Aus der Wissenschaft

Inzidenz benigner HPV-assoziierter Läsionen in der Mundhöhle

Heftarchiv Zahnmedizin
Peer W. Kämmerer
In welchem Umfang humane Papillomaviren (HPV) maligne Tumoren im Oralraum auslösen, ist nach wie vor ungeklärt. Als gesichert gilt, dass sie das Risiko für Mundhöhlenkarzinome im Unterschied zum Oropharynxkarzinom nur gering erhöhen – Schätzungen gehen von einer Prävalenz von unter fünf Prozent aus. Weit häufiger treten HPV-induzierte gutartige orale Läsionen auf. Ein US-Team hat Daten aus 20 Jahren ausgewertet.

Die HPV sind eine aus mehr als 100 verschiedenen Subtypen bestehende Gruppe von unbehüllten, doppelsträngigen DNA-Viren. Die geschätzte Prävalenz der oralen HPV-Infektionen in den USA liegt für Erwachsene bis 69 Jahren bei 7,3 Prozent, davon sind 3,1 Prozent Hochrisiko-HPV-Infektionen. Obwohl HPV in erster Linie sexuell übertragen werden, kann die virale Übertragung auch durch direkten Kontakt (zum Beispiel durch Autoinokulation, kontaminierte Objekte oder von der Mutter zum Kind während der Geburt) auftreten. Die meisten oralen HPV-Infektionen sind latent oder subklinisch und spontan selbstlimitierend mit einer spontanen Rückbildung nach ein bis zwei Jahren.

Mit dem HPV in Zusammenhang stehende gutartige Neoplasien der Mundhöhle sind mit einer Gesamtinzidenz von circa drei Prozent in der Allgemeinbevölkerung häufige Läsionen. Dazu werden vor allem Warzen (Condylomata acuminata, Verruca vulgaris), aber auch insbesondere Plattenepithelpapillome und multifokale epitheliale Hyperplasien gezählt.

Condylomata acuminata – Feigwarzen – sind im Mundbereich ungewöhnlich und betreffen vor allem Patienten in der vierten und in der fünften Lebensdekade. Klinisch liegt normalerweise eine der Schleimhaut aufsitzende, Mukosa-farbene Läsion mit abgestumpft erscheinender Oberfläche vor. Feigwarzen können sowohl einzeln als auch multifokal auftreten, wobei ein multiples Vorkommen vor allem bei HIV-positiven Patienten beziehungsweise bei Patienten unter antiretroviraler Therapie beobachtet wurde.

Die orale Verruca vulgaris ist ansteckend und kann per Autoinokulation auch andere Stellen im Körper erreichen beziehungsweise von diesen herrühren. Klinisch liegen überwiegend einzelne, exophytisch-weißliche, papilläre Entitäten vor, die im Mund vor allem die labiale Mukosa, den Gaumen und die Zunge betreffen.

Das Plattenepithelpapillom ist die häufigste HPV-assoziierte orale Läsion – hier meist am Weichgaumen und an der Zunge lokalisiert –, wobei vor allem Männer mit einer breiten Altersverteilung betroffen sind. Klinisch stellt es sich vor allem als exophytisch und verdrängend wachsende Läsion von weniger als einem halben Zentimeter Durchmesser mit maulbeerartiger Oberfläche dar.

Die Therapie der HPV-assoziierten oralen Läsionen besteht vor allem aus der chirurgischen Exzision, wobei Rezidive meist auf eine inkomplette Entfernung, eine persistierende virale Infektion und einen immunkompromittierten Status zurückzuführen sind.

Material und Methode

Die Autorengruppe um Alramadhan machte es sich zur Aufgabe, die Häufigkeit und die Frequenz benigner oraler HPV-assoziierter Läsionen retrospektiv über einen Zeitraum von 20 Jahren an einem Kollektiv von 1.458 Fällen zu analysieren. Die Wissenschaftler nutzten dafür Archivdaten des Oral Pathology Biopsy Service der Universität Florida von 1995 bis 2015. Dabei wurden Daten aus einem Kalenderjahr pro Fünfjahresspanne ausgewertet, mithin aus den Jahren 1995, 2000, 2005, 2010 und 2015.

