Studie zu ambulanten zahnärztlichen Behandlungen in Analgosedierung

Effektive Schmerzausschaltung unter Sedierung

In der Presse tauchen immer wieder Beiträge auf, die sich kritisch mit den Gefahren ambulanter zahnärztlicher Behandlungen unter Narkose oder Teilnarkose beschäftigen. Dabei wird mitunter der Eindruck erweckt, die Sedierung impliziere generell lebensgefährliche Risiken für Patienten. Eine Multicenterstudie zeigt, dass das Verfahren kardiovaskuläre Risiken nicht nur nicht steigert, sondern sogar senkt.

Die operative Behandlung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZMK) ist in der Regel mit Stress für den Patienten verbunden. Neben der Schmerzausschaltung durch Lokalanästhesie (LA) gewinnen Sedierungsverfahren (Lachgas, orale Sedativa und intravenöse (i.v.) Sedierung) in der gesamten ZMK und gerade für die Durchführung umfangreicher und komplexer chirurgischer Eingriffe immer mehr an Bedeutung. Sie ermöglichen zahnärztliche Behandlungen frei von Angst und Stress bei entspannten und kooperativen Patienten. Die Reduktion der durch Stress induzierten sympathikotonen Reaktionen verringert dabei auch das Risiko kardiozirkulatorischer Zwischenfälle [Jakobs und Mathers, 2021]. Ziel der durchgeführten Untersuchung war, diesen in der Literatur beschriebenen Effekt zu überprüfen und dazu die kardiozirkulatorischen Parameter bei Behandlungen ohne und mit i.v. Sedierung zu vergleichen.

Material und Methode

In die Studie wurden 91 Patienten im Alter von 13 bis 84 Jahren, ASA-Klassifikation 1, 2 und 3 [ASA, 2023] einbezogen, dabei wurde auch ihr Körpergewicht erfasst. Ihre Daten wurden in sechs oralchirurgischen Praxen, Zentren und Kliniken erhoben. Registriert wurde der systolische und der diastolische Blutdruck (RR), der Puls (HF) und die Sauerstoffsättigung (SpO2) jeweils als Ausgangswert, 5 Minuten nach Applikation der LA, 5, 10, 15 und 30 Minuten nach OP-Beginn sowie 15 Minuten nach OP-Ende. Außerdem wurden die eingesetzten Pharmaka (Midazolam, Paracetamol, Ibuprofen, Novalgin, Fentanyl und Corticosteroide) dokumentiert. Die Verwendung des vasokonstriktiven Zusatzes der Lokalanästhesie war auf eine Adrenalinkonzentration von 1:100.000 beschränkt. Als Sedativum wurde ausschließlich Midazolam verwendet. Die Sedierung erfolgte i.v. unter Monitoring.

Insgesamt wurden 44 operative Behandlungen unter Sedierung und 47 Behandlungen in Lokalanästhesie ohne Sedierung durchgeführt. Die Behandlungen in Lokalanästhesie ohne Sedierung waren nach 15 Minuten abgeschlossen, so dass keine Daten 30 Minuten nach Applikation der LA erhoben wurden (Abbildung 1).

Ergebnisse

Der systolische Blutdruck der sedierten Patienten war während der Behandlung niedriger als bei den Patienten ohne Sedierung (Abbildung 1, Tabelle 1). Angst- und stressbedingter Blutdruckanstieg, der das Risiko von Zwischenfällen erhöht, konnte bei allen sedierten Patienten wirksam reduziert werden.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass die Behandlung unter Sedierung das Risiko für einen Anstieg des Blutdruckes und in der Schlussfolgerung für darauf basierende mögliche kardiovaskuläre Komplikationen senkt. Gerade vor dem Hintergrund immer wieder aufkommender Diskussionen um die Risiken oder einer angeblichen Gefährlichkeit von Behandlungen unter Sedierung – insbesondere für kardiovaskuläre Risikopatienten – sind diese Ergebnisse bedeutsam. Darüber hinaus ermöglichen es Sedierungsverfahren, bei Patienten mit ausgeprägter Behandlungsangst, zahnärztliche Routineeingriffe und invasive Behandlungen durchzuführen. So können umfangreiche Gebisszerstörungen als Folge von angstbedingtem Umgehen einer zahnärztlichen Therapie vermieden werden.

Vorteile der intravenösen Sedierung gegenüber der oralen Applikation sind die titrierte Gabe der Sedativa, der direktere Wirkeintritt und die bessere Steuerung der Sedierungstiefe [Jakobs und Mathers, 2021]. Durch den i.v.-Zugang besteht die Möglichkeit, weitere Medikamente i.v. zu applizieren. Bei Zwischenfällen kann dadurch adäquat medikamentös reagiert werden, insbesondere bei Notfällen deutlich schneller.

Aktueller Stand der „operator Sedation“ in der ZMK

Die Durchführung einer Intubationsnarkose ist mit einem hohen wirtschaftlichen, organisatorischen, personellen und apparativen Aufwand verbunden, erfordert generell den Einsatz eines Anästhesisten und ist daher außerhalb einer Klinik in der ambulanten Praxis schwieriger darzustellen.

