IDS 2023

Alles fließt – aber wohin?

Heftarchiv Zahnmedizin
Jan Koch
Es ist wieder dentales Leben in die Kölner Messehallen eingezogen – nach der erzwungenen Pandemiepause erwacht einer der weltgrößten Marktplätze für Dentalprodukte zu neuer Geschäftigkeit. Die um ihren Ruf als Weltleitmesse kämpfende IDS hat einen starken Neustart hingelegt. Die Besucher drängten sich an den Ständen und auch von den Ausstellern war ein positives Feedback zu hören.

Die IDS feierte vom 14. bis zum 18. März in Köln ihren 100. Geburtstag – und war mit rund 120.000 Besuchern schon fast wieder in altem Glanz zu bewundern. Arbeits-Abläufe oder Workflows waren bei der Internationalen Dental-Schau bislang immer ein großes Thema. So auch dieses Mal: Ganz am Puls der Zeit ging es um die umfassende Speicherung und Weiterleitung von Befunddaten in der digitalen Wolke.

In den Pressekonferenzen der Unternehmen und beim Gang durch die weitläufigen Messehallen ging es mehr als je zuvor um den Fluss der vielen Daten, die heute bei digitalen Workflows entstehen und nach den Vorstellungen der Visionäre alsbald in Datenwolken (Clouds) organisiert werden sollen. Die Daten werden dabei nicht nur für die therapeutisch ausgerichteten Workflows genutzt, sondern auch für die Kommunikation mit Kolleginnen oder Kollegen, den Patienten und den zahntechnischen Labors. So präsentierte der Firmenverbund Dentsply Sirona eine komfortabel zu bedienende Plattform, die unter Nutzung von Google Cloud (Alphabet) genau in diesen Anwendungsbereich zielt. Auch zahlreiche andere Anbieter, zum Beispiel Align Technologies, Amann Girrbach und Henry Schein, zeigten in Köln cloud­basierte Konzepte.

Mit den Cloud-Konzepten versuchen die Unternehmen – mehr oder weniger deutlich kommuniziert – einen möglichst großen Datenpool zu erhalten. Dieser wird dann unter Nutzung von Algorithmen (Künstliche Intelligenz) zum Beispiel für das Design von Restaurationen oder orthodontischen Geräten verwendet. Die Unternehmen betonen weitgehend unisono, dass die Datensammlung primär den Patienten nutzt. Ärztinnen und Ärzte trügen eine entsprechende Verantwortung, die Daten zugänglich zu machen. Konkrete Beispiele, die über intraorale Scans und damit verknüpfte Anwendungen hinausgehen, wurden aber in Köln auch auf den Medienveranstaltungen kaum präsentiert.

Daten ungehindert teilen

Praxen können mit dem Produkt DS Core der Firma Dentsply Sirona gegen eine monatliche Gebühr bereits seit vergangenem Jahr zum Beispiel Patienten-Stammdaten, Röntgenbilder und andere digitalisierte Befunde in einer zentralen Plattform im Netz (Cloud) bündeln. Neu ist nach Auskunft von Max Milz, bei Dentsply Sirona verantwortlich für „Connected Technology Solutions“, dass die Daten Anbieter-­unabhängig integrierbar sind. Schrittweise sollen zudem die eigenen Spezialprogramme (unter anderem Röntgen, CAD/CAM) in die Cloud überführt und damit die Zahl der benötigten Anwendungen reduziert werden. Die Dateien lassen sich über einen Link mit Partnern teilen (wahlweise nur als Ansicht), wobei die Datensicherheit nach DSGVO durch Anonymisierung und Verschlüsselung gewährleistet sein soll. Sicherheit soll auch die Speicherung der Daten in europäischen Rechenzentren bieten.

