Komplikationen in der Implantologie

Welche Rolle spielt die mechanische Belastbarkeit von Implantaten?

Florian Beuer
Die Datenlage zur mechanischen Belastbarkeit von dentalen Implantaten ist immer noch unzureichend. Wissenschaftler der Bergischen Universität Wuppertal entwickeln nun einen Prüfstand, der die realitätsnahen Belastungen simuliert. Ziel ist, bereits vor dem klinischen Einsatz Daten zur Langzeit-Lebensdauer zu gewinnen.

Wenn wir über technische Komplikationen in der Implantologie nachdenken, dann fallen uns sicher zuerst Dinge wie Keramikabplatzungen der Suprakonstruktion, Schraubenlockerungen, Gerüstfrakturen oder Retentionsverluste ein. Schraubenbrüche und Abutmentbrüche gehören Gott sei Dank nicht zu unserem Alltag, genauso wenig wie die schlimmste technische Komplikation: der Bruch des osseointegrierten Implantats (Abbildungen 1 und 2). Sicher kennen die meisten Kolleginnen und Kollegen aus ihren Praxen frakturierte Implantate als eher seltene Ereignisse – die jedoch meist einen sehr großen Behandlungsaufwand nach sich ziehen. Aber wie viele Implantate brechen wirklich beziehungsweise wie hoch ist das Risiko für eine Implantatfraktur?

Wie viele Implantate brechen wirklich?

Eine Arbeitsgruppe um das Berner Team von Prof. Dr. Daniel Buser und Prof. Dr. Urs Brägger hatte bereits 2012 in ihrer retrospektiven Untersuchung von mehr als 500 Implantaten nach zehn Jahren keine einzige Implantatfraktur beobachtet, es wurden hier ausschließlich Tissue-Level-Implantate eines Herstellers eingesetzt [Buser et al., 2012]. In anderen extrem umfangreichen retrospektiven Untersuchungen aus Asien wurden bei insgesamt mehr als 19.000 Implantaten 174 Frakturen des Körpers festgestellt, daraus errechnet sich ein theoretisches Risiko für eine Implantatfraktur von knapp ein Prozent nach fünf Jahren [Lee et al., 2019].

Als klinische Situation für ein geringes Risiko einer potenziellen Implantatfraktur wurden der Frontzahn- und der Prämolarenbereich im Unterkiefer sowie Implantate mit großem Durchmesser (> 4 mm) beschrieben. Implantate, die ohne Knochenaugmentation eingesetzt wurden, hatten ein signifikant höheres Frakturrisiko, dies hängt mit der Unterstützung des Implantats durch den umliegenden Knochen zusammen.

Eine chinesische Untersuchung kam nach einer Beobachtungszeit von bis zu 22 Jahren auf 19 frakturierte Implantate bei insgesamt knapp 8.500 beobachteten Implantaten. Sie zeigten die Risikobereiche Molarenregion, Metallkaufläche (vielleicht gilt das analog für die Zirkonoxidkaufläche?) und Einzelkrone auf [Yu et al., 2018].

Auch wenn bei einer Überlastung das Implantat nicht zwangsläufig bricht, gibt es im Alltag mechanische Probleme: So kann es schon bei relativ niedrigen Lasten zu einer plastischen Deformation der Implantatschulter kommen. Die Freiburger Gruppe um Prof. Dr. Katja Nelson widmet sich seit Jahren intensiv diesem Thema. Sie beschreibt die Problematik mancher Implantat-Abutment-Verbindung im Hinblick auf die Verformung der Außenwand und – als klinische Konsequenz – auch (im Hinblick auf) den potenziellen Verlust des periimplantären Knochens [Angermair et al., 2020].

All diese Untersuchungen beschäftigen sich mit Titanimplantaten, hier scheinen das Thema mechanische Belastung und die damit verbundenen klinischen Probleme eher gering zu sein. Allerdings wird dies deutlich kritischer, wenn wir über (zweiteilige) keramische Implantate sprechen. Da es derzeit zu wenig klinische Daten über zweiteilige Zirkonoxidimplantate gibt, lässt sich das Risiko wahrscheinlich am besten durch In-vitro-Untersuchungen abschätzen. Hier zeigen sich manche Implantate als wesentlich weniger stabil, als von vielen Klinikern bislang angenommen [Zhang et al., 2020].

Klinische Fallberichte über frakturierte keramische Implantate scheinen hier einen gewissen Bedarf an Daten anzumelden [Osman et al., 2013]. Zwar werden alle Implantate im Rahmen der Zulassung nach der ISO-Norm 14801–07 „Ermüdungsprüfung von Dentalimplantaten“ getestet. Hier wird das Implantat in einem standardisierten Versuchsaufbau belastet. Wirklich realitätsnah ist dieser Normversuchsaufbau allerdings nicht, da er keine mehraxialen Belastungen zulässt.

Dieses Defizit wollen die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Stefan Bracke von der Bergischen Universität Wuppertal (Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik) nun mit der Entwicklung eines neuen, realitätsnahe Belastungen simulierenden Prüfstands beseitigen. Ziel ist die sichere Bewertung der Langzeitstabilität von Implantaten und die Reduzierung der Testzeit mittels Zeitraffererprobung. Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert. Gelingt das Vorhaben, werden Hersteller ihre neuen Implantate bereits in der Entwicklungsphase besser auf Belastbarkeit testen können. 

Und wir dürfen uns in Zukunft über eine bessere Datenlage bei der Abschätzung der mechanischen Grenzen unserer Implantate freuen. Denn jedes frakturierte Implantat ist natürlich eines zuviel.

Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, MME

Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Funktionslehre und Alterszahnmedizin,
Centrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde,
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

Literaturliste 

1. Buser D, Janner S, Wittneben J, Brägger U, Ramseier C, Salvi G. 10-year survival and success rates of 511 titanium implants with a sandblasted and acid-etched surface: a retrospective study in 303 partially edentulous patients. Clin Implant Dent Relat Res. 2012 Dec,14(6): 839-851.

2. Lee Q, Kim N, Lee Y, Oh Y, Lee J, You H. Implant fracture failure rate and potential associated risk indicators: An up to 12-year retrospective study of implants in 5.124 patients. Clin Oral Implants Res. 2019 Mar; 30(3): 206-217.

3. Yu A, Zhu Y, Wang X, Qiu L. [Analysis of risk factors of 19 fractured implants] Zhonghua Kou Qiang Yi Za Zhi. 2018 Dec 9; 53(12): 815-820

4. Angermair J, Wiest W, Rack A, Zabler A, Fretwurst T, Nelson K. Synchrotorn-based Radiography of Conical-vs. Butt-joint Implant Abutment Connections. J Oral Implantol 2020 Jan 27. doi:10.1563/aaid-joi-D-19-003651.

5. Zhang F, Meyer zur Heide C, Chavalier J, Vleugels J, van Meerbeek B, Wesemann C, Camargo Dos Santos B, Sergo V, Kohal R, Adolfsson E, Herklotz I, Spies B. Reliability of an injection-moulded two-piece zirconia implant with PEKK abutment after long-term thermo-mechanical loading. J Mech Behav Biomed Mater. 2020 Oct; 110: 103967. doi: 10.1016/j.jmbbm.2020.103967.

6. Osman R, Ma S, Duncan W, De Silva R, Siddiqi A, Swain M. Fractured zirconia implants and related implant designs: scanning electron microscopy analysis. Clin Oral Implants Res. 2013 May; 24(5): 592-597.

Univ.-Prof. Florian Beuer

Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Funktionslehre und Alterszahnmedizin, Centrum für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde, Charité –
Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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