Verbraucherzentrale Bundesverband

Portale für Videosprechstunden haben viele Datenschutzlücken

mg
Videosprechstunden könnten eine sinnvolle Ergänzung sein — sind es in ihrer aktuellen Ausgestaltung jedoch nicht. Zu diesem Urteil kommt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nach einer Untersuchung von neun Anbietern.

Bei den Produkten zeigten sich „immer wieder Datenschutzlücken", urteilt der Verband und fordert Nachbesserungen von den Dienstleistern. Doch auch die medizinischen Fachgesellschaften und ÄrztInnen sieht der vzbv in der Pflicht, um die Nutzungsmöglichkeiten der Technik zu optimieren.

Die Inanspruchnahme von Videosprechstunden ist mit Beginn der Corona-Pandemie sprunghaft angestiegen: Laut dem eHealth Monitor 2021 der Unternehmensberatung McKinsey wurden 2019 in Deutschland etwa 3.000 digitale Arzt-Patienten-­Gespräche geführt, 2020 waren es dann bereits 2,67 Millionen. Diesen Anstieg belegen auch Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Doch trotz der zunehmend wichtigen Rolle von Videosprechstunden in der Gesundheitsversorgung ist es um die Datenschutzstandards vieler Anbieter nicht gut bestellt. Eine Untersuchung der jeweiligen Datenschutzerklärungen (DSE) und Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von vier privaten Anbietern durch die Stiftung Warentest im Sommer 2022 ergab: In drei Fällen fand man „deutliche“ Mängel und in einem Fall „geringe“ Mängel.

Darum wurde der vzbv tätig und nahm die DSE von neun Telemedizin- und Arzttermin-Portalen mit Videosprechstundenfunktion (Arzt-Direkt, Doctena, Doctolib, Doktor.de, Fern­arzt, jameda, Samedi, Teleclinic und Zavamed.de) genauer unter die Lupe. Ziel war, „die richtigen Weichen für eine verbraucherfreundliche Ausrichtung zu stellen, auf Regulierungslücken frühzeitig hinzuweisen und mögliche Rechtsverstöße zu unterbinden“. Und genau das ist offensichtlich nötig.

Die Plattformen halten Datenschutzstandards oft nicht ein

Die Ergebnisse der insgesamt 37 Prüfkategorien zeigen aus Verbrauchersicht verschiedene kritische Punkte, heißt es in dem 20-seitigen Bericht. Dazu gehören zum Beispiel eine unzureichend ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten, der Einsatz von Tracking-Anbietern, das Fehlen einer namentlichen Nennung von Datenempfängern sowie die Speicherdauer der personenbezogenen Daten. Als Konsequenz der vorliegenden Ergebnisse mahnte der vzbv zwei Anbieter ab. In beiden Fällen seien die Verfahren bereits außergerichtlich durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung beendet worden, heißt es seitens des vzbv.

Den Datenschützern zufolge werden bei der Nutzung von Telemedizin- und Arzttermin-Portalen, die Videosprechstunden anbieten, direkt und indirekt sensible Patientendaten übermittelt, wie etwa der Besuchsgrund oder die jeweilige Facharztrichtung. Auch aus den Termindaten einer Person ließen sich Rückschlüsse auf ihren Gesundheitszustand ziehen. Aus Sicht des vzbv sollten diese Daten darum als besondere Kategorien personenbezogener Daten der Datenschutzgrundverordnung behandelt werden. Die dafür notwendige ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung holen sieben der neun geprüften Anbieter jedoch nicht oder nur unzureichend ein.

Methodik

Der vzbv untersuchte nur Video­dienstanbieter, bei denen sich die VerbraucherInnen selber initiativ um eine Videosprechstunde bemühen. Das bedeutet, dass Patien­tInnen nicht von ihrer Arztpraxis einen entsprechenden Termin erhalten, sondern der Arztkontakt primär über den Videosprechstundenanbieter beziehungsweise die Plattform hergestellt wird. Die PatientInnen kennen die behandelnden ÄrztInnen in der Regel also noch nicht. Die Auswahl der untersuchten Dienste erfolgte mit zwei sich ergänzenden Verfahren. Aus der Liste zertifizierter Videosprechstundenanbieter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV (Stand 1. Juni 2022) wurden diejenigen Anbieter ausgewählt, bei denen VerbraucherInnen direkt eine Videosprechstunde in Anspruch nehmen können. In Ergänzung wurde über eine Online-Suchmaschine nach „Videosprechstunden“ beziehungsweise „Videodienstanbietern“ gesucht. Diese Suchergebnisse waren unabhängig von der Zertifizierung nach Vorgabe der KBV. Insgesamt wurden neun Anbieter beziehungsweise deren Services in die Untersuchung eingeschlossen, dabei wurden Browseranwendungen und Apps (Android und iOS) gleichermaßen einbezogen.

Eine repräsentative Online-Befragung im Auftrag des vzbv zeigte im Dezember 2022, dass Videosprechstunden-NutzerInnen neben dem direkten Weg über eigene ÄrztInnen (59 Prozent), über Arzt-Portale (33 Prozent) oder Telemedizin-Plattformen (22 Prozent) zum digitalen Gespräch gelangen. Dabei bestätigten gut drei Viertel der Befragten, dass ihnen der Schutz ihrer Daten bei digitalen Gesundheitsangeboten „sehr“ beziehungsweise „eher“ wichtig ist. Fast die Hälfte (49 Prozent) macht die Entscheidung davon abhängig, ob sie ein digitales Gesundheitsangebot nutzt.

„Videosprechstunden sollten frei von Tracking sein“

Acht Anbieter geben in der Daten­schutzerklärung außerdem an, Tracking-Dienste zu verwenden, um das Verhalten ihrer NutzerInnen zum Beispiel für Marketingzwecke auszuwerten. Ein No-Go, findet der vzbv, der es grundsätzlich kritisch sieht, Gesundheitsdaten für Werbezwecke zu ver­arbeiten. Schließlich untersage auch der Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union seit dem 16. November 2022 Online-Plattformen, sensible Daten für Werbung zu verwenden.

Der vzbv fordert von den Anbietern, die Regelungen nun schnell umzu­setzen. „Nicht nur die reine Übertragung des Videos, sondern auch der Zugang zur Videosprechstunde sollte frei von Tracking und Werbung sein“, verlangt Thomas Moormann, Leiter Team Gesundheit und Pflege beim vzbv. „PatientInnen müssen vor Tracking und einer Manipulation durch Werbung [...] geschützt sein.“

Auf Basis der Ergebnisse fordert der vzbv:

  • ÄrztInnen sollten Videosprechstunden als ergänzende Möglichkeit zur Vor-Ort-Sprechstunde anbieten.

  • Medizinische Fachgesellschaften und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AMWF) sollten mehr fachspezifische Leitlinien für Standards der Fernbehandlung und Telemedizin entwickeln.

  • Der Gesetzgeber sollte VerbraucherInnen besser vor Tracking und Profiling im gesundheitlichen Kontext schützen.

  • Anbieter von Videosprechstunden müssten eine ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten einholen.

  • Sie sollten auf nicht notwendige Drittanbieter für Tracking und Profiling zu Marketingzwecken und Analysen verzichten.

  • Sie sollten Drittanbieter in der DSE namentlich benennen, statt nur Empfängerkategorien aufzuführen.

  • Sie sollten einen Gastzugang zur Videosprechstunde anbieten. Dadurch könnten VerbraucherInnen das Angebot niedrigschwelliger nutzen.

  • Sie sollten ein Löschkonzept bei einer Nichtnutzung des Accounts definieren.

  • Sie müssten transparente Informationen zur Speicherdauer oder nachvollziehbare Kriterien zur Festlegung der Speicherdauer bereit­stellen.

  • Sie sollten transparente Information zur Übermittlung von personenbezogenen Daten in Drittländer bereitstellen.


Trotz all dieser Auffälligkeiten hält Moormann Videosprechstunden für eine sinnvolle Ergänzung im Gesundheitsbereich. „Wenn sie gezielt ein­gesetzt werden, können sie den Behandlungsprozess ergänzen, den Zugang zu ärztlicher Versorgung verbessern und Ansteckungsrisiken mindern“, so der Fachmann. Dabei sei aber unverzichtbar, dass die Plattformen geltende Verbraucherschutzstandards erfüllen. mg

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