Mit solchen Angeboten begibt sich die Industrie in direkte Konkurrenz zum Telematik-Projekt „Kommunikation im Medizinwesen“ (KIM) und weiteren gematik-zertifizierten externen Angeboten wie Praxisverwaltungs-Systemen, Überweisungs-Plattformen und Videokonferenz-Systemen. Im Gegensatz zu KIM wird bei den Cloud-Angeboten der Dentalindustrie für Versand und Zugriff bislang kein Konnektor und kein Heilberufsausweis benötigt.

Fachlicher Austausch – mit Sicherheit?

Mit KIM und der angekündigten Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums rücken der interdisziplinäre Datenaustausch – und die damit mögliche fachliche Abstimmung – zunehmend in den Fokus. Hinzu kommen Entwicklungen wie die elektronische Patientenakte (ePA) und der geplante europäische Gesundheitsdatenraum. Das Potenzial eines effektiven Datentransfers – Stichworte „Vermeidung von Medikamenten-Wechselwirkungen“ und „verbesserte Versorgungsforschung“ –  ist sicher erheblich, aber viele Fragen bleiben offen. So versprechen alle Beteiligten Datensicherheit, doch ist eine absolut sichere Verschlüsselung technisch nicht möglich. Ob bei der Datenarchitektur am Ende die offiziellen Kanäle, die Industrie über externe Dienstleister, hybride Lösungen oder auch Messenger-Dienste die Nase vorn haben werden, wird die Praxis zeigen.

Alternativ zu den oben beschriebenen Cloud-Dienstleistungen bieten Praxisverwaltungs-Programme (PVS) Archivierungsmöglichkeiten und die Daten lassen sich über die VDDI-Schnittstelle ebenfalls mit zahlreichen klinischen Anwendungsprogrammen verknüpfen. Mit dieser „Grundausstattung“ sind die Praxen zunächst einmal unabhängig von Cloud-Lösungen.

Begrenzt kompatibel

Der Teufel steckt jedoch weiterhin im Detail: So lassen sich Oberflächendaten von intraoralen Scannern (STL) zwischen Programmen unterschiedlicher Anbieter zwar meist gut austauschen und die produktbezogenen Portale sind in der Regel kostenlos. Gleichzeitig gibt es für diese 3-D-Daten nach wie vor keinen Datenstandard wie DICOM, so dass Informationen wie Patientendaten oder auch Präparationsgrenzen häufig nicht zusammen mit den STL-Daten beim Empfänger, zum Beispiel dem Labor, ankommen und mit einigem Aufwand nachträglich ergänzt werden müssen (siehe Statement von ZTM Ralf Riquier im Kasten oben).

Dies lässt sich durch Vereinbarungen und entsprechende Schnittstellen zwischen Anbietern vermeiden (neu zum Beispiel von Dürr Dental/3Shape). Nach Auskunft von mehreren Aus­stellern in Köln fehlen diese aber häufig, zum Beispiel aus wettbewerbs­politischen Gründen.

Probleme mit komplexen Daten

Probleme mit der „Datenharmonisierung“ aus verschiedenen Datenquellen gibt es laut Zahntechnikermeister Ralf Riquier vor allem bei komplexeren Planungen, zum Beispiel bei der Nutzung digitaler Funktionsdaten. Hier kann es zu einer unrealistischen Durchdringung von Zahnsubstanz beider Kiefer in der CAD-Darstellung kommen. Riquier hat mehrere Jahrzehnte Erfahrung in digitaler Zahntechnik und ist Inhaber von r2dental, einem Unternehmen für Technologieentwicklung und -beratung.

Füllungstherapie und Endo

Für die direkte Restauration von Zähnen werden seit einiger Zeit Komposite mit verbesserter farblicher Anpassung angeboten („Chamäleon-Effekt“, für den laut Anbieter Tokuyama nur noch eine Farbe erforderlich ist). Das Produkt wird jetzt auch in fließfähiger Version angeboten. Ein in Köln neu vorgestelltes Ormocer-Komposit mit fünf „Clustern“ für alle Vita-Farben, das auf angepassten Nanohybrid-Partikeln basiert, soll ebenfalls eine sehr gute farbliche Anpassung ermöglichen (Voco). Mit neuen Teilmatrizensystemen, deren Spannringe PEEK-Verstärkungen aufweisen, gelingen laut dem Anbieter Garrison Dental Solutions hochwertige Füllungen leichter und sicherer.

