Die klinisch-ethische Falldiskussion

Ist 3G beim Zahnarzt ethisch vertretbar?

Ralf Vollmuth
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André Müllerschön
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Dominik Groß
Zahnärzte und Ärzte dürfen die Behandlung ihrer Patienten weder vom Impfstatus noch von einem negativen Test abhängig machen: Aktuell ist 3G in der Praxis nicht erlaubt – darauf hatte Ende Oktober auch das Bundesgesundheitsministerium hingewiesen. Doch ist dieses Verbot angesichts der Wucht der vierten Welle weiterhin ethisch haltbar?

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) hatten ihre Rechtsauffassung gemäß der Sicht des BMG veröffentlicht, wonach wegen der Corona-Pandemie in zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen die Anwendung von 3G – also die Durchführung einer Behandlung ausschließlich für geimpfte, genesene oder getestete Patienten – unzulässig ist. Der Impfstatus oder die Vorlage eines aktuellen Corona-Tests können nicht zur Bedingung für die Behandlung gemacht werden [zm 22/2021, S. 2146].

Begründet wird dies mit Bezug auf die Berufsordnung und die darin postulierten und für die Mitglieder der Zahnärzteschaft verpflichtenden Ziele, die unter allen Umständen zunächst auf das Wohl der einzelnen Patienten, schließlich aber auch der Allgemeinheit ausgerichtet sind.

Eine Ablehnung der Behandlung kann gemäß § 2 „Berufspflichten“ der Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer (Stand: 16. November 2019) seitens des Zahnarztes nur dann erfolgen, wenn

a) eine Behandlung nicht gewissenhaft und sachgerecht durchgeführt oder

b) die Behandlung ihm nach pflichtgemäßer Interessenabwägung nicht zugemutet werden kann oder

c) er der Überzeugung ist, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten nicht besteht.“

Die Verpflichtung zur Hilfeleistung in Notfällen bleibt jedoch auch in diesen möglichen Konstellationen unberührt.

In der Rechtsauffassung wird zusammenfassend festgestellt, dass es keine gesetzliche Grundlage gebe, nach der ein bestimmter Impf- oder Teststatus für eine Behandlung vorausgesetzt werden darf. Ferner müsse auch der Patient die Frage nach Impfung oder Test nicht beantworten und es wird konstatiert, ein Zahnarzt dürfe gemäß der Berufsordnung „keinen Patienten ablehnen, weil der möglicherweise unter einer Infektionskrankheit leidet oder zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – Ungeimpfte oder nicht Getestete – gehört“.

Schildern Sie Ihr Dilemma!

Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf.

Kontakt:

Prof. Dr. Ralf Vollmuth, 

vollmuth@ak-ethik.de

Aus diesem rechtlichen Standpunkt ergeben sich indessen auch ethische Fragen oder Dilemmasituationen, die teils jenseits der berufsrechtlichen Vorgaben anzusiedeln sind, teils in diese hineingreifen beziehungsweise damit verschränkt sind. Abweichend vom üblichen Format möchten wir diese Fragen nicht in ein didaktisch konstruiertes Fallsetting einbauen, sondern direkt aus der dargelegten Rechtsposition ableiten.

So sind die zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Arbeitgeber etwa auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verpflichtet und müssen deren Wohlergehen und Gesundheit ebenfalls fest im Blick behalten. Aber reicht dies aus, um unter „pflichtgemäßer Interessenabwägung“ vom Patienten zumindest einen Coronatest und damit Klarheit über den Infektionsstatus einzufordern? Was bedeutet es für das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patienten, wenn diese nicht bereit sind, in der Zahnarztpraxis und damit im geschützten Raum der ärztlichen Schweigepflicht eine möglicherweise bestehende und auch für das behandelnde Personal gesundheitsgefährdende Corona-Infektion anzusprechen? Und wäre es aus ethischer Sicht nicht möglich oder (gerade im Hinblick auf das Wohl des Behandlungsteams) gar geboten, die nicht getesteten und damit möglicherweise mit einem höheren Risiko für alle Beteiligten behafteten Patienten zumindest vor elektiven und nicht zeitkritischen Behandlungen einem Test zu unterziehen? 