Extraorale Lokalisationen, nicht schlüssige Diagnosen oder Syndrom-bedingte HPV-Läsionen, wie sie bei der Heck-Krankheit beobachtet werden, wurden ausgeschlossen. Alter, Geschlecht, Lokalisation, klinische Erscheinungsform und Diagnosen wurden erfasst. Die Inzidenz der Fälle wurde berechnet als die Anzahl der oralen HPV-bedingten gutartigen papillären Fälle dividiert durch die Gesamtzahl der Biopsien pro einzelnem Jahr.

Ergebnisse

Die Daten zeigen, dass es über 20 Jahre zu einem signifikanten Anstieg der Inzidenz HPV-assoziierter gutartiger oraler Läsionen von 3,6 Prozent pro Jahr bei beiden Geschlechtern kam, wobei Männer immer noch häufiger betroffen waren. Allerdings lag bei jüngeren Patienten (< 19 Jahre) eine weibliche Dominanz und sogar ein Anstieg der Inzidenz um fünf Prozent über den getesteten Zeitraum vor.

Gemessen an den spezifischen Läsionen kam es zu einem 73-prozentigen Anstieg an Plattenepithelpapillomen! Insgesamt 1,1 Prozent der Patienten hatten multiple Läsionen und es kam in 0,2 Prozent der Fälle zu Rezidiven. Am häufigsten waren die Zunge, der Weichgaumen und die mandibuläre Gingiva befallen, während es in der Altersgruppe < 19 Jahre zumeist zu Läsionen der Oberkiefergingiva und der Unterlippe kam.

Diskussion

Insgesamt konnte gezeigt werden, dass es innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren zu einer deutlichen Veränderung des Trends zur Entstehung gutartiger oraler Läsionen kam, die mit HPV assoziiert sind. Als mögliche Ursachen diskutieren die Autoren eine Zunahme oraler Sexpraktiken und des „Küssens mit offenem Mund“. Die Mehrzahl der gutartigen Papillenläsionen ist den Autoren zufolge mit HPV-Subtypen mit niedrigem Risiko verbunden — hauptsächlich 6 und 11.

Eine Assoziation mit den Hochrisiko-HPV-Subtypen 16 und 18 wurde bei gutartigen Papillenläsionen nur selten identifiziert. Obwohl eine maligne Transformation relativ selten auftritt, zeigten einige Studien, dass das Risiko dafür in gewissem Maß orts- und größenabhängig ist. Eine gingivale Beteiligung ist dabei mit einem höheren Risiko einer malignen Transformation verbunden [Frigerio et al., 2015].

Vorhandene Impfstoffe gegen eine HPV-Infektion, die vor allem gegen die Subtypen 6, 11, 16 und 18 schützen, wurden bislang nicht gegen orale Läsionen getestet, wobei erste Erfolg versprechende Daten eine Schutzwirkung nahelegen. Die Vielfalt der Trends in den Altersgruppen rechtfertigt eine weitere Erforschung der Ursachen und die Untersuchung möglicher Präventivmaßnahmen.

Einschränkend führen die Studienautoren an, dass der festgestellte Trend zunehmender Inzidenz bei gutartigen HPV-bedingten oralen Läsionen allein auf den Daten einer Institution, der Oralen Pathologie der Universität Florida, beruht. Da das Labor jedoch einer der größten Dienstleister der Region ist, halten die Autoren die Ergebnisse ihrer Untersuchung für repräsentativ.

Die Studie:
Alramadhan AS, Fitzpatrick SG, Bhattacharyya I, Islam MN, Cohen DM: Changing trends in benign human papillomavirus (HPV) related epithelial neoplasms of the oral cavity: 1995–2015. Head and Neck Pathology. 2022.16:738-745

Literaturliste

  • Frigerio M, Martinelli-Kläy CP, Lombardi T: Clinical, histopathological and immunohistochemical study of oral squamous papillomas. Acta Odontol Scand. 2015;73(7):508–15

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

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