Interview mit Prof. Dr. Diana Wolff

„Wir haben diesen Weg nicht gewählt, um Studierende zu quälen!“

LL

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass sich viele Zahnmedizinstudierende ungerecht behandelt und nicht ernst genommen fühlen. Ein rauer Umgangston und Schikane scheinen an vielen Unis zum Studienalltag zu gehören. Was läuft da schief? Wir haben mit Diana Wolff gesprochen. Sie ist die Präsidentin der Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK).

Frau Prof. Wolff, wieso sind viele Zahnis derart unglücklich mit ihrem Studium?

Prof. Diana Wolff: Das Zahnmedizinstudium ist ein sehr anspruchsvolles Studium, zeitintensiv und mit psychischen und physischen Herausforderungen verbunden. Jeder von uns Zahnmedizinern und Zahnmedizinerinnen erinnert sich an Momente im Studium, in denen man die eigenen Grenzen ganz deutlich gespürt hat. Man könnte jetzt formulieren, dass auch der Beruf des Zahnarztes und der Zahnärztin ein anstrengender ist und das Studium die jungen Menschen auf diese Herausforderungen ausreichend vorbereiten muss. Immerhin geht es darum, am Ende des Studiums eine berufsfähige Kollegin und einen berufsfähigen Kollegen ausgebildet zu haben, der ab Tag 1 seines Arbeitslebens sorgsam mit Patienten umgeht und den Anforderungen der Patientenbehandlung und Administration gewachsen ist beziehungsweise sich diesen erfolgreich stellen kann.

Welche Ausbildung brauchen wir, um dieses Ziel zu erreichen? Sind die Bedürfnisse der jetzigen und folgender Generationen Studierender in den aktuellen Konzepten berücksichtigt? Bedarf es einer Reformierung unserer Lehrkultur beziehungsweise kann die neue Zahnärztliche Approbationsordnung hier Abhilfe schaffen? Diese Fragen beschäftigen mich aktuell sehr intensiv. Ich möchte nicht von der Hand weisen, dass traditionell streng hierarchisch organisierte Hochschulfächer Nachholbedarf in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Lehrkultur haben und dass es teilweise diskrepante Wahrnehmungen zwischen Lehrenden und Lernenden bezüglich Anforderungsprofilen und Strenge in der Auslegung gibt. Hiervon können nicht nur Zahnmediziner, sondern auch Mediziner oder Juristen ein Lied singen. Tradierte Rollenmodelle und eine auf Härte basierende Lehrkultur kollidieren hierbei mit den Ansprüchen der jungen Generation Studierender. Eine novellierte Approbationsordnung wird diese Problematik nicht lösen, da in dieser lediglich die Rahmenbedingungen neu gesteckt werden. 

Die aktuelle Umfrage des Studierendenparlaments des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte zeigt, dass die Umfrageteilnehmer ein hohes Maß an Stress und Belastungen in ihrem Studium erleben. Ohne die Ergebnisse kleinreden zu wollen, muss an dieser Stelle erwähnt werden dürfen, dass es sich um eine Stichprobe von circa 14 Prozent aller Studierenden der Zahnmedizin in Deutschland handelt, von der nicht auszuschließen ist, dass sie einer gewissen Stichprobenverzerrung durch eine nicht-zufällige Teilnahmebereitschaft und einen möglicherweise überproportionalen Einschluss von Studierenden mit individuell sehr schlechten Erfahrungen unterliegt. Mein persönliches Erleben ist, dass viele Studierenden zwar Stressbelastungen beschreiben, aber dadurch nicht schwerwiegend strapaziert sind oder über Studienabbruch nachdenken.

