Profitieren Sie vom halben Steuersatz
Auch nach dem Verkauf einer Praxis ist es möglich, weiterhin zahnärztlich tätig zu sein, ohne seine steuerlichen Begünstigungen zu gefährden. Allerdings müssen hier spezielle Voraussetzungen beachtet werden, damit es später im Rahmen einer Überprüfung vom Finanzamt nicht zu einem bösen Erwachen kommt. Am unproblematischsten ist die Anstellung in einer Praxis gegen ein festes Gehalt. Hier gibt es weder zeitliche, örtliche noch Umsatzgrenzen. In allen anderen Fällen ist eine enge Abstimmung mit dem Steuerberater dringend zu empfehlen.
Eins vorab: Grundsätzlich muss der Abgeber zur Inanspruchnahme des „halben Steuersatzes“ folgende Voraussetzungen erfüllen:
Der Abgeber ist älter als 55 Jahre oder dauernd berufsunfähig und
stellt seine selbstständige Tätigkeit vollständig für
eine gewisse Zeit
im örtlichen Wirkungskreis ein.
Die Altersgrenze ist in der Praxis eher unproblematisch. Das Vorliegen einer dauernden Berufsunfähigkeit muss allerdings unbedingt vor dem Praxisverkauf, am besten vom Amtsarzt, bescheinigt sein – nicht erst nachträglich.
Die vollständige Einstellung der Tätigkeit im örtlichen Wirkungskreis stellt den Abgeber allerdings in der Praxis immer wieder vor Herausforderungen und ist mit großen Unsicherheiten verbunden. Die vollständige Einstellung der selbstständigen Tätigkeit bedeutet zunächst, dass der Zahnarzt auch tatsächlich seine bisherige selbstständige Tätigkeit insgesamt beenden muss. Dazu gleich mehr.
Eine genauere Definition der „gewissen Zeit“ ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Mehr als drei Jahre sollten nach unserem Verständnis ausreichen, weniger als ein Jahr wird in der Regel nicht ausreichen. Eine starre Drei-Jahres-Grenze, innerhalb der eine Wiederaufnahme der zahnärztlichen Betätigung unschädlich ist, hat der Bundesfinanzhof als höchstes deutsches Steuergericht jedoch ausdrücklich abgelehnt, so dass die vorgenannten drei Jahre nur als Orientierung dienen sollten. Generell gilt: Je länger der Zahnarzt nach der Abgabe nicht mehr freiberuflich tätig ist, desto sicherer ist die Anerkennung der steuerlichen Begünstigungen.
Auch der örtliche Wirkungskreis ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Hier ist nach unserer Einschätzung maßgeblich, wie groß der Einzugsbereich der betreffenden Praxis ist. Kommt ein Großteil der Patienten nur aus dem Gemeinde- oder Kreisgebiet, dann ist der örtliche Wirkungskreis entsprechend enger zu fassen als bei einer überregional bekannten zahnärztlichen (Groß-)Praxis. Wenn ein Zahnarzt beispielsweise in München seine Praxis veräußert und in Berlin eine neue Praxis aufmacht, so ist das sicherlich unschädlich, denn kaum einer seiner bisherigen Patienten würde ihm bei dem Umzug in seine neue Berliner Praxis folgen.
Doch welchen Tätigkeiten darf ein Zahnarzt nach der Veräußerung seiner Praxis konkret nachgehen?
Die Anstellung
Die Einschränkungen hinsichtlich des örtlichen Wirkungskreises und der „gewissen Zeit“ gelten nur für die freiberufliche Tätigkeit, wie sie auch zuvor ausgeübt wurde. Andere freiberufliche Tätigkeiten, zum Beispiel eine Referententätigkeit, sind unschädlich. Da es aber eben nur um freiberufliche Tätigkeiten geht, sind sämtliche Anstellungsverhältnisse steuerlich vollkommen unbedenklich. Das bedeutet, ein Praxisabgeber darf direkt, bereits einen Tag nach seinem Praxisverkauf – sogar in der gleichen Praxis – als Angestellter tätig sein. Hier gibt es keinerlei zeitliche Beschränkungen, er darf also auch in Vollzeit tätig sein. Es gibt zudem keine definierte maximale Gehaltshöhe. Hierdurch eröffnet sich dem Abgeber die Möglichkeit, auch nach dem Verkauf in seiner Praxis risikofrei weiterzuarbeiten, ohne seine steuerlichen Begünstigungen zu gefährden.
Oftmals ist die Anstellung des Abgebers vom Übernehmer sogar ausdrücklich erwünscht, um eine bessere Überleitung der Patienten auf den neuen Praxisinhaber sicherzustellen. Sollte sich der Abgeber nach der Anstellungsphase jedoch wieder im örtlichen Wirkungskreis in eigener Praxis niederlassen, sollten noch einmal mehr als die drei Jahre zwischen Verkauf und Neu-Niederlassung liegen. Denn wegen des fortdauernden Patientenkontakts geht der Bundesfinanzhof von einer länger anhaltenden „Festigung“ der persönlichen Patientenbeziehungen aus, deren Lösung vom Praxisverkäufer mehr Zeit in Anspruch nimmt.