Die Prinzipienethik

Ethische Dilemmata, also Situationen, in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkurrierenden, nicht miteinander zu vereinbarenden Handlungsoptionen zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen sich mit den Instrumenten der Medizinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik-Konzeptionen (wie die Tugendethik, die Pflichtenethik, der Konsequentialismus oder die Fürsorge-Ethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben.

Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzipienethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die unabhängig von weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen als allgemein gültige ethisch-moralische Eckpunkte angesehen werden können, bewertet und gegeneinander abgewogen.

Drei dieser Prinzipien – die Patientenautonomie, das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) und das Wohltunsgebot (Benefizienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Gerechtigkeit weiter greift und sich auch auf andere betroffene Personen oder Personengruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht.

Für ethische Dilemmata gibt es in den meisten Fällen keine allgemein verbindliche Lösung, sondern vielfach können differierende Bewertungen und Handlungen resultieren. Die Prinzipienethik ermöglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamtbeurteilungen und Entscheidungen. Deshalb werden bei klinisch-ethischen Falldiskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommentatoren zu Wort kommen.

Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth

Kommentar 1

Die Patientenautonomie endet, wenn andere gefährdet werden

Zunächst ist es zielführend, die derzeit gültigen formalen Grundlagen bei der Behandlung von Patienten darzustellen. Neben dem Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde kommt dabei der Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer vom 16. November 2019 mit den daraus abgeleiteten Berufsordnungen eine besondere Rolle zu. Zahnärzte und Zahnärztinnen dürfen es nicht zulassen, dass „Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktor“ bei der Versorgung ihrer Patienten eine Rolle spielen. Im Einklang mit der Musterberufsordnung haben sie aber das Recht, wie auch in der Vignette bereits dargestellt, die zahnärztliche Behandlung unter anderem abzulehnen, wenn diese ihnen nach pflichtgemäßer Interessenabwägung nicht zugemutet werden kann oder sie der Überzeugung sind, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und dem Patienten nicht besteht.

Gerade in der derzeitigen Pandemie fällt der Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus eine besondere Bedeutung zu. Laut dem „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ müssen die Betreiber von Zahnarztpraxen sicherstellen, dass „die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weitergabe von Krankheitserregern [...] zu vermeiden“. Zusätzlich finden sich in dem Regelwerk besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, insbesondere die Testpflicht für Arbeitgeber, Beschäftigte und Besucher in Einrichtungen und Unternehmen – „behandelte“ Person gelten dabei ausdrücklich nicht als Besucher.

Der juristische Rahmen scheint damit eindeutig, gleichwohl bleiben damit einhergehende mögliche ethische Dilemmasituationen zunächst ungelöst.

Die Einforderung eines Tests gegen den Willen von Patienten verstößt zunächst gegen deren Recht auf Selbstbestimmung. Ärztliche Therapien sowie diagnostische Maßnahmen ohne Einverständnis der Betroffenen stellen Eingriffe in die Patientenautonomie dar und sind grundsätzlich abzulehnen. Im Fall einer verpflichtenden Testung mittels Nasenabstrich wird zusätzlich prinzipiell das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) gegenüber dem zu Testenden berührt, das jedoch aufgrund der kaum vorhandenen körperlichen Auswirkungen einer derartigen Untersuchung zu vernachlässigen ist. Das Wohltunsgebot (Benefizienz) indessen wird bei dem Patienten auf jeden Fall berührt, da er den Abstrich in der Regel als unangenehm und möglicherweise auch als psychologisch übergriffig empfindet.

