Der besondere Fall mit CME

Die Nasopalatinuszyste — eine entzündliche Entität?

Heftarchiv Zahnmedizin
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Peer W. Kämmerer
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Keyvan Sagheb
Ein 60-jähriger Patient stellte sich zur Folgetherapie in der Poliklinik der MKG in Mainz vor. Zwei Wochen zuvor hatte er bereits seinen Hauszahnarzt mit „brennenden Schmerzen“ am anterioren Gaumen aufgesucht und wurde dort anti­biotisch abgeschirmt. Die Ursache zeigte sich schnell in der dreidimensionalen Bildgebung.

In der angefertigten Digitalen Volumentomografie konnte eine im Durchmesser circa 8 mm große Erweiterung des Canalis incisivus gemessen werden (Abbildung 1). Bei typischem Erscheinungsbild einer infizierten naso­palatinalen Zyste wurde die Indikation zur Entfernung derselben gestellt. Präoperativ über Rezidiv und Gefühlsstörung des anterioren Gaumens aufgeklärt, willigte der Patient in die Operation in Lokalanästhesie ein.

Nach hoher Leitungsanästhesie am Nervus incisivus und zirkulärer palatinaler Infiltration wurde die derbe Gaumenschleimhaut über einen marginalen Schnitt von Eckzahn zu Eckzahn gelöst und die knöcherne Unterbrechung des Gaumens dargestellt (Abbildungen 2 und 3). Da der Nervus incisivus vollständig vom Zystenbalg umgeben war und sich nicht freipräparieren ließ (Neurolyse), wurde der Nerv am Übergang der Zyste zum normgeformten Kanal scharf abgetrennt (Abbildung 4).

Während der Präparation entwich gelblich-klare Flüssigkeit aus dem Zystenbalg. Der knöcherne Defekt wurde anschließend mit einem Kollagenvlies mit Gentamicinzusatz (Genta-Coll® resorb, RESORBA, Nürnberg) in i-PRF (injectible platelet rich fibrine) aufgefüllt und im Sinne der Guided bone regeneration mit einer langsam resorbierbaren Membran und A-PRF (advanced platelet rich fibrine) abgedeckt (Abbildungen 5 und 6). Die Lappenreposition und -stabilisierung erfolgte über monofile Nähte mit Prolene® 5-0. Zur postoperativen Schonung wurde der Gaumen mit einer prä­operativ angefertigten Verbandsplatte versorgt (Abbildungen 7 und 8).

Der histopathologische Befund ergab eine zystische Formation mit platten­epithelialer Auskleidung, Anteilen von Nervenfasern als Korrelat zu Residuen des Nervus incisivus und eine chronisch-entzündliche Überlagerung, die mit den stattgehabten Beschwerden übereinstimmen konnte (Abbildung 9). Nach sieben Tagen erfolgte die Nahtentfernung, der Patient berichtete von einem dumpfen Gefühl im anterioren Gaumen. In der Sechs-Monats-Kontrolle war die Sensibilität des Gaumens wieder normal.

Diskussion

Nasopalatinale Zysten gehören zum Formenkreis der entwicklungsbedingten nicht-odontogenen Kieferzysten. Während bislang die globulomaxilläre Zyste als eigenständige Entität angezweifelt wurde, ist nun auch die nasolabiale Zyste aus der aktuellen Klassifikation der World Health Organisation 2022 entfernt worden. Zu den nicht-odontogenen Kieferzysten zählt nun auch die am ehesten traumatisch bedingte „postoperative maxilläre Zyste“ („surgical ciliated cyst“) mit flimmerepithelialer Auskleidung [Soluk-Tekkesin et al., 2022].

Bereits 1914 wurde die nasopalatinale Zyste erstmalig durch Meyer et al. erwähnt — damals aufgrund eingeschränkter radiologischer Aufnahmequalität nicht als Zyste beschrieben, sondern als überzählig angelegte Nasennebenhöhle gewertet [Meyer, 1914]. Epidemiologische Analysen legen eine Häufigkeit von einem Prozent in der Bevölkerung zugrunde [Dedhia et al., 2013]. Von allen gutartigen periapikalen Läsionen des Kiefers nicht-endodontischen Ursprungs belegt die nasopalatinale Zyste nach der Keratozyste, der follikulären Zyste und dem Ameloblastom den vierten Platz mit einer Prävalenz zwischen 2,2 und 11,6 Prozent, eine Geschlechterdisposition gibt es nicht [Modi et al., 2022; Swanson et al., 1991]. Als Ursprung werden rudimentäre Epithelnester des embryonalen Ductus nasopalatinus vermutet, der als epitheliale Fistel im fetalen Alter paarig im Canalis incisivus ausgebildet wird, aber sich vor der Geburt spontan verschließt [von Arx und Bornstein, 2009]. Auslösende Faktoren scheinen mechanischer, traumatischer oder infektiologischer Natur zu sein, dies ist aber nicht abschließend geklärt [Mesquita et al., 2014].