Nichtsdestotrotz sind die Ergebnisse ernst zu nehmen, weil es zusätzliche Hinweise aus einer Studie aus Jena gibt, dass Zahnmedizinstudierende unter höheren Burn-out-Raten leiden als ihre Kommilitonen in der Humanmedizin und als die Allgemeinbevölkerung. Die formalen Rahmenbedingungen des Zahnmedizinstudiums mit langen Anwesenheitszeiten, starker „Verschulung“, wenig Wahlmöglichkeiten und strikt einzuhaltenden Studienabläufen sind per se schon anstrengend. Dabei obliegt es uns DozentInnen nicht nur theoretische Lehrinhalte zu vermitteln, sondern in den praktischen präklinischen Simulationskursen einen Ausbildungsgrad sicherstellen, der es ab dem 7. Fachsemester verantwortbar macht, die Studierenden an Patienten eigenständig arbeiten zu lassen. In den klinischen Behandlungskursen müssen wir zu jeder Zeit die Patienten­sicherheit gewährleisten, während wir gleichzeitig ausbilden und prüfen. An diesen Rahmenbedingungen lässt sich nichts ändern.

Allerdings können weitere Faktoren zu Stress führen. Benotungen von praktischen Kursarbeiten können bei zu geringer Transparenz und Offenlegung der Bewertungskriterien das Gefühl von Willkür und zu großer Strenge beziehungsweise Ungerechtigkeit vermitteln. In schwierigen Behandlungs- oder Kurssituationen, mit Zeitdruck und/oder Überforderung auf verschiedenen Seiten (Studierende und auch DozentInnen), kann ein respektvolles Miteinander leiden. Ein Mangel an Patienten in den Behandlungskursen und unklare Regeln zum Bestehen der Kurse führen weiterhin zu psychischen Belastungen, denen manche Studierende weniger gut gewachsen sind als andere. Allerdings sind das keine unlösbaren Probleme!

Was trägt aufseiten der Lehrstätten dazu bei?

Die finanziellen und ausstattungsbezogenen Rahmenbedingungen an den Universitätskliniken haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschärft. Die von den Ländern zur Verfügung gestellten Gelder für zahnmedizinische Lehre kommen an nur wenigen Standorten vollständig in der Zahnmedizin an, so dass Investitionsstau und chronische Unterfinanzierung vorhanden sind. Manche Standorte müssen gar die neue Approbationsordnung zum Nulltarif umsetzen. Es mangelt an einer modernen Infrastruktur und an genügend Räumen. Dazu kommt, dass die zahnmedizinische Lehre systematisch unterbewertet wird, dass heißt, dass die Lehrenden in der Zahnmedizin beispielsweise für den präklinischen praktischen Unterricht deutlich weniger angerechnet bekommen als die Mediziner, was wiederum zur personellen Unterfinanzierung beiträgt.

Daneben werden aber mittlerweile hohe wirtschaftliche Forderungen vonseiten der Kliniken gestellt und in den Fakultäten muss sich die Zahnmedizin mit forschungsstarken medizinischen Fächern messen lassen. Dies alles bei deutlich geringerer Personaldecke und viel höherer Lehrbelastung. Die Patientenrekrutierung für die klinischen Behandlungskurse wird immer schwieriger, da sich die Universitätsklinika mit ihrer teilweise stark veralteten Infrastruktur vor allem in den Ballungszentren im Wettbewerb mit Medizinischen Versorgungszentren oder Praxiskliniken befinden. Insgesamt weisen Universitätsklinika nach der Corona-Pandemie enorme Defizite auf. Budgetkürzungen, Personalkürzungen und Sachmittelkürzungen sind an der Tagesordnung und haben direkte und indirekte Effekte auf die Gesamtsituation auch in der Lehre.

Hat auch die neue ZApprO das Stresslevel aller verschärft?

Momentan befindet sich die erste reguläre ZApprO-Kohorte in Fachsemester 4, das bedeutet, dass das Phantomjahr und der klinische Abschnitt erst vor der Tür stehen. Auch die erste reguläre Z1-Prüfung (ehemals Vorphysikum) wird erst diesen Sommer abgehalten. Die immensen Herausforderungen des klinischen Abschnitts durch Doppelkohorten, fehlende Räume, fehlende Simulationsplätze und Behandlungsplätze und unterfinanziertes Personal kommen noch auf uns zu. Zudem machen uns die Staatsprüfungen große Sorgen. Hier wurden durch die neue ZApprO formale und organisatorische Prüfungsbedingungen geschaffen, die für die Studierenden sehr nachteilig sind: In sehr kurzen Prüfungszeiten muss eine Vielzahl von Prüfungen absolviert werden, was, wie erste Erfahrungen zeigten, zu sehr hohen psychischen und physischen Belastungen für die Studierenden führte.