Bei der Vereinbarung erfolgsabhängiger Gehaltsbestandteile (wie Bonuszahlungen, umsatz- oder gewinnabhängige Vergütungen) sollte man mit Augenmaß agieren. Die Vereinbarung sollte nicht den Eindruck erwecken, dass der veräußernde Zahnarzt als Angestellter weiterhin sein Unternehmerrisiko fortsetzt. Der Anstellungsvertrag sollte daher vom Steuerberater auf etwaige Problemfelder hin überprüft werden.
„Geringe“ freiberufliche Tätigkeit
Tatsächlich darf der Abgeber auch weiter freiberuflich „wenige“ Patienten betreuen. Die Finanzverwaltung gesteht ihm zu, bis zu zehn Prozent seiner bisherigen Umsätze auch nach der Abgabe weiterhin freiberuflich zu erzielen. Bis vor Kurzem galt diese Umsatzgrenze nur für Bestandspatienten. Schon ein einziger neuer Patient, der die freiberufliche Praxis betrat, führte in der Vergangenheit zu einer Versagung des Steuervorteils. Diese Auffassung wurde mit einem Urteil des Bundesfinanzhofs aus 2020 allerdings gekippt. Jetzt wird die Grenze von zehn Prozent auch akzeptiert, wenn darin Umsätze von Neupatienten enthalten sind. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung mit einer Verwaltungsverfügung angeschlossen.
Dennoch ist in der Praxis von dieser Lösung abzuraten, denn die Umsatzgrenze ist häufig schwer zu kontrollieren und einzuhalten. Zudem wird ein Praxisübernehmer in der Regel nicht akzeptieren, dass der Abgeber in unmittelbarer Nähe noch Patienten behandelt, weil er ja auch den Patientenstamm, also den Goodwill, erworben hat. Eine Konkurrenzschutzklausel schließt die Weiterbehandlung im örtlichen Wirkungskreis regelmäßig im Kaufvertrag aus.
Man muss damit rechnen, dass die Finanzverwaltung die weitere freiberufliche Tätigkeit sehr genau prüfen wird, weil man den Gewinn im Rahmen der Einkommensteuererklärung angeben muss und das Finanzamt dann einen internen Kontrollhinweis bekommt, dass zuvor die Steuerbegünstigung in Anspruch genommen wurde.
Gründung einer GmbH
Wird der abgebende Zahnarzt im Anschluss an seine freiberufliche Tätigkeit als GmbH-Gesellschafter(-Geschäftsführer) oder als Angestellter seiner eigenen GmbH zahnärztlich tätig, so kann er dies machen, ohne seine steuerlichen Begünstigungen zu riskieren. Diese Tätigkeiten gelten nicht als freiberufliche Tätigkeiten.
Urlaubsvertretungen
Urlaubsvertretungen, zum Beispiel beim Nachfolger, finden regelmäßig auf freiberuflicher Basis statt. Davon war bis zur vorgenannten Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus steuerlichen Gründen abzuraten. Der Beschluss aus 2020 ermöglicht jetzt diese Tätigkeit, doch sollte dies mit Verweis auf die „geringe“ freiberufliche Tätigkeit zuvor betragsmäßig mit dem Steuerberater abgestimmt werden, damit man nicht Gefahr läuft, seine Steuerbegünstigung zu gefährden. Ergänzend sei gesagt, dass die Sozialgerichte selbst bei einer Urlaubsvertretung mittlerweile tendenziell von Angestelltenverhältnissen ausgehen, was die gesamte Problematik wieder egalisiert.
Gutachtertätigkeit
Ob eine selbstständig ausgeübte Gutachtertätigkeit als steuerschädliche Fortsetzung der früheren Berufstätigkeit anzusehen ist, hängt davon ab, ob diese Arbeit bereits vor dem Verkauf der Praxis ausgeübt oder erst später aufgenommen wurde. Die erstmalige Neuaufnahme einer Gutachtertätigkeit nach der Veräußerung ist unschädlich. Die Fortsetzung einer bereits vor dem Verkauf ausgeübten Gutachtertätigkeit kann hingegen – außerhalb der Zehn-Prozent-Grenze – den „halben Steuersatz“ gefährden. Hier kommt es unter Umständen darauf an, ob diese Einkünfte gemeinsam mit der zahnärztlichen Tätigkeit oder getrennt davon erzielt und erklärt wurden.
Grenzbereiche
Immer wieder erleben wir in unserer Beratungspraxis, dass Abgeber von Praxen Gestaltungen „im Grenzbereich“ wählen, also zum Beispiel selbstständige Tätigkeiten doch möglichst zeitnah nach dem Praxisverkauf und in der örtlichen Umgebung. Wichtig ist hierbei: Man sollte immer das eingegangene Risiko im Auge haben. Bei einem Verkaufspreis von 500.000 Euro beträgt die Steuerbegünstigung schnell rund 100.000 Euro. Wenn man diese Begünstigung riskiert, dann müsste man etwa 200.000 Euro Gewinn erzielen, um allein den Steuervorteil zurückzubezahlen. Dieser Gedanke sollte einen immer leiten, wenn man die Grenzen der Rechtsprechung weiter ausreizen möchte.