Inklusionstage 2023

Ebenerdige Duschen reichen nicht

Wie inklusiv ist die Gesundheitsversorgung in Deutschland? Dieser Frage widmeten sich unter der Überschrift „Gesundheit barrierefrei – selbstbestimmt – zeitgemäß“ die 10. Inklusionstage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Ein Fazit lautete: Es gibt noch reichlich zu tun.

Bei der Veranstaltung am 8. und 9. Mai in Berlin kamen zahlreiche Expertinnen und Experten aus Politik und Praxis zu Wort. Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, stellte bei der Eröffnung fest: „Die meisten Arztpraxen in Deutschland sind noch nicht barrierefrei.“ In Richtung Ampelkoalition schlug er daher vor, dass eine gesetzliche Regelung im SGB V verankert werden soll, wonach bei Neugründungen und -übernahmen alle Praxen barrierefrei sein müssen. Dusel erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag zu einer Überarbeitung des Barrierefreiheitsgesetzes verpflichtet habe.

Die Runde blickte zum Teil sehr kritisch auf das bisher Erreichte beim Abbau von Barrieren in der Gesundheitsversorgung. Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Rheinland-Pfalz, beschrieb den Status quo so: „Es gibt schon vielerorts Verbesserungen wie Rampen, ebenerdige Duschen oder Behindertentoiletten in Gesundheitseinrichtungen. Aber das reicht nicht aus. Wir sind zum Beispiel noch meilenweit entfernt von barrierefreier Kommunikation im Gesundheitswesen.“

Intensiv aufgegriffen wurde das Thema Kommunikation in der Podiumsdiskussion „Medizinisches Personal: neue Schulungen für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen“. Die Teilnehmenden wiesen darauf hin, dass jede Form der Behinderung einen anderen Zugang benötige. So stünden bei Menschen mit Hör- oder Seheinschränkungen vor allem der Zugang zu technischen Hilfsmitteln im Vordergrund. Oft verhinderten aber etwa schwache Internetverbindungen in Gesundheitseinrichtungen, dass Services wie Dolmetscher-Apps genutzt werden könnten.

Michael Biesewinkel, Diakon und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule der Diakonie gGmbH in Bielefeld-Bethel, wies außerdem darauf hin, dass die Kommunikation mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen sehr viel Zeit in Anspruch nehme. Um Behandlungsabbrüche zu vermeiden, sei es notwendig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und gut zu erklären, was bei der Behandlung passieren werde und warum. Damit dies in der Praxis besser umgesetzt werden kann – dafür plädierten alle auf dem Podium –, müsse der zusätzliche Zeitaufwand entsprechend abgerechnet werden können.

Abseits von technischen Hilfsmitteln und Abrechnungsgrundlagen nannte Jörg Stockmann, Chefarzt der Klinik für Inklusive Medizin im Evangelischen Krankenhaus Hagen-Haspe, eine aus seiner Erfahrung wichtige Voraussetzung, um PatientInnen mit kognitiven Einschränkungen gut zu behandeln: „Man muss die Haltung haben, sie verstehen zu wollen. Es gibt eine Studie, in der Menschen mit geistigen Behinderungen gefragt wurden, was sie an Ärzten und Ärztinnen nicht mögen. Sie haben gesagt: Sie tun nur so, als würden sie mich verstehen.“

Die am 17. Juni in Berlin beginnenden Special Olympics World Games waren ebenfalls Thema. Dr. Imke Kaschke, Direktorin Gesundheit bei Special Olympics Deutschland (SOD), und Reynaldo Montoya, SOD-Gesundheitsbotschafter, stellten das begleitende Gesundheitsprogramm „Healthy Athletes“ vor. Zu der Motivation dahinter sagte Kaschke: „Allein in Deutschland leben 420.000 Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Diese Menschen haben ganz besondere Bedarfe. Auf Basis der Gesundheitsdaten, die wir im Rahmen von „Healthy Athletes“ erheben, gehen wir in gesundheitspolitische Diskussionen, um auf die inklusivere Ausgestaltung von Gesundheitsleistungen hinzuwirken.“

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