Die VHZMK und der MFT setzen sich bei diesem Thema schon seit geraumer Zeit mit Nachdruck gegenüber dem BMG dafür ein, dass eine Änderungsverordnung zur ZApprO aufgesetzt wird, allerdings verzögert die politische Seite die dringend notwendigen Nachbesserungen des Gesetzestextes zum Leidwesen von uns allen, Hochschulen wie Studierenden. In diesem Zusammenhang motivieren wir beispielsweise auch die Studierenden, sich bei diesem für sie sehr wichtigen Thema zu Wort zu melden und für ihre Rechte und Bedarfe einzutreten.

Wie kann man die Probleme lösen, was kann man in Zukunft besser machen?

Es macht mich schon sehr betroffen, dass ein substanzieller Teil der deutschen Zahnmedizinstudierenden das Studium als so belastend empfindet und damit eben auch schlechte Startbedingungen ins Berufsleben hat. Ich hatte ja kürzlich in einem anderen Interview schon gesagt, dass meine Hochschullehrerkolleginnen und -kollegen diesen Weg nicht gewählt haben, um an den Hochschulen Studierende zu quälen. Mein Selbstbild als Hochschullehrerin und das, was ich an die nächste Generation weitergeben möchte, sind natürlich ganz anders gelagert.

Gute Lehre, geprägt von einer positiven Lernatmosphäre mit gegenseitigem Respekt, Fairness, Offenheit und großes Engagement aller Beteiligten werden am Ende die besseren ZahnmedizinerInnen der Zukunft hervorbringen. Das muss unser Ziel sein. Und dafür wird schon viel getan. Es existieren strukturierte Didaktikprogramme für die Lehrenden, an vielen Standorten qualifizieren sich motivierte KollegInnen im Rahmen von MME-Programmen (Master of Medical Education) und es gibt flächendeckende und regelmäßige Lehrevaluationen. Auch entwickelt sich eine zunehmende Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Benotung. Hierzu zählt, dass praktische Arbeiten – wo immer möglich – anonym bewertet werden, dass vorab die Notendefinitionen und -abstufungen klar sind, dass Bewertungskriterien dargestellt werden und mündliche Prüfungen strukturiert und mit Bewertungshorizont ablaufen.

Die Fakultäten und Universitäten bieten Anlaufstellen für Studienberatung und zur psychischen Betreuung. An manchen Standorten existieren Beratungen oder Mentorings innerhalb der Zahnkliniken, die die Studierenden bei der Entwicklung von Stressresilienz unter­stützen können. Ich habe auch von VertrauensdozentInnen gehört, die es an manchen Standorten gibt. All diese sehr guten und teilweise schon umgesetzten Ideen können als Leitfaden für uns alle dienen und wir können voneinander lernen und profitieren. Als VHZMK-Präsidentin habe ich es mir unter anderem zum Ziel gesetzt, den dafür notwendigen Austausch zu fördern und einen Diskurs über unsere Lehrkultur in der Zahnmedizin zu eröffnen. Ich erwarte, dass dabei auf den vielen verschiedenen Ebenen sicherlich auch hochkontrovers diskutiert wird.

Wie soll der öffentliche Diskurs dazu aussehen und wer sollte alles Teil davon sein?

Neben der aktuellen Öffentlichkeitsarbeit werden wir im Rahmen des Studierendentages des Deutschen Zahnärztetages 2023 in Hamburg einen Programmblock gestalten, in dem Studierende, HochschullehrerInnen und Standespolitik in den Austausch treten. Es sind Impulsvorträge und eine Podiumsdiskussion geplant, auf die ich sehr gespannt bin. Jeder ist herzlich eingeladen, dabei zu sein und seine oder ihre Sichtweise einzubringen. Weiterführend werden wir auf Ebene der VHZMK im konstruktiven Dialog mit den Studierenden an der Gestaltung einer für alle Seiten sinnvollen, effizienten und zielführenden Lehrkultur für die Zahnmedizin weiterarbeiten.

Die Fragen stellte Laura Langer.

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