Allerdings muss bei der Gewichtung dieser Prinzipien noch ein weiterer Aspekt, die Gerechtigkeit, mitbetrachtet werden. Praxisinhaber und Praxisinhaberinnen dürfen alle anderen sich in den Räumen der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung aufhaltenden Patienten keinen unnötigen Gefahren oder Schädigungen aussetzen. Hilfesuchende Menschen müssen darauf vertrauen und sich darauf verlassen können, dass ihre Gesundheit während medizinischer Behandlungen nicht zusätzlich beeinträchtigt wird. Auch wenn das konsequente Tragen von Masken und die Einhaltung des notwendigen Abstands ein Infektionsrisiko nachweislich reduzieren, kann es nicht ausgeschlossen werden. Ein im zeitlichen Zusammenhang durchgeführter Schnelltest bei allen nichtgeimpften Patienten oder die Vorlage eines aktuellen Testergebnisses erhöhen die Sicherheit aller Patienten somit deutlich. Betrachtet man die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen einer Coronainfektion für die Betroffenen oder die sich daraus ergebenden Isolationsmaßnahmen für deren Angehörige sowie nicht unmittelbar Beteiligte (wodurch das Gerechtigkeitsgebot ebenfalls berührt wird), erscheint die Einforderung eines Tests oder der Nachweis eines negativen Ergebnisses nicht unzumutbar.

Auch wenn diese nicht zu den vier ethischen Grundprinzipien nach Beauchamp und Childress zählt, sei an dieser Stelle noch die Fürsorgepflicht erwähnt. Arbeitgeber (und damit auch die Betreiber von Zahnarztpraxen) müssen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, ihre Mitarbeiter – im vorliegenden Fall das Behandlungsteam – vor allen vermeidbaren beruflichen Gefährdungen zu schützen.

In einer notwendigen Abwägung der einzelnen Prinzipien wiegt die Gerechtigkeit gegenüber den Patienten und Mitarbeitern deutlich mehr als der Eingriff in die Patientenautonomie durch einen „erzwungenen“ Test, die Benefizienz und das Nichtschadensprinzip werden kaum beziehungsweise gar nicht berührt. Auch wenn die Patientenautonomie zu den höchsten Gütern gehört, findet sie ihre Grenzen, wenn andere Menschen durch das Beharren auf der eigenen Position gefährdet werden. Aus meiner Sicht ist damit aus ethischen Überlegungen die Grundlage gegeben und es erscheint sogar geboten, einen Coronatest von den Patienten einzufordern. Bei Bedarf kann dieser unmittelbar in den Praxisräumen durchgeführt werden.

Sollten Patienten nicht bereit sein, eine aktuelle Infektionsfreiheit im Hinblick auf das Coronavirus gegenüber dem Praxisteam und damit in einem durch die ärztliche Schweigepflicht zugesicherten geschützten Raum nachzuweisen, ist die Basis für ein Vertrauensverhältnis als wichtige Grundlage für alle medizinischen Behandlungsmaßnahmen nicht gegeben. Auch ist in einem derart gelagerten Fall abzuwägen, ob einem Zahnarzt die Behandlung dann überhaupt zugemutet werden kann.

Wie der Patient seinem Behandlungsteam gegenüber darauf vertrauen muss, im Rahmen von Therapiemaßnahmen nicht zusätzlich geschädigt zu werden, so müssen sich im Gegenzug alle Mitglieder des Behandlungsteams sicher sein, dass ihnen bei der Durchführung von medizinischen Hilfeleistungen vonseiten des Patienten keine Gesundheitsgefährdung droht. Somit sind sowohl Hilfesuchende als auch das zahnmedizinische Personal in einer gewissen Bringschuld, um ein vertrauensvolles Miteinander zu gewährleisten. Wenn Patienten dazu nicht bereit sind, wäre die Ablehnung aller elektiven zahnärztlichen Therapien mit Verweis auf die bereits erwähnte Musterberufsordnung ein konsequenter Schritt. Sollte es sich um einen Schmerzpatienten handeln, ist die Verweigerung einer Notbehandlung selbstredend nicht zulässig. Diese müsste dann unter Vollschutz erfolgen, da eine mögliche Infektion nicht sicher ausgeschlossen werden kann.

Kommentar 2

Eine Zahnärztin ist nicht nur einem einzelnen Patienten verpflichtet

Wir alle haben in den vergangenen Monaten festgestellt, dass sich der Verlauf der Pandemie maßgeblich auf die öffentliche Meinung zu den G-Regeln und den Umgang mit Ungeimpften auswirkt: Waren etwa im Sommer 2021 nur wenige Bundesbürger der Ansicht, dass eine allgemeine Impfpflicht geboten sei, so zeigt sich mittlerweile – unter dem Eindruck fulminant wachsender Infektionszahlen – eine deutliche Meinungsumkehr. Die Mehrheit der Deutschen spricht nun einer verpflichtenden Impfung das Wort, und auch einige ursprünglich skeptische Experten und Ethiker rücken von ihren liberalen Überzeugungen ab.

Wie erklärt sich dieses Phänomen? Der wesentliche Grund ist darin zu sehen, dass bei Ungeimpften eine sogenannte Konkordanz von Selbst- und Fremdgefährdung besteht: Wer die Impfung gegen COVID-19 ablehnt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern eben auch andere. Das unterscheidet ihn beispielsweise von einem Hochrisiko-Sportler, der zwar sich selbst, nicht aber Dritte in Gefahr bringt, und dem man deshalb ein (vermeintlich) unvernünftiges Verhalten zubilligt.

Solange die Pandemielage „beherrschbar“ schien, schien das Risiko der Fremdgefährdung begrenzt – dementsprechend hielten es viele Bürger für angemessen, Impfskeptikern in dieser Frage ein Freiheitsrecht zuzugestehen. Getreu dem Motto: Eine Impfung ist immerhin ein Eingriff in die körperliche Integrität und daher ist es dem Individuum zu überlassen, ob es einer solchen Intervention zustimmt oder nicht. Je stärker jedoch die Fremdgefährdung wurde, desto angreifbarer und schwächer wurde dieses Argument.

Tatsächlich wuchs in den vergangenen Wochen die Überzeugung, dass die Ungeimpften die „Treiber“ der Pandemie seien und so die Infektion und Erkrankung vieler geimpfter (vulnerabler) Mitbürger verschulden – und damit letztlich die wachsende Zahl der Intensivpatienten und der „Corona-Toten“. Entsprechend wird ihnen auch eine Mitverantwortung für eine Reihe von „Kollateralschäden“ der Pandemie zugeschrieben: OP-Termine werden wegen Überfüllung der Krankenhäuser abgesagt, kranke Mitbürger trauen sich aufgrund der Infektionsgefahr nicht mehr in Kliniken und Praxen und werden so gegebenenfalls unzureichend medizinisch versorgt, weite Teile der Wirtschaft nehmen Schaden, Selbstständige können aufgrund von Verdienstausfällen ihre PKV-Beiträge nicht mehr aufbringen, die Freiheitsrechte der Geimpften werden durch erneute Restriktionen eingeschränkt. Kurz und gut: Die durch Ungeimpfte verursachte Bedrohung – die besagte Fremdgefährdung – dominiert aktuell die öffentliche Wahrnehmung und relativiert so das Argument der individuellen Selbstbestimmung. Der Schutz dritter Personen erscheint nun vielen als das höhere, schutzwürdigere Gut und das Verhalten eines Impfgegners oder Ungeimpften wird zuvorderst als unsolidarisch beziehungsweise unsozial erlebt.

Was bedeutet dies nun für die oben aufgeworfene Fragestellung? Die Auffassung, dass der Impfstatus beziehungsweise die Vorlage eines aktuellen Corona-Tests nicht zur Bedingung für eine Behandlung gemacht werden können, sollte im Licht der aktuellen Gefährdungslage nochmals überprüft werden. Es ist das „Wesen“ von Pandemiesituationen, dass Entscheidungen fortgesetzt angepasst werden müssen – ohne dass die bislang beschlossenen Festlegungen deshalb als Fehlentscheidungen zu qualifizieren wären.

Grundsätzlich wird im medizinischen Alltag sehr klar zwischen Notfällen und elektiven Eingriffen unterschieden. Im Bereich der Notfallbehandlung muss stets eine unbedingte Hilfe erfolgen. Dies ist auch geübte Praxis: Wenn eine Person vigilanzgemindert aufgefunden wird oder unfallbedingt verletzt ist, wird sie behandelt werden – auch dann, wenn zuvor keine Patientenaufklärung erfolgen, kein förmliches Einverständnis gegeben werden kann und wenn weder der Versichertenstatus noch der COVID-19-Impfstatus noch das Vorliegen sonstiger (kontagiöser) Erkrankungen bekannt sind. Diese Pflicht zur Hilfeleistung gilt analog auch für Patienten, die mit starken Zahnschmerzen oder einer fulminant verlaufenden Abszedierung eine Zahnarztpraxis aufsuchen. Niemand wird eine Hilfe im zahnärztlichen Notfall an Vorbedingungen knüpfen. Kategorial anders sieht es im Bereich der elektiven Behandlung aus. Wenn ein Patient für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt einen Behandlungs-, Kontroll- oder Prophylaxetermin ausmacht, unterliegt er anderen Rahmenbedingungen: Er wird erst behandelt werden, wenn er nach Aufklärung in die vorgesehenen Maßnahmen explizit einwilligt (Informed consent). Ebenso selbstverständlich ist in diesem Setting, dass er einen Versichertennachweis erbringt. Und angesichts der derzeitigen Gefährdungslage erscheint es ebenso ethisch vertretbar, den Impfstatus abzufragen und im Bedarfsfall die Vorlage eines negativen Corona-Tests zu verlangen.

Die Gründe hierfür wurden in der Fallskizze bereits angedeutet: Eine Zahnärztin ist nicht nur einem einzelnen Patienten verpflichtet, sondern allen, die sich ihr fachlich anvertrauen – sie befindet sich ihnen gegenüber in einer „Garantenstellung“. Das heißt, sie wird durch den bestehenden Behandlungsvertrag verpflichtet, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Schaden von jedem ihrer Patienten abzuhalten. Bereits das Wartezimmer birgt Ansteckungsgefahren – umso mehr, wenn nur eine begrenzte Luftzirkulation gewährleistet werden kann. Dies gilt insbesondere für betagte und vulnerable Patienten. Zudem trägt sie als Arbeitgeberin Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter.

Aufgrund der von Ungeimpften ausgehenden Fremdgefährdung sollte es ihr daher zugestanden werden, planbare Routinebehandlungen von der Einhaltung der oben angesprochenen 3G-Regelung (oder auf Länderebene erlassenen anderen Corona-Regelungen) abhängig zu machen. Diese Haltung ist hierbei nicht als Missachtung des Individualrechts auf Selbstbestimmung zu werten. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines ethischen Abwägungsprozesses, bei dem sie das gesundheitliche Wohlergehen der ihr anvertrauten Personen höher gewichtet als das individuelle Freiheitsrecht. Diese Abwägung wird dabei umso eindeutiger ausfallen, je höher die allgemeine COVID-19-Gefährdungslage (Inzidenz, Hospitalisierungsrate) ist.

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Prof. Dr. Ralf Vollmuth

Zentrum für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der BundeswehrZeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam
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Dr. Dr. André Müllerschön

Sanitätsversorgungszentrum NeubibergWerner-Heisenberg-Weg 3985579 Neubiberg
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Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß

Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Vorsitzender des Klinischen
Ethik-Komitees des UK Aachen
Universitätsklinikum der
RWTH Aachen University
MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen

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