Die Durchführung von Eingriffen unter Sedierungsverfahren erfordert ebenfalls die Bereitstellung von adäquat ausgebildetem Personal sowie entsprechende Räumlichkeiten mit für die Durchführung von Sedierungen erforderlicher apparativer und instrumenteller Ausstattung. Eine kontinuierliche Beobachtung des Patienten zur Überprüfung seiner Atmung sowie seines Bewusstseins und die fortlaufende Kontrolle seiner kardiovaskulären Funktionen mittels Pulsoxymetrie sind unverzichtbar. Die beschriebenen Voraussetzungen für Sedierungen lassen sich jedoch in der Praxis leichter erfüllen [Raeder, 2019].

Eine Sedierung kann „Standby“ oder als „Operator Sedation“ durchgeführt werden. Bei der „Operator Sedation“ überwacht der Behandler selbst die Sedierung. Minimale Sedierungsverfahren wie die Lachgas-Sedierung und die orale oder nasale Gabe von Sedativa (Benzodiazepinen) sind als sicherer Therapiestandard bei „Operator Sedation“ in der ZMK definiert. Ebenso ist die moderate Sedierung als „Operator Sedation“ klassifiziert. Mögliche Einschränkungen können sich bedingt durch Alter oder Vorerkrankungen des Patienten ergeben.

Die aktuell zunehmende Akzeptanz der Sedierung ist hierbei auch im Zusammenhang mit den Folgen der Coronapandemie, dem Ärzte- und Personalmangel, der Ressourcenknappheit, der Zunahme bürokratischer Auflagen und den Veränderungen im Gesundheitssystem zu sehen. Gleichzeitig nehmen der Versorgungsbedarf und die Komplexität der Versorgung in der ZMK durch steigende Patientenansprüche, eine alternde Gesellschaft mit mehr multimorbiden Patienten, mehr Polypharmazie und die stark steigende Anzahl der Patienten mit besonderem Zuwendungsbedarf stark zu. Die Sedierungsverfahren ermöglichen der ZMK flächendeckend ein selbstbestimmtes flexibles operatives Umfeld in Ergänzung zu und in Kooperation mit den kapazitätsbegrenzten etablierten Alternativen der Anästhesiezentren.

Intravenöse Sedierungen unter ständigem Monitoring und unter Berücksichtigung des Allgemeinzustandes des Patienten können zur Reduktion von Komplikationsrisiken in der der zahnärztlichen Behandlung beitragen. Insbesondere durch die gute Steuerbarkeit der Sedativa mittels Titration, abgestimmt auf die Reaktion des Patienten, lassen sich auch komplexe und invasive Eingriffe bei entspannten, kooperativen Patienten sicher vornehmen. Adäquate räumliche und apparative Ausstattung, geschultes Personal, qualifizierte Anwender und richtige Anwendung vorausgesetzt sind Sedierungsverfahren in der ZMK sicher anzuwenden.

In der vorliegenden Untersuchung wurden die Patienten ausschließlich mit Midazolam sediert. Dieses kurzwirkende Benzodiazepin ist das am häufigsten in der Zahnheilkunde verwendete Sedativum. Durch Bindung an den GABA-Rezeptor wirkt es sedierend, anxiolytisch, antikonvulsiv und hypnotisch. Es kann sowohl intravenös als auch oral verabreicht werden, wobei durch die orale Gabe die Bioverfügbarkeit durch den First-Pass-Effekt in der Leber verringert ist. Bekannte Alternativen zu den Benzodiazepinen sind Ketamine und das Phenolderivat Propofol. Bei Propofolgabe erfolgt der Wirkeintritt schneller und die Aufwachphase ist kürzer als bei der Midazolamgabe [Keerthy et al, 2015].

Die Studie (noch unveröffentlicht):
Joel Nettey-Marbell, Eiko Nausch, Christopher Davies, Fouad Khoury, Jan Wildenhof, Manuel Troßbach, Eric Buschbeck, Markus Blume, Christoph Schmidt, Sebastian Schiewe, Kristina Balasnova, Wolfgang Jakobs: Kardiozirkulatorische Faktoren bei oralchirurgischen Eingriffen in Lokalanästhesie: Ergebnisse einer Multicenter-Vergleichsstudie mit und ohne intravenöse Sedierung. Erstmals vorgestellt auf der AGOKI Jahrestagung 2022 in Bad Homburg per Poster und Präsentation.

Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit: Fouad Khoury, Martin Ullner, Markus Blume, Mathias Sommer, Alexander Hoyer, Manuel Trossbach, Frank Heckenbücker, Wofgang Jakobs

Literaturliste

  • ASA: www.asahq.org/resources/clinical-information/asa-physical-status-classification-system, Abruf am 31.07.2023.

  • Jakobs W, Mathers F (2021): Sedierung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Wissen kompakt, Fortbildung für Zahnärzte, Springer Verlag, ISSN 1863-2637, (2/2021).

  • Keerthy PH, Balakrishna R, Srungeri KM, Singhivi N, John J, Islam M (2015): Comparative evaluation of propofol and midazolam as conscious sedatives in minor oral surgery. J Maxillofac Oral Surg 14(3): 773-783.

  • Raeder J (2019): Procedural sedation in ambulatory anaesthesia - what’s new? Curr Opin Anesthesiol 32(6): 743-748.

Joel Nettey-Marbell

DENTALWERK
Schloßstraße 44
22041 Hamburg

Eiko Nausch

DENTALWERK
Schloßstraße 44
22041 Hamburg

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.