Obwohl in jedem Alter nasopalatinale Zysten auftreten können, werden diese insbesondere in der fünften und der sechsten Lebensdekade diagnostiziert [Lang et al., 2021]. Um eine wachsende Zyste vom (noch) physiologischen Kanal abgrenzen zu können, hat sich in der Literatur die nahezu arbiträre 6-Millimeter-Grenze des Kanaldurchmessers durchgesetzt [Lang et al., 2021]. Zur Verifizierung wird die Röntgendiagnostik in zwei Ebenen (Zahnfilm + Aufbissaufnahme) oder ein Schnittbildverfahren empfohlen, um die Lage der transluzenten Läsion einwandfrei festzustellen und so Fehl­diagnosen wie apikale Parodontitiden mit konsekutiven Wurzelkanalbehandlungen der anterioren Inzisivi zu vermeiden [Faitaroni et al., 2011; Bains et al., 2016]. Der maximale Durchmesser dieser Zysten liegt in der Regel zwischen 10 und 15 Millimetern, Fälle mit einem Durchmesser von 30 Millimetern sind ebenfalls beschrieben [Suter et al., 2011; Suter et al., 2011a]. Häufig handelt es sich um Zufallsbefunde in der zahnärztlichen Routinediagnostik auf Panoramaschichtaufnahmen oder Zahnfilmen der Oberkieferfront [Sane et al., 2014].

Interessanterweise korrelieren klinische Symptome wie Schmerzen oder die palatinale Schwellung nicht mit der Größe der Läsion [Suter et al., 2011]. Allerdings werden mit zunehmendem Volumen der Zyste Nachbarstrukturen involviert (wie die Oberkieferschneide­zähne), die infolge der Zystektomie eventuell wurzelkanalbehandelt werden müssen. Perforationen des Nasenbodens treten nur bei großen Zysten auf. Parästhesien sind selten beschrieben und in der Regel temporärer Natur, da der Nervus incisivus ein hohes Regenerationspotenzial hat [Urban et al., 2015]. Therapie der Wahl bei Beschwerden und zunehmender Größe der Läsion ist die Zystektomie. Es gibt prinzipiell keine Evidenz, dass das Auffüllen des knöchernen Defekts notwendig ist [Buchbender et al., 2018; Ettl et al., 2012]. Allerdings hat insbesondere die Anwendung von PRF den Vorteil der schnellen weichgeweblichen Heilung und geringeren postoperativen Beschwerden [Miron et al., 2017;  Xiang et al., 2019].

Histologisch lässt sich ein epithelial ausgekleideter Hohlraum nachweisen, der selten respiratorisches Flimmerepithel zeigt, sondern wahlweise plattes, kubisches oder hochprismatisches mehrschichtiges Epithel ohne Oberflächendifferenzierung aufweist; das Lumen und die Zystenwand sind typischerweise nicht mit Cholesterinkristallen gefüllt, wie das bei radikulären Zysten der Fall ist [Swanson et al., 1991; Yamazaki et al., 2004]. Wegen des engen Nervbezugs lassen sich überdies Nervenfasern und deren nutritive Gefäße nachweisen [Barros et al., 2018]. In einer retrospektiven Analyse von 334 Fällen lag die Rezidivrate nasopalatinaler Zysten, die innerhalb der ersten sechs Monate auftraten, bei zwei Prozent [Swanson et al., 1991].

Fazit für die Praxis
  • Nasopalatinale Zysten sind seltene, meist asymptomatische Zufallsbefunde im Canalis incisivus.
  • Therapie der Wahl ist die Zystektomie.
  • Ein Größenprogress beinhaltet Risiken für die Pulpa der Oberkieferfrontzähne.
  • Sensibilitätsstörungen durch die Zyste sind selten und therapiebedingt meist temporär.

 

 

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