Ein großes endodontisches Thema sind seit einigen Jahren „biologische“ Materialien, die für regenerative Maßnahmen oder für den Aufbau des Dentinkerns eingesetzt werden (hydraulische Silikatzemente). Neu ist ein MTA-haltiges Material für die Pulpa-Überkappung, das zudem vor Überempfindlichkeit schützen soll (Bisico). Auch für die endodontische Aufbereitung kommen weiterhin neue Systeme auf den Markt, jedoch mit eher evolutionären Anpassungen. Ein neuer Endomotor sorgt laut Anbieter dafür, dass „Durchgängigkeit, Gleitpfad und Formgebung des Wurzelkanals in einem einzigen Modus kombiniert sind“ und zugleich Feilenbrüchen vorgebeugt wird (Abbildung rechts).

3-D-Druck und Interdisziplinäres

Intraorale Scanner (IOS) gelten als zentrales Element im digitalen Workflow. Ein neues Produkt reduziert laut Anbieter Probleme mit Reflexionen durch Speichel oder metallische Oberflächen, die häufig den Scan-Prozess beeinträchtigen (GC Corporation). Neue, „vollständig“ digitale Workflows, häufig mit Chairside-Option und in immer neuen Kooperationen zwischen Anbietern, wurden auch in diesem Jahr wieder vorgestellt (zum Beispiel Imes-Icore, auch in Kooperation mit Hager & Meisinger). Dabei wird der 3-D-Druck für zahlreiche Hilfsmittel und Komponenten zunehmend zum Standard, wobei die Effizienz zum Teil großindustriellen Maßstäben entspricht.

Weiterhin lassen sich Bohrschablonen für Implantate oder endodontische Behandlungen – mithilfe von KI-Algorithmen – automatisch planen und sind laut Anbieter in weniger als 20 Minuten chairside verfügbar (Sicat). Aus interdisziplinärem Blickwinkel ist erfreulich, dass immer mehr Unternehmen den Indikationsbereich ihrer Produkte auf Schlafmedizin, andere funktionelle Therapiegebiete oder orthognathe Chirurgie erweitern (zum Beispiel Planmeca, Sprintray), während umgekehrt ein Unternehmen aus dem Bereich Hörgeräte-Akustik in die orale Medizin vordringen will (H3D, Australien).

Eine Symbiose von IOS-betriebener Kariesdiagnostik mit Nah-Infrarot-Bildgebung (NIRI) und Zahntechnik verspricht Align Technologies. Die differenzierte Darstellung von Dentin und Schmelz im NIRI-Bild soll der Firma zufolge Zahntechnikern helfen, „den Grad der Transluzenz abzuschätzen“ und „die Präparationsgrenze zu definieren“. Am Messestand des zu Align Technologies gehörenden Anbieters Exocad war allerdings zur praktischen Umsetzung im Designprozess nichts in Erfahrung zu bringen. Interessant wären perspektivisch gedruckte Restaurationen, die den Zahnaufbau wiedergeben. In Bezug auf Farbe und Lichtverhalten dürfte dies aber angesichts des komplexen Aufbaus natürlicher Zahnstrukturen sehr anspruchsvoll sein – und keramisches Können wird weiterhin gefragt bleiben.

