Bundesgerichtshof

Wie viel Bedenkzeit benötigt der Behandlungsentschluss?

Ist eine starre Aufklärungsfrist vor einer Behandlung nötig oder kann davon abgewichen werden, wenn der Patient einwilligt? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dazu jetzt Stellung bezogen.

Streitgegenstand war die Aufklärung eines Patienten im Vorfeld einer Nasenoperation, bei der es zu Komplikationen kam. Der Patient machte daraufhin einen Schaden­ersatzanspruch geltend und berief sich auf einen ärztlichen Behandlungsfehler.

Einen solchen sah der Patient in einer unzureichenden Bedenkzeit nach der erfolgten Aufklärung. Die Frage, wie viel Bedenkzeit zwischen der Aufklärung an sich, der Unterschrift des Aufklärungsbogens und dem Beginn der Behandlung liegen muss, ist gerade im zahnärztlichen Bereich von durchaus hoher Bedeutung. Nicht zuletzt be­deutet das Einhalten bestimmter Zeiten auch einen beachtlichen organisatorischen Aufwand.

Eine reflektierte Entscheidung muss gewährleistet sein

Aus den Patientenrechten des Bürger­lichen Gesetzbuchs (BGB) ergibt sich die Verpflichtung der behandelnden Person, im Vorfeld einer medizinischen Maßnahme oder eines Eingriffs die Einwilligung des Patienten einzuholen (§ 630 d BGB). Eine solche Aufklärung muss unter anderem so rechtzeitig erfolgen, dass jeder Patient die Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann (§ 630 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB). Über eben diese Erfordernis wurde in Karlsruhe gestritten.

Den meisten behandelnden Personen dürfte folgende Faustformel bekannt sein: Eine Aufklärung hat vor Opera­tionen am Vortag des Eingriffs zu erfolgen. Eine solche starre „Sperrfrist“, die einen bestimmten Zeitraum festlegt, hält der BGH hingegen für nicht erforderlich und weist auf die Intention des Gesetzgebers hin: Demnach solle vor allem eine reflektierte Entscheidung der Patienten gewährleistet sein. Es solle genügend Zeit verbleiben, dass eine „hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe“ stattfinden kann, so der BGH. Die Patienten sollen keine passiven Objekte sein. Sie sollen vielmehr dazu ermutigt werden, ihre Selbstbestimmungsrechte aktiv zu nutzen.

Als Schlussfolgerung daraus kann entnommen werden, dass es zu einer guten und richtigen Aufklärung vielmehr gehört, den Patienten zu ermutigen, dass er aktiv an einer Behandlungsentscheidung mitwirkt. Es geht weniger darum, sich an starre Fristen zu halten und dabei davon auszugehen, dass dies genüge, um eine ausreichende Aufklärung zu gewährleisten.

Der Patient muss selbst sagen, wenn er mehr Zeit braucht

Die vom BGH vertretene Auffassung im Hinblick auf eine ausreichende Aufklärung, bei der die Richter immer wieder auf die gesetzgeberische Intention verweisen, nimmt jedoch auch die Patienten in die Pflicht. Von ihnen sei grundsätzlich zu verlangen, sich zu äußern, wenn ihnen der Zeitraum für eine besonnene Entscheidung nicht ausreicht. Diese Auffassung unterstreicht die aktive Rolle der Patienten. Dabei sind Ärzte weiterhin in der Pflicht, auf die Signale der Patienten zu achten und gegebenenfalls von selbst zu merken, dass weitere Überlegungszeit benötigt wird, auch wenn eine solche nicht aktiv erbeten wird.

In der Praxis bedeutet dies, dass starre Fristen zwar nicht eingehalten werden müssen, jedoch weiterhin eine gewisse Form der Sicherheit mit sich bringen. Liegen zwischen der ordnungsgemäßen Aufklärung, der Unterschrift unter die Aufklärung und der Behandlung jeweils bestimmte Zeit­fenster, kann im Zweifel von einer ausreichenden Überlegungszeit für die Patienten ausgegangen werden.

Allerdings ist es durchaus möglich, die Zeiten zu verkürzen. Wichtig ist dabei, dass die Patienten aktive Teilnehmer des Gesprächs sind. Es darf kein Gefühl der „Überrumpelung“ entstehen. Ferner sollte sich niemand unter Druck gesetzt fühlen, weil er oder sie nun doch mehr Zeit zum Überlegen benötigt. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass durch längeres Nachdenken Abläufe des Betriebs gestört und die Arbeit der behandelnden Person erschwert werden.

Sofern nach einer Aufklärung alle Fragen geklärt sind und die Entscheidung über eine Einwilligung in die Behandlung wohlüberlegt stattgefunden hat, ist es wichtig, dass dies im Rahmen der Aufklärung festgehalten wird. Sollten nach einer Behandlung etwaige Probleme auftreten, wie in dem vom BGH entschiedenen Fall, sollte auf ärztlicher Seite eine Absicherung für den Zweifelsfall gegeben sein. Eine solche ist gegeben, wenn starre Fristen eingehalten worden sind.

Eine „doppelte“ Unterschrift zur Absicherung

Für den Fall einer Aufklärung ohne starre Fristen erscheint es sinnvoll, ein zusätzliches Feld im Aufklärungsbogen einzufügen. Es könnte folgenden Inhalt haben: „Ich bestätige hiermit, dass meine Entscheidung über die Einwilligung zu der Behandlung wohlüberlegt ist und ich genügend Zeit hatte, die für und gegen die Behandlung sprechenden Gründe abzuwägen. Die Möglichkeit einer weiteren Bedenkzeit im Vorfeld der Untersuchung habe ich registriert, wird von mir aber nicht benötigt.“

Ein solches Feld darf jedoch keinesfalls zu einem Standard werden, das einfach abgehakt wird. Denn dann steht schnell der Verdacht der „Überrumpelung“ im Raum. Beispielsweise könnte ein solches Feld vom restlichen Aufklärungsbogen abgetrennt sein und extra unterschrieben werden. Durch eine „doppelte“ Unterschrift wird den Patienten die Relevanz des Feldes verdeutlicht. Zusätzlich sind selbstverständlich die weiteren Anforderungen an die Untersuchungs­aufklärung zu erfüllen, die das Gesetz aufstellt.

Bundesgerichtshof
Az.: VI ZR 375/21
Urteil vom 20. Dezember 2022

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