von Patienten im Mittelpunkt stehen, hat sie bemerkt, dass die Pandemie die Zahnärzteschaft nicht unerheblich belastet.

Außerdem stellen wir in dieser Ausgabe die Ergebnisse des 2. Zahnärztinnentages der KZV Westfalen-Lippe vor.

Nach der viel beachteten Pilotveranstaltung 2019 beschäftigte sich die Veranstaltung in diesem Jahr – natürlich Pandemie-konform – mit den Themen erfolgreiche Praxisgründung und -führung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Jobsharing sowie den gesetzlichen Regelungen im Fall einer Schwangerschaft.

In der Zahnmedizin befassen wir uns unter anderem mit einer 17-jährigen Patientin, bei der ein Weisheitszahn ins Weichgewebe luxiert wurde und nicht mehr geborgen werden konnte. Im DVT zeigte sich, wohin es den Weisheitszahn verschlagen hatte.

Bleiben Sie gesund und gelassen!

Sascha Rudat

Chefredakteur

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