In der regenerativen Chirurgie waren Produkte rund um PRF und Hyaluronsäure (für eine bessere Wundheilung) und weiterentwickelte PTFE-Membra­nen und Ersatzmaterialien an den Ständen zu sehen. Bei Implantaten waren diesmal keine besonderen Neuheiten zu entdecken, auch hier drehte sich vieles um Workflows, Datenwolken und Künstliche Intelligenz, wie etwa beim Anbieter Straumann. Online-Portale werden auch zunehmend in der Hygiene angeboten, wo unter anderem Kleinsterilisatoren und Wäschepflegegeräte verknüpft werden (zum Beispiel Miele). Die Warenwirtschaft lässt sich ebenfalls über eine Online-Software organisieren (zum Beispiel Wawibox), bei Komet Dental gibt es das „erste intelligente Warenwirtschaftssystem“. Weiterhin hat das Unternehmen sein Sortiment von Diamantschleifern mit integrierten Keramikperlen erweitert. Vorteile sind laut Anbieter eine längere Standzeit und eine verbesserte Kontrolle beim Präparieren.

Nachhaltigkeit

Ein großes Thema war – erstmals auf einer IDS – die Nachhaltigkeit. Betont wurde zum Beispiel die Reparaturfähigkeit und die Langlebigkeit von Geräten, unter anderem durch die Update-Fähigkeit und den modularen Aufbau von Produktlinien (W&H). Das Unternehmen stellte auf der IDS seinen Reparaturservice vor. Die Präsentation solcher „Hinterhofdienste“ im Glitzerlicht der Messestände wäre vor wenigen Jahren noch kaum einem großen Anbieter in den Sinn gekommen – hier ist durchaus ein Kulturwandel erkennbar. Nach­haltig ist sicher auch eine neue Linie von Implantatbohrern, die für bis zu 400 Implantationen verwendbar sein sollen (medentis medical).

Vorbeugung, einmal als Verhältnisprävention, aber natürlich auch mit Mundhygiene und professioneller Prophylaxe, ist besonders nachhaltig. Behandlungen, die vermieden werden, verursachen keinen Energie- und Materialverbrauch. Bei Gingivitis und speziell Patienten in Parodontitis-Behandlung soll eine neue Zahncreme mit dem Inhaltsstoff Zink die „Abwehrkräfte der Mukosa“ unterstützen und Blutungen vorbeugen (CP Gaba). Studien, die dies belegen, werden vom Anbieter genannt, sind aber noch nicht publiziert. Das gilt auch für ein Gerät der Firma Philips mit speziell pulsierendem Wasser-Luft-Spray, für das eine im Vergleich zu bisher verfügbaren Produkten besonders effektive Entfernung des interdentalen Biofilms mit entsprechend reduzierter Entzündung angegeben wird – die klinische Daten sind beim Anbieter zu erfragen.

Fazit

Trotz der im Vergleich zu 2019 etwas geringeren Aussteller- (knapp 1.800 aus 60 Ländern) und Besucherzahlen (circa 120.000 aus 162 Ländern) hatte die 40. Internationale Dental-Schau wieder die gewohnte Atmosphäre und Strahlkraft. Die Besucherstruktur und die internationale Beteiligung ent­sprachen laut Umfrage des Verbandes der Deutschen Dental-Industrie (VDDI) ebenfalls dem Niveau der letzten „normalen“ IDS. Der Neuigkeitswert der ausgestellten Produkte und Dienstleistungen war möglicherweise etwas geringer als gewohnt. Dies könnte daran liegen, dass die Entwicklungsabteilungen der Unternehmen zeitlich weniger auf die IDS fokussieren, was sich bereits seit einiger Zeit abzeichnet. Insgesamt lässt sich aber ein sehr positives Fazit ziehen: Die IDS ist wieder zurück auf der dentalen Weltbühne und die Reise nach Köln dürfte sich auch für den überwiegenden Teil der einheimischen Besucher wieder sehr gelohnt haben.

Hinweis zu Interessenkonflikten: Dr. med. dent. Jan H. Koch ist freier Autor. Er arbeitet zudem als Berater für einzelne der im Beitrag genannten Firmen, hat sich aber um eine fachlich zentrierte Darstellung